Manche Kollegen können mir den Tag versauen

Da bin ich also beim diesjährigen Lektorentreffen des DAAD in Woronesch. Aus sämtlichen russischen und weißrussischen Städten kamen meine Kollegen angereist. Ich wollte ein paar Tage kinderlose Freiheit genießen, denn meine Mama und Tante erklärten sich bereit, mit Lili und Tolja an den Baikalsee zu fahren, damit Sascha und ich auf Dienstreise nach Woronesch fliegen können.

Am zweiten Tag erzählte am Frühstückstisch dann ein Kollege aus Weißrussland von Lukaschenko und darüber, dass dieser immer und überall seinen unehelichen kleinen Sohn mit hin schleppe, den er ja zu seinem Nachfolger machen möchte. Davon, so der Kollege, hätte der Junge bereits eine Macke bekommen, denn er zucke ja immer so bedenklich. Alle lachten.

Kurz darauf kam das Gespräch auf eine Bekannte zu sprechen, die einst in Turkmenistan arbeitete. Da sie sich immer Kinder wünschte, traf sie eine „rationale“ Entscheidung: sie schaute sich sämtlich Familien an, ob diese gute Gene hätten (*lach). Dann suchte sie sich eine gesunde Familie aus und wurde vom älteren Sohn der Familie schwanger. Schließlich lebt sie nun, nach riesigem Krach mit dem Kindsvater, der eigentlich mit ihr und ihrem gemeinsamen Kind leben wollte, mit ihrem Kind allein in Deutschland.

Gestern beim Abendessen an einer großen Tafel sitzend, rief die Kellnerin in die Runde: „Wer möchte roten und wer möchte Weißwein?“ Es gingen sehr viele Hände in die Luft, die die Kellnerin in null Komma nichts zählte. Die Kollegin, die neben mir am Tisch saß, kommentierte das mit: „Die muss autistische Fähigkeiten haben.“ Alle lachten.

Eventuell wären mir früher solche Kommentare, die quasi tagtäglich fallen, nicht aufgefallen. Sie gehören scheinbar wie selbstverständlich dazu. Jetzt versauen sie mir den Tag. Mit Sascha habe ich dann diskutiert, ob wir auf solche Kommentare reagieren wollen oder sollten, da für uns ein unbefangenes weiteres Gespräch nicht mehr möglich ist. Eine richtig befriedigende Lösung haben wir nicht gefunden.

In diesem Zusammenhang bin ich nun das erste Mal auf den Begriff Handicapism gestoßen, der mit Rassismus oder Sexismus vergleichbar ist. Er beschreibt unter anderem die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen als mängelbehaftete, defizitäre, funktionsgestörte und damit minderwertige Wesen, die vor allem auf dem Arbeitsmarkt weniger leistungsfähig bzw. leistungsunfähig sind.

Leidmedizin

Bei den Reaktionen Anderer auf das Down Syndrom unseres Sohnes ist bisher eine Menge Mitleid und Trost dabei gewesen. Also muss ich es hier jetzt mal ausdrücklich sagen: wir leiden nicht. Wir müssen nicht getröstet werden. (Im Moment leiden wir schon ein bisschen. Aber das hat andere Ursachen.)

Besonders hervorheben möchte ich die dämliche Reaktion quasi jeder zweiten Ärztin seit Toljas Geburt: „Na machen Sie sich nichts draus. Sie sind ja noch jung und können noch ein oder zwei Kinder bekommen!“ Mein Vorschlag an Leidmedien ist, doch auch für Ärzte Schulungen anzubieten, was sie besser für sich behalten sollten. Oder vielleicht auch für Ärzte eine Liste erstellen wie die Tipps für Journalisten. Was soll das heißen, dass ich „doch noch ein Kind bekommen kann“? Erstens weiß ich das selbst. Und zweitens und vor allem, zählt DIESES Kind etwa nicht?

Nächstes Mal werde ich bei besagtem Kommentar erwidern: „Ich hoffe, Sie haben noch jüngere Geschwister. Mit Ihnen ist es sicherlich nie leicht gewesen.“

Mal fünf Minütchen auf den Schwanz des Nachbarn starren

Überall in den Medien ist dieser Tage von „Alltags-Sexismus“ die Rede. Seit letzten Freitag der Hashtag #aufschrei auf Twitter auftauchte. Anlass für die Twitter-Kampagne war ein „Stern“-Porträt, in dem die Journalistin Laura Himmelreich darüber berichtete, wie sie vor einem Jahr vom derzeitigen FDP-Spitzenkandidaten Rainer Brüderle sexuell belästigt wurde. Konkret hatte der zu ihr nämlich gesagt, dass ihre Brüste ein Dirndl schön ausfüllen würden und ihre Hand getätschelt. Ich finde das ekelhaft. ICH WILL VON SOLCHEN LEUTEN NICHT REGIERT WERDEN! Anders als einige Personen, mit denen ich auf facebook befreundet bin, sind solche alltäglichen Belästigungen für mich keine Lappalien. Solch ein Verhalten sagt in meinen Augen viel über die Mentalität, die Rollenvorstellungen und die Haltung des Betreffenden aus. GENAUSO WENIG WILL ICH FÜR SOLCHE LEUTE ARBEITEN!

Für mich ist es momentan ein Tabubruch in Deutschland, dass gestandene deutsche Politiker sich plötzlich öffentlich rechtfertigen müssen für sexistisches Verhalten, mit dem sie seit Jahrzehnten ungestraft junge Damen in ihrem Umkreis anekeln. Es kotzt mich an, dann auch noch hören zu müssen, dass man als Frau ein Problemchen hätte, wenn man mit solchen Belästigungen nicht adäquat umzugehen weiß oder womöglich auch noch selbst dran Schuld hätte! Ich bin nun wirklich nie der Typ gewesen, der besonders tiefe Ausschnitte oder Miniröcke getragen hätte und durfte trotzdem schon Sprüche über meine Brüste am Arbeitsplatz hören. Das wäre dann in etwa so wie wenn ich einem Mitarbeiter, nachdem ich ihm fünf Minuten auf seinen Hosenstall gestarrt habe, so neben der Arbeit sagen würde, dass er doch mal eine engere Hose tragen solle, damit sich sein Schwanz besser abzeichnen würde. Kann ja möglich sein, dass der ein oder andere Typ sowas wirklich schon mal am Arbeitsplatz gehört hat. Aber wie der Hashtag #aufschrei zeigt, Frauen hören solche Sprüche nun mal viel häufiger!

 

10 THINGS I’VE LEARNED – by Conny Wenk

Conny Wenk hat auf ihrem Blog zum 10. Geburtstag ihrer Tochter Juliana zehn Dinge auf Englisch formuliert, die sie von ihrer Tochter gelernt hat. Ich finde das beeindruckend, wunderbar und spannend. Natürlich ist es selbstverständlich, dass man durch seine Kinder enorm viel über sich selbst lernt und sich mit ihnen ständig weiter entwickelt. Aber ich bin mir sicher, dass ein Kind mit Down Syndrom einen zusätzlich auf ganz bestimmte Weise bereichert. Ich bin sehr glücklich, dass ich genau solch einen Spezialisten Zuhause habe und kann die kommenden Jahre kaum erwarten. Calistas Mama hat diese Dinge auf Deutsch hier veröffentlicht und auch ich möchte sie an dieser Stelle veröffentlichen:

Hier sind 10 Dinge, die ich in den 10 Jahren mit Juliana gelernt habe:

#1 Liebe und Geduld

Die ersten Monate nach Juliana’s Geburt verbrachte ich 24 Stunden am Tag mit Gedanken darüber, wie ich meine kleine Tochter verändern könnte, damit sie in unsere Gesellschaft passt. Eines Tages dämmerte es mir, dass Juliana PERFEKT ist, genau so, wie sie ist. Es gab absolut nichts, was ich an ihr hätte ändern oder – schlimmer noch – reparieren wollen. Statt dessen, so wusste ich, würde ich in Zukunft eine Menge Liebe und Geduld gegenüber unserer Gesellschaft brauchen. Obwohl jeder einmalig und besonders sein will, möchte keiner wirklich aus der Menge hervor stehen. Alles ist ganz schön „mainstream“ und alle sind beschäftigt, mit allen anderen Fischen zusammen zu schwimmen. Wenn ich jemanden zum ersten Mal treffe und der- oder diejenige zuvor noch keine Zufallsbekanntschaft mit dem „little extra“ hatte, biete ich immer an, dass er oder sie mich einfach alles darüber fragen kann. Manchmal kommen dann die lustigsten und seltsamsten Fragen. Das ist vollkommen in Ordnung. In diesen Momenten erinnere ich mich selbst daran, was ich vor zehn Jahren wusste – und das war absolut nichts! Ich erinnere mich auch bei jeder Zufallsbekanntschaft daran, dass wir alle schnell damit sind, Unbekanntes zu beurteilen, zu fürchten oder sogar zu hassen. Ich verstehe es deshalb als meine Aufgabe, das zu ändern und die Leute in die Welt des „little extra“ einzuführen.

 #2 Es braucht alle Arten von Leuten, damit sich diese Welt dreht

Unsere Welt ist wie ein großer, leuchtender Regenbogen. Wären wir alle gleich, wäre die Welt ziemlich langweilig. Wir sind alle verschieden und jeder von uns ist etwas ganz Besonderes.

#3 Materialismus macht nicht glücklich

Auch wenn es viel Spaß machen kann, Sachen zu kaufen und shoppen zu gehen, hält der Kick, den man dadurch bekommt, nicht sehr lange an.  Mit Geld kann man weder Liebe noch Freude kaufen. Es liegt viel Wahrheit darin, dass die besten Dinge im Leben umsonst sind: ein Kuss, eine Umarmung, Familie und Freunde!

 #4 Der Weg ist das Ziel

Wenn wir uns zu sehr auf unsere Ziele fixieren, verpassen wir manchmal genau das Leben, das auf diesem Weg passiert. 

 #5 Vergleiche dich nie mit anderen!

Ich glaube, das war eine der härtesten Lektionen, die ich lernen musste. Niemand von uns ist perfekt. Sich mit anderen zu vergleichen zerstört unsere Selbstsicherheit, unsere Kreativität und lässt den Neid wachsen. Das Geheimnis ist, uns wirklich zu mögen wie wir sind und zu lieben, was wir haben und dankbar zu sein, für das, was wir haben. Es gibt eine Menge von schönen, inspirierenden und ermutigenden Blogs in der Blogsphäre… aber vor zwei Jahren habe ich meine Aktivitäten in den Blogs drastisch reduziert. Es wurde mir klar, dass ich sowieso nicht überall sein und nicht alles tun kann, und dass das Internet ein großer Zeiträuber ist. Es hat mir echt nicht geholfen, mich auf die wichtigsten Dinge in meinem Leben zu fokussieren: Meine Familie und meine Freunde. Und es hat mich verrückt gemacht zu sehen, was all die Anderen tun und es gab mir selbst das Gefühl, dass ich zu wenig unternehme.

 #6 Lebe im Hier und Jetzt!

Juliana erinnert mich jeden einzelnen Tag daran, wie wichtig es ist, im Hier und Jetzt zu leben. Es ist fast so, als hätte sie selbst dieses Motto erfunden. Im Moment zu leben heißt, so zu leben, als gäbe es kein Morgen. Sie lebt das wirklich so. Während ich leicht von Billionen von Dingen in meinem Kopf und meinen tausend To-Do-Listen abgelenkt werde, vergesse ich manchmal zu „leben“. Zum Glück habe ich diesen kleinen „Buddha“ in unserem Haushalt wohnen, der mir hilft, ein reicheres, ausgefüllteres Leben zu leben, mit der Schönheit, in jedem Moment bewusst zu „sein“. Dieser Moment ist alles, was du hast.

#7 Habe keine Erwartungen

„Gesegnet ist der, der nichts erwartet, weil er niemals enttäuscht wird.“ (Alexander Pope)

So wahr! Zu geben ist so viel besser als zu bekommen. Und zu geben ist um so vieles besser, wenn du keine Gegenleistung erwartest. Von Zeit zu Zeit praktizieren die Kinder und ich kleine Zufalls-Liebenswürdigkeits-Taten. Wenn wir Lebensmittel kaufen gehen, lassen wir oft die Euro-Münze im Einkaufswagen und stellen uns vor, wie glücklich das Kind sein wird, das den Euro findet.

 #8 „Umgib dich nur mit Leuten, die dich feiern.“ (Oprah Winfrey)

Umgib dich nur mit Leuten, die dich hochziehen. Nimm den Radiergummi und lösche alle in deinem Adressbuch aus, die dir nicht gut tun und die dich runterziehen. Leute, die negativ gepolt sind, vorurteilbeladen, sich ständig beschweren und nur tratschen. Fokussiere dich auf Leute, die dich hochziehen, sich kümmern und die das Gute in den Herausforderungen sehen.

 #9 Tu‘ was du liebst

Das Leben ist zu kurz, um nicht das Bestmögliche aus allem zu machen. Tu‘ was du liebst und gib dein Bestes!

 #10 Los lassen

Vergebung kommt sicher nicht einfach und nicht über Nacht. Es ist so einfach, sich in Ärger, Ressentiments und Rachegedanken zu ergehen. Aber es tut uns nicht gut. An Groll festzuhalten kann uns zerfressen. Ganz schön schlimm zerfressen. Es ist so wichtig zu vergeben, damit wir unseren inneren Frieden, unsere Hoffnung, Dankbarkeit und Freude finden. Wenn wir Leuten vergeben, die uns verletzen, können wir weiter ziehen. Manchmal hilft es auch, zu versuchen, in ihren Schuhen zu laufen, sie zu verstehen, Empathie und Mitleid für sie zu fühlen. 

 Eure Conny Wenk.

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Bienchen sammeln

Wir haben das, was Martin Dornes in „Die Modernisierung der Seele“ ein verhandelndes Kind nennt. Diese kleine Tyrannin überrascht uns täglich gleichermaßen wie sie uns zur Weißglut treibt. Und immer wieder diskutieren wir darüber, wie wir mit Wutanfällen, Verweigerungen, Boshaftigkeit oder Nölerei umgehen sollen ohne sie zu strafen oder zu brüllen. Was die Omas schon früh gewusst hatten ist, dass Schokolade oder Bonbons etwas Magisches haben, wofür alles getan wird. Nach den Oma-Urlauben war es immer schwer, dem Kind abzugewöhnen, für jeden (Töpfchen-)Scheiß etwas Süßes zu verlangen. Trotzdem zieht natürlich jede Art von positiver Motivation. Jedenfalls ist im Moment wieder Grenzen-Austesten angesagt und eine Heulattacke jagt die andere. Also haben wir heute ein Spiel abgemacht: Wir haben 10 Bienchen gebastelt. Von nun an gibt es für jede gute Tat (z.B. alleine Anziehen, Spielzeug aufräumen, im Haushalt helfen, alleine Zähne putzen) ein Bienchen. Wenn sie 10 Bienchen gesammelt hat, bekommt sie etwas Süßes oder wir unternehmen mit ihr etwas Schönes. Heute wollte sie sofort Bienchen sammeln, hat viel geholfen und drei Bienchen verdient. Sie hat auch nicht gehauen (fürs Hauen gibt es Sandmann-Verbot). Mal gucken, ob die Bienchen-Sammelei auch länger attraktiv bleibt. Hat jemand noch andere Ideen, wie man eine Dreijährige positiv motivieren kann?

Gute-Taten-Spiel