„Der blinde Maulwurf“ – Eine Fabel von Ursula Eggli

Auf seinem Weg, die Welt zu erkunden, lehnte der Maulwurf gemütlich an einem warmen Baumstamm. Plötzlich packte ihn jemand unsanft am Pelz und eine Stimme schrie ihm ins Ohr: „Kommen Sie, ich führe Sie zu Ihrer Höhle.“ Ich will gar nicht zu meiner Höhle, sagte der Maulwurf ärgerlich und riss sich los. Ein paar Grashalme weiter hörte er zwei flüsternde Schmetterlingsstimmen: „Sehen Sie mal den Ärmsten“, wisperte die erste. „Oh, oh, oh, wenn ich so wäre, würde ich mich einem Vogel vor den Schnabel legen!“, die zweite. Paperlapapp, dummes Gerede, brummte der Maulwurf noch ärgerlicher und trottete davon. Als nächstes hörte er eine aufgeblasene Froschstimme: „Mein Lieber, Sie sind ja schlecht rehabilitiert. Sehr schlecht. Es gibt doch heute Therapien für blinde Tiere, damit sie sich in unserer Gesellschaft besser zurecht finden. Soll ich Sie hin….“ Jetzt langt es mir aber!, schrie der Maulwurf böse und stieß in seinem Ärger mit der Nase gegen einen Stein. „Sehen Sie, ich hab’s ja gesagt“, quakte hinter ihm der Frosch zufrieden, während dem Maulwurf von vorne jemand über den Kopf streichelte. Eine salbungsvolle Mäusestimme flötete: „Lieber Freund, was tun Sie für Ihre Seele?“ Da biss der Maulwurf der frommen Maus in den Schwanz, machte rechtsumkehrt und verschwand in seiner Höhle. Seither steht der Maulwurf im Ruf, ein mürrischer, undankbarer und ungläubiger Geselle zu sein.

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