Der eine poltert, die andere tobt

Anatol muss momentan entweder etwas zum Essen in den Händen haben, oder ein Telefon, oder Geschirr. Sonst wird gebrüllt. Wir haben einen hohen Verschleiß an Handys und Porzellan. Mit beiden wird am allerliebsten gegen Fensterscheiben, Spiegel, Glastüren oder gegen die Badewanne gehauen. Gerne auch mal um 6 Uhr morgens, damit die Nachbarn wissen, dass es Zeit zum Aufstehen ist.

Liljana liebt die Tragik. Wenn die Diva tobt, hat das jedoch meist einen triftigen Grund, z.B.:

  • Sie hat geträumt, dass wir sie im Zug oder im Geschäft vergessen.
  • Sie hat ihr Taschentuch aus Versehen in einen öffentlichen Mülleimer geworfen, aus dem sie es nicht mehr herausholen kann.
  • Sie will ihre graue Katze wieder haben, die sie vor einem Jahr einem anderen Kind geschenkt hat. (Die Erinnerung kommt seitdem so ca. einmal im Monat wieder hoch.)
  • Mama hat ihr ein Stück Schokolade weg gegessen.
  • Ihr Salbeibonbon oder ihr Gummiwürmchen ist auf der Straße aus dem Mund gefallen und sie kann ihn nicht mehr weiter lutschen.
  • Sie will zwei, bekommt aber nur einen Bonbon.
  • Mama hat einen kaputten Aufkleber oder ein Papierschnipsel von ihr einfach weggeschmissen.
  • Sie will an den Computer und Mama erlaubt es nicht.

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Das branchiogene Rudiment ist weg

Das erste Mal nach der Geburtsklinik war ich mit dem kleinen Tolja wieder in einer Klinik. Der Halsschniepel, den ich eigentlich schon lieb gewonnen hatte, sollte weg geschnippelt werden. Dies war nichts Notwendiges, es war nur ein Schönheitsfehler. Ein Überbleibsel aus der Embryonalzeit, eventuell mal eine Zyste gewesen, doch dann nur noch ein Hautüberschuss. Lange hatte ich überlegt, ob das Ding nicht bleiben soll. Aber als mir die Erzieherinnen im Kindergarten erzählten, dass die anderen Kinder das Ding sehr interessant fänden und gerne mal dran ziehen, hatte ich dann doch Angst bekommen. Nun ist es weg. Auch gut. Und der Tolja war nur am Tag der OP nach der Narkose noch lange schläfrig. Schon am nächsten Tag rannte er den Krankenhausflur auf und ab. Ohne müde zu werden, als ob nix gewesen ist.

Krankenhaus Tolja

Ostern und Albträume

Bei uns ist gerade der Wurm drin. Kaum waren wir gesund und Lili wieder im Kindergarten, hat sie wieder eine Überraschung mitgebracht. Bei dem Sauwetter und dem Schlamm im Kindergarten auch kein Wunder. Starke Bronchitis. Nun haben wir ihr das erste Mal Antibiotika gegeben, denn so lange so krank war sie noch nie. Und natürlich hat Tolja sich auch wieder bei ihr angesteckt. Damit die Kinder mal wieder etwas zum Freuen haben, haben wir uns entschieden, heute Ostern zu feiern. Letzte Woche war Sascha das ganze Wochenende beim Eisfischen auf dem Baikal, Ostern an Ostern musste also ausfallen. Und da in Russland dieses Jahr erst im Mai das russische Osterfest gefeiert wird und es für uns sowieso Improvisation bedeutet (es gibt hier weder, Osternester, noch -hasen oder Schokoeier – die die Kinder in den Geschäften verführen könnten), können wir den Ostersonntag einfach festlegen.

Tolja hat den Feiertag mehr oder weniger auf dem Arm von Papa verbracht, er war sogar zu schwach zum Essen. Lili hat das erste Mal Osterüberraschungen gesucht und ist nun den ganzen Tag dabei, ihre Süßigkeiten immer und immer wieder zu verstecken und zu suchen. Wie schon an Weihnachten hieß es dann wieder, dass sie jeden Tag Ostern feiern will. Irgendwann habe ich ihr dann erzählt, dass es in Deutschland an Ostern in fast jeder Stadt Osterfeuer gibt, die den langen Winter vertreiben sollen. Und es gibt überall in Deutschland Ostermärsche. Bei Ostermärschen, erklärte ich ihr, gehen die Leute auf die Straße, um gegen etwas Schlimmes auf der Welt wie Krieg zu demonstrieren. „Und man kann gegen kaputte Ostereier und nasse Hosen demonstrieren.“, erwiderte sie.

Das erinnerte mich an ihre schlimmsten Albträume. Einmal im Monat hat sie so einen. Dann wacht sie kreischend und total verheult auf, lässt sich minutenlang nicht beruhigen und murmelt dann schließlich irgendwann etwas wie „Mein Bonbon war heruntergefallen.“, oder, „Jemand hatte mir meine Schokolade weggenommen.“

1. Eier 2. Eierbecher Pferd und Schwein 3. Hühner 4. Osterkörbchen Tolja 5. Osterkuchen 6. Lili Lolli 7. Osterstrauch 8. Tolja

Frühförderkurse in Irkutsk

Auf Empfehlung einer Mutter einer dreijährigen Tochter mit Down Syndrom, bin ich heute mit Tolja in das „Rehabilitationszentrum für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen“ gefahren. Immer freitags findet dort kostenfrei für alle Interessierten ein anderthalbstündiger Frühförderkurs statt. Ich war ganz gespannt, was uns dort erwartet. Zuerst wurden wir in den Sensorikraum geführt. Hier durften die Kinder 30 Minuten ihre Sinne trainieren. Mit uns waren noch 4 Kinder zwischen ein und fünf Jahren mit Down Syndrom. Es gab eine Spielkiste mit Bällen, Lichtersäulen, Matratzen, eine Werkbank aus Holz, Massagebälle, einen Plastiktunnel zum Durchkrabbeln und einen Teppich mit vielen kleinen Lichtern. Zwischendurch wurde für 10 Minuten das Licht ausgemacht, so dass man die vielen Lichter schön sehen konnte. Eine Psychologin ging abwechselnd zu jedem Kind und animierte es zum Spielen. Tolja wollte sich in diesem Raum fast ausschließlich an der Werkbank zu Schaffen machen. Die Psychologin verbot ihm jedoch, die verschiedenen Holzteile in den Mund zu nehmen, was ihm gar nicht gefiel. Als ein anderes Mädchen mit Tolja spielen wollte, wurde es von der Mama zurechtgewiesen, dass es nur die Hände von Tolja fassen sollte und nicht ihn überall anzufassen habe. Tolja war die gesamte Zeit überwältigt von den vielen Lichtern und Leuten und beobachtete meist das Geschehen. Aufgrund des Zeitmangels setzten die anderen Eltern ihre Kinder hintereinander an jede Fühl-, Spiel- oder Lichtquelle. Nach 30 Minuten wurden wir aufgefordert, den Sensorikraum wieder zu verlassen. Eine Pädagogin wartete auf uns, um die 30minütige „pädagogische Förderung“ durchzuführen. Dort eilten wir sogleich hin. Diese Förderung bestand aus 15 Minuten zwei Trickfilme anschauen (Mascha und der Bär, eine im russischen TV sehr bekannte Kinderserie). Danach wurden den Kindern Fragen zu den beiden Filmen gestellt, die sie beantworten sollten. Danach sollten die Kinder noch ein Frühlingsbild aus Servietten basteln, was den meisten Kindern nicht so gut gelang, weshalb die Mütter dann mehr oder weniger das hübsche Bild gestalteten. Die Kinder, die sich nicht beteiligten, wurden von der Pädagogin ermahnt oder ignoriert. Danach eilten wir zur Musikförderung. Dreißig Minuten wurden die Kinder animiert, mit Rasseln, Tüchern oder Xylophonen Töne zu erzeugen, während die Musiktherapeutin Klavier spielte. Sie sang auch ab und zu und leitete rhythmische Bewegungen mit Händen und Beinen an. Zwischendurch zeigte sie an einem Computer verschiedene Bilder eines Hahnes und es ertönte ein Lied über einen Hahn im Hintergrund der Diashow. Wenn sie nicht ständig das Instrument, das Lied, die Handpuppen oder das Medium gewechselt hätte, wäre es interessant gewesen. Aber auch hier fühlte ich mich getrieben, denn die Dame führte ihr „Programm“ durch und auch sie forderte uns nach 30 Minuten auf, den Raum zu verlassen.
Nach diesen anderthalb Stunden Förderung war ich fix und alle. Kaum saßen wir im Auto fielen Tolja die Augen zu.

Den Stress tun wir uns nicht nochmal an.

Geburtstagsstimmung

Während der zweiten Schwangerschaft wollte ich unbedingt, dass das Baby am Frühlingsanfang zur Welt kommt. Und Anatol hat vor genau einem Jahr, am 21.3.2012, meinen Wunsch erfüllt. Hurra. Welch ein Glück. Sascha meinte immer, dass das Zweite nur ne Möhre werden kann, weil die Lili ja schon so gut gelungen ist. Aber er hat sich getäuscht. Schön jedenfalls, dass das erste Lebensjahr so gesund und munter verlief. Und noch besser, dass Tolja uns fast immer schlafen ließ. Was’n Traumkind.

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Zum Geburtstag kleiner Mann!