Pränataldiagnostik und das Geschäft mit der Angst

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) entscheidet am 19. September darüber, ob vorgeburtliche Bluttests auf Down-Syndrom künftig von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden.

Ich schließe mich bezüglich des nichtinvasiven Pränataltests (NIPT) auf Kassenleistung der Stellungnahme dieser Verbände, Organisationen und Initiativen vom April 2019 an . Dort heißt es:

I.
Die beabsichtigte Kassenzulassung des NIPT „in den engen Grenzen einer Risikoschwangerschaft“ist nicht realistisch: Der Begriff der Risikoschwangerschaft ist nicht abschließend definiert. Die Geschichte der Fruchtwasseruntersuchung als Kassenleistung zeigt, dass eine Begrenzung auf eine kleine Gruppe sogenannter Hochrisikofamilien selbst bei einer Untersuchung mit einem Eingriffsrisiko nicht möglich war. Eine individuelle statistische Wahrscheinlichkeit für ein Kind mit Trisomie 21 macht dieses werdende Kind noch nicht zum Risiko, das vermieden werden muss.

II.
Der NIPT hat ein hohes Diskriminierungspotential: Er kann zwar mit höherer Aussagekraft als andere nichtinvasive Untersuchungen berechnen, ob das werdende Kind bspw. eine Trisomie 21 hat. Mit diesem Untersuchungsergebnis ist jedoch keine therapeutische Handlungsoption verbunden. Der Test kann nur den Träger dieses Merkmals identifizieren. Die einzige Handlungsalternative zur Geburt des Kindes mit Behinderung ist der Schwangerschaftsabbruch. Mit der Kassenfinanzierung dieses Tests verbindet sich die Botschaft der Solidargemeinschaft an die werdenden Eltern: Die pränatale Suche nach Trisomie 21 und anderen Trisomien ist medizinisch sinnvoll, verantwortlich und sozial erwünscht. Damit sagen wir ihnen zugleich: Ein Kind bspw. mit Trisomie 21 ist ein vermeidbares und frühzeitig zu vermeidendes Risiko. Eine solche Botschaft steht in Widerspruch zu den Zielen der UN-Behindertenrechtskonvention und zu unse-rem gesellschaftlichen Konsens, dass jeder Mensch eine unverlierbare Würde hat.

III.
Der NIPT als Kassenleistung wird das Recht der Frauen, sich selbstbestimmt für oder gegen pränataldiagnostische Untersuchungen zu entscheiden, nicht stärken. Er wird die Erklärungsnöte der werdenden Eltern noch erhöhen, die sich gegen diesen Test und andere gezielte vorgeburtliche Untersuchungen bzw. für ihr Kind mit Behinderung entscheiden. Psychosoziale Beratung kann nicht im Beratungsgespräch einen ethischen Diskurs der Gesellschaft über den NIPT und dessen zwiespältige Folgen ersetzen.

IV.
Aus unserer Sicht fehlt die Grundlage für die Aufnahme in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen. Der nichtinvasive Pränataltest hat keinen medizinischen Nutzen. Er kann weder die Gesundheit der schwangeren Frau noch des werdenden Kindes erhalten, wiederherstellen oder bessern (§ 1 Abs. 1 SGB V). Dies gilt auch für die Fruchtwasseruntersuchung, wenn sie für die Suche nach Trisomien eingesetzt wird.

V.
Es kann nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenkassen sein, allen Frauen einen gleichen Zugang zu einer medizinischen Leistung zu gewähren, deren Zielset-zung in hohem Maße diskriminierend ist.

Selbstbestimmte Norm

Meine persönliche Erfahrung mit bzw. bewusste Ignoranz von Pränataldiagnostik während meiner Schwangerschaften hatte ich in dem Blogbeitrag „Selbstbestimmung, Pränataldiagnostik, Abtreibung“ bereits formuliert. Hier zitierte ich das von mir sehr geschätzte Buch von Kirsten Achtelik „Selbstbestimmte Norm“ und einen mir wichtigen Satz aus dem Buch: „Das Recht auf Nichtwissen kann heute nur mit einer gehörigen Portion Wissen durchgesetzt werden!“ Den Gedanken möchte ich nun aufgreifen, denn dieser Satz schien mir immer wieder in verschiedenen Gesprächen irgendwie unpassend zu sein, zumal ich z.B. Pränataldiagnostik nicht etwa ablehnte, weil ich so viel wusste, sondern weil ich mir schlicht gar keine Gedanken darüber gemacht habe und einfach mit einem Urvertrauen in mich und meine ganze Welt die Schwangerschaften erlebte. Wenn ich diesen Satz richtig verstanden habe, dann suggeriert er, dass Schwangere sich bewusst gegen einen Pränataltest (auf z.B. Trisomie 21) entscheiden würden, wenn sie zum einen Bescheid wüssten darüber, dass die meisten Behinderungen während der Geburt oder im Laufe des Lebens eintreten (also die sogenannte Garantie auf ein gesundes Kind sowieso keiner hat) bzw. wenn die werdenden Eltern nur genug Wissen über ein Leben mit Kindern mit Down Syndrom hätten (also wüssten, wie glücklich betroffene Menschen und Familien sind).

Verantwortung wird zu einem individuellen Problem gemacht

Beiden Argumenten wird (vielleicht zurecht?) immer widersprochen: Man wisse, dass man keine Garantie auf ein gesundes Kind hätte, aber zumindest sei man schon einmal beruhigt, wenn man Trisomien ausschließen könne, heißt es oft. Und außerdem kenne man eine Familie x, die mit ihrem Kind mit Trisomie 21 völlig überfordert sei. Selbstverständlich kenne auch ich viele überforderte Familien, einschließlich meiner eigenen (und bin auch häufig genervt von dem Argument, dass auch Familien mit gesunden Kindern oft überfordert sind.). Typische Elternthemen wie z.B. Verantwortung, Grenzen, Ernährung, Schlaf, Wut/Gewalt/Trotz, Geschwisterbeziehung, Freunde, usw. sind einfach noch viel viel komplizierter mit einem Kind mit einer geistigen Beeinträchtigung. Wahnsinnig kompliziert, wahnsinnig anstrengend. Viele Eltern berichten mir oft, sie seien so froh, wenn die Kleinkindphase bei ihren Kindern vorbei ist und die eigenen Kinder endlich „vernünftig“ sind oder endlich sagen können, was sie brauchen oder was ihnen weh tut. Bei einem Kind mit einer geistigen Beeinträchtigung können sich bestimmte Entwicklungsstufen aber jahrelang hinziehen, manchmal werden sie auch gar nicht erreicht. Es ist unglaublich hart, das als Eltern anzunehmen und zu akzeptieren. Nicht, weil man ein tolles, schlaues Kind wollte, sondern, weil einem Jahr für Jahr der lebenslange Begleitungsbedarf des Kindes immer bewusster wird. Dieses Kind wird seinen eigenen selbstbestimmten Weg nur mit viel Hilfe gehen können, meist mit der Hilfe der Eltern.

Vor diesem noch schwierigeren Familienalltag, vor der eventuell noch schwierigeren Vereinbarung von Arbeit/Kindern und dieser lebenslangen Verantwortung haben natürlich fast alle Menschen (meist Frauen, die genau das zum großen Teil immer allein stemmen) Angst. Das finde ich absolut nachvollziehbar. Diese Angst begleitet auch mich. Diese Angst wird auch nicht weniger, wenn in irgendwelchen Inklusionssongs niedliche, lachende Kinder mit Trisomie 21 von der Buntheit der Welt singen.

Meine Überforderung ist nicht mein persönliches Versagen, sondern politisches Versagen

In ihrem Buch macht Kirsten Achtelik einige Vorschläge, was getan werden könne, um der Tendenz zu einer immer weiteren Normalisierung von selektiver Diagnostik und anschließenden Abtreibungen entgegen zu wirken, u.a.“Wenn die Mehrfachbelastungen sowie gesellschaftliche und eigene Perfektionserwartungen Schwangere dazu bringen, sich ein möglichst pflegeleichtes Kind zu wünschen, kann unsere Antwort nur sein: Umsturz aller Verhältnisse, in denen wir, unsere Lieben und alle anderen pflegeleicht sein müssen! Für ein Zulassen von Schwäche, Ambivalenzen, Unlust und Kaputtheit! Gegen die Idee der perfekten, strahlenden, immer einsatzbereiten Mutter! Gegen die Illusion des gesunden, perfekten, talentierten, superschlauen und immer freundlichen Kindes! Es ist wichtig […] Teilhabe für alle an allem zu ermöglichen und Normen, Vorurteile und Diskurse zu verändern. […] Wir alle sind auf Pflege und Fürsorge angewiesen. Sowohl Feministinnen als auch Behindertenrechtsaktivistinnen haben ein Interesse daran, diese scheinbar privaten Bedürfnisse zu politisieren und zu einem zentralen Bestandteil gemeinsamer politischer Auseinandersetzungen zu machen.“

Den Kampf gegen immer ausgeklügeltere Pränataldiagnostik (auf Kassenleistung) möchte ich nicht kämpfen. Hier sind wirtschaftliche Interessen einfach zu mächtig. Aber ich möchte mich meinen Ängsten stellen. Und Frauen ermutigen es auch zu tun. Sie sind nicht allein. Wir sind viele.

Gemeinsam können wir unsere Überforderung heraus schreien und bei jeder Gelegenheit Teilhabe von allen an allem fordern. Nur Teilhabemöglichkeiten von allen an allem können die massenhaften Abtreibungen von werdenden Kindern mit Trisomie 21 verringern.