Jeder Mensch braucht dann und wann ein bisschen Wüste

Warum Russland? Und warum war ich so verrückt, beide Kinder dort zu bekommen?

Diese beiden Fragen werden mir ziemlich häufig gestellt. Meist erzähle ich dann irgendeinen Quatsch, weil ich so genau über diese beiden Fragen nie nachgedacht hatte. Es hat sich alles einfach ergeben. Wir waren damals unzufrieden in unseren Jobs in Berlin, wir wollten beide noch mehr von der Welt sehen, wir hatten beide ein Jahr in russischsprachigen Ländern gelebt und wollten Russisch noch richtig beherrschen und wir wollten gemeinsam etwas erleben. Na und da Sascha dann den Job in Irkutsk bekommen hatte und ich bald auch dort was fand, landeten wir in Sibirien. Und das fühlte sich gut an.

Kinder wollten wir von Anfang an. Sie waren nicht in Russland eingeplant. Aber ich hatte auch nichts dagegen einzuwenden. Viele Kollegen und Freunde hatten in verschiedenen Irkutsker Geburtskliniken entbunden. Warum also nicht? Und abgesehen von der mangelnden Freundlichkeit und Herzlichkeit – die ich kannte und erwartete – war ja auch alles in Ordnung. Das Einzige, was ich damals unterschätzt hatte, war, dass medizinische Betreuung nicht alles ist in einem so wichtigen Lebensabschnitt. Der Austausch mit anderen Schwangeren und nach der Geburt mit jungen Muttis hat mir enorm dann in Sibirien gefehlt. Nach der Geburt von Anatol hatte ich ja Kontakt zu mehreren anderen Muttis, ich lud sie auch zu uns nach Hause ein. Aber irgendwie blieb ich immer die Ausländerin, die nur für einen begrenzten Zeitabschnitt da ist. Was ja auch klar ist.

Wie war es in Russland? Ist auch so eine Frage, die immer wieder gestellt wird. Zum einen waren diese fünf Jahre für mich von zwei Schwangerschaften und zwei Geburten geprägt. Ich habe also zwei Entdeckungsreisen parallel erlebt: Sibirien und Mutterschaft. Wow. Wie schön. Und zum Teil natürlich auch unglaublich fremd und anstrengend. Auf jeden Fall so voll, dass ich das alles nicht in zwei drei kurzen Sätzen im smalltalk zusammenfassen kann. Zum Ende unserer Zeit dort war ich von all dem Entdecken ja auch etwas erschöpft. Momentan fühle ich mich in Deutschland wohl, weil alles vertraut ist und ich nichts entdecken muss. (Selbst das von so vielen Deutschen verinnerlichte Beamtentum hat sich um keinen Deut verbessert.) Genau wie Sascha hatte ich in Russland auch erst gezögert und wollte nicht nach Deutschland. Immer hatte ich das Gefühl, wir haben noch irgendetwas nicht erlebt oder irgendetwas wichtiges nicht verstanden. Selbst die Lebensgeschichten, die ich mir im Laufe des letzten Jahres von verschiedenen Freunden und Bekannten hab erzählen lassen, haben dieses Gefühl kaum geändert.

Jetzt beginnt etwas Neues. Ich bin 34 und habe die letzten 19 Jahre nie drei Jahre am Stück in Deutschland gelebt. Die nächsten Jahre geht die Reise in mich hinein.

Ein Gedanke zu „Jeder Mensch braucht dann und wann ein bisschen Wüste“

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