Wie man sich noch tiefer in die Bildungskrise schießt – Ein Bericht aus der russischen Provinz

Heute wurde den Mitarbeitern und Studierenden der Irkutsker Staatlichen Linguistischen Universität (ISLU) zum zweiten Mal aufgetragen, bei der freien und geheimen Abstimmung für den Zusammenschluss mit der Moskauer Staatlichen Linguistischen Universität (MSLU) zu stimmen. 89% der Mitarbeiter und ungefähr genauso viele Studenten waren demnach mit einer ungewissen Zukunft ihrer Bildungseinrichtung einverstanden, denn konkrete Vorhaben werden laut Rektorin der MSLU Khaleevea erst noch ausgearbeitet. Wie die Presse berichtet, versprach Khaleeva den Studenten höhere Stipendien (viele russische Studenten studieren kostenlos, wenn sie entsprechend gute Noten bekommen, die Erlassung der Studiengebühren und ein klitzekleines monatliches Taschengeld springen dabei heraus – hier muss erwähnt werden, dass fast alle Studierenden gute Noten bekommen, denn das Lehrergehalt hängt auch von der „Leistung“ der betreuten Studierenden ab). Außerdem versprach sie die Wiedereinführung einer Fakultät für millitärische Ausbildung.

Bereits vor einem Monat war bei vesti.irk.ru zu lesen, dass die Baikaluniversität für Wirtschaft und Recht in Irkutsk ab September 2013 Spezialeinheiten für den russischen Geheimdienst FSB, für das russische Innenministerium, den Föderalen Dienst für den russischen Strafvollzug und anderen Sicherheitsbehörde ausbilden wird. Hier sollen die Studenten nicht nur Gesetze und Sicherheitsmaßnahmen kennenlernen, sondern auch Techniken der Strafverfolgung und den Gebrauch von Waffen. „Nach der fünfjährigen Ausbildung werden die Studenten nicht nur in der Lage sein, alle Aufgaben, die ihnen zugetragen werden, mit Logik und Vernunft zu erfüllen, sondern auch das nötige Handwerkszeug, sprich die Waffen, anwenden können“, schwärmt der Dekan der Fakultät für Staats- und Völkerrecht (der gleichzeitig Polizeioberst ist) Wladimir Moizeew.

Der Zusammenschluss der ISLU mit der MSLU wurde mit einem „Приказ“ (Befehl) des Russischen Bildungsministeriums am 15. März bereits besiegelt. Nun kam jedoch dazwischen, dass sich der Bildungsminister Liwanow momentan in einer denkbar schlechten Lage befindet, denn nicht nur das russische Parlament, sondern auch Bildungseinrichtungen des gesamten Landes, wie z.B. die Irkutsker Akademie der Wissenschaften fordern mittlerweile den Rücktritt des Ministers, der sich in seinem Amt seit Monaten diverser Korruptionsvorwürfe stellen muss.

Auf die Frage einer älteren Professorin für Germanistik der ISLU, ob Khaleeva den Mitarbeitern in dieser Situation nicht Mut machen bzw. irgendeine Garantie bieten kann, dass ihre Arbeitsplätze auch nach dem Zusammenschluss mit der MSLU erhalten bleiben (denn bis 2018 soll die Hochschule „wirtschaftlich effektiv“ arbeiten), antwortete die Moskauer Rektorin: „Wollen Sie mein Ehrenwort im Namen unserer Partei ‚Einheitliches Russland‘ oder welche Art von Garantie erwarten Sie?“

Meine Studenten können ihren Unmut über diese Situation kaum noch zurück halten. Ihnen fehlt jegliche Motivation für das Lehramtstudium, mit dem sie ja doch keine Arbeit finden, von der sie sich ernähren können und demnach leider darauf angewiesen sein werden, einen besserverdienenden Lebenspartner zu finden. Als ich mich neulich vor ihnen darüber lustig machte, dass die tägliche Reklame an der ISLU von Irkutsker Firmen, die Haus- und Diplomarbeiten für die Studenten schreiben, auf Kopierpapier gedruckt ist, das auf der Rückseite Verträge mit Studenten mit allen persönlichen Angaben zeigt, schaute die halbe Gruppe mit roten Köpfen nach unten.

Ich frage mich, warum alle so pessimistisch sind? Die Germanistikprofessorin kann schließlich zur Millitärfakultät wechseln. Und bis 2018 kann sie schon mal lernen, in der gerade frisch eröffneten Schießbudenkette „Patriot“, die sich im Zentrum der Stadt ausbreitet, ihre Fragen etwas nachdrücklicher zu formulieren.

Schießbude Patriot Irkutsk

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