24 Wochen – Eine Filmkritik

Am 24. September wurde der Film „24 Wochen“ von Anne Zohra Becharreds im ausverkauften Kino Abaton in Hamburg gezeigt. Der Film wurde von einer Jury der deutschen Programmkinos und Filmkunsttheater mit dem Gilde-Filmpreis als bester Wettbewerbsbeitrag der Berlinale ausgezeichnet. Anne Zohra Becharreds bekam zudem für ihren viel gelobten Film, der das Thema Spätabtreibung behandelt, den Studio Hamburg Preis in der Kategorie Beste Regie. In „24 Wochen“ ist die Kabarettistin Astrid mit ihrem Manager Markus liiert. Beide haben zusammen ein Kind, die neunjährige Nele. Als Astrid mit ihrem zweiten Kind im sechsten Monat schwanger ist, erfährt das Paar bei einer Routineuntersuchung, dass ihr ungeborenes Kind mit dem Down-Syndrom und einem schweren Herzfehler zur Welt kommen wird. Das Paar muss entscheiden, ob das Kind zur Welt gebracht oder eine Spätabtreibung eingeleitet werden soll. Nach vielen Auseinandersetzungen und Diskussionen entscheidet sich Astrid dafür, das Kind im sechsten Monat abzutreiben. Anschließend geht sie mit dieser Entscheidung an die Öffentlichkeit.

Der Film zielt darauf, den Zuschauer mit einem riesigen Kloß im Hals zurück zu lassen. Spätestens wenn der gerade getötete Fötus nach der Geburt zum Abschied auf die Brust der Mutter gelegt wird, ist der Punkt der Unerträglichkeit erreicht. Auch unerträglich ist, dass „24 Wochen“ auf die Abweichung vom perfekten Kind als etwas Schrecklichem fokussiert und die furchtbare Zerrissenheit der Frau musik- und filmästhetisch zusätzlich stark dramatisiert. Herzfehler sind eine der häufigsten Organfehlbildungen bei Neugeborenen. Es gibt weder eine Garantie noch ein Recht auf ein gesundes Kind. Aber es geht in „24 Wochen“ nicht um eins von vielen Föten mit einem Herzfehler (denn das ist ja kein wirklicher Abtreibungsgrund). Die Melodramatik dieses Films setzt hier noch eine vermeintlich grausame Trisomie 21 drauf. Lukas Stern schreibt in seiner Kritik zum Film: „Wäre der Film wenigstens so hübsch nüchtern, anonym und neutral wie die Begrüßungsfloskeln von Allgemeinärzten zur Routineuntersuchung.“

Fabian Wallmeier nennt den Film „Pädagogik statt Filmkunst“ und ist sogar der Ansicht, dass „24 Wochen“ eben nicht – wie suggeriert – die Antwort auf die Frage ‚Abtreibung oder nicht?‘ offen lässt: „Bis ins kleinste, oftmals schmerzliche Detail dekliniert der Film die sozialen, rechtlichen und vor allem medizinischen Komponenten durch. Echte Ärzte und andere Experten treten auf, erklären zum Beispiel, dass bei einer Spätabtreibung zunächst dem ungeborenen Kind eine Spritze verabreicht wird und dann die Wehen eingeleitet werden. Die Ambivalenz, die durch die Ansammlung von Wissen aus allen Richtungen und durch die harten Diskussionen zwischen Astrid und Markus erzeugt werden soll, bleibt letztlich bloße Behauptung. Denn letztlich liefert der Film die Antwort auf die moralischen Fragen unmissverständlich mit: Ja, Spätabtreibung ist in einem solchen Fall in Ordnung und die Mutter allein hat darüber zu entscheiden.“

Der Film-Vater, Markus, steht mit seiner Haltung für das Leben des noch ungeborenen Kindes seiner zweifelnden Frau sehr hilflos gegenüber. Wie geht man damit um, wenn sich die Partnerin gegen ein gemeinsames Kind entscheidet, weil es nicht gesund sein wird? Was bedeutet das für die weitere Beziehung, wenn sie sagt, sie hätte „dafür“ keine Kraft? Was, wenn man morgen selbst – durch einen Unfall – auf mehr Zeit und Pflege angewiesen sein wird, hat sie dann auch dafür keine Kraft? Und was bedeutet überhaupt die Annahme, für etwas angeblich keine Kraft zu haben?

Kirsten Achtelik hatte schon in ihrem Buch „Selbstbestimmte Norm“ darauf hingewiesen, welche entlastende Wirkung Nichtwissen in der Schwangerschaft hat: „Wenn erst am Ende der ganz normalen Diagnosespirale die Beratung und die Entscheidung anstehen, übt dies einen enormen moralischen Druck auf Schwangere aus statt sie zu unterstützen.“ Achtelik macht den Vorschlag, dass schon vor jeder pränatalen Diagnostik psychosoziale Beratung stattfinden sollte, mit deren Hilfe die Schwangeren ganz am Anfang der Schwangerschaft herausfinden könnten, was sie eigentlich warum wissen wollen.

Für viele Menschen mit Trisomie 21 und ihre Eltern ist dieser Film paralysierend. Die eigenen Perfektionserwartungen von Astrid bringen sie in „24 Wochen“ dazu, sich ein möglichst pflegeleichtes Kind zu wünschen und in letzter Konsequenz das unperfekte zu töten. Hier wird der Weg, den 9 von 10 Schwangeren nach der Diagnose Trisomie 21 in Deutschland gehen und damit die eugenische Auswirkung, die diese vielen Einzelentscheidungen auf die Gesellschaft haben, legitimiert. Im Wunsch der Mutter, ein Problem aus der Welt zu schaffen, blendet der Film jedoch nicht nur die Folgen des gewalttätigen Alleingangs von Astrid für ihre Beziehung zu Markus aus, sondern auch die psychologischen Folgen für sie, Markus und Tochter Nele. Schließlich bestätigt der Film das Schreckgespenst Down Syndrom und versucht auch noch die Selektion mit viel Tragik „verstehbar“ machen und rechtfertigen zu wollen.

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