Frauen in die russische Politik!

Seit nun fast fünf Jahren erlebe ich in Irkutsk in meinem Kollegen- und Freundeskreis ein interessantes Verhältnis der Frauen zu den Männern. Eine Freundin erzählte mir beispielsweise neulich, dass sie froh ist, dass ihr Ehemann ihr wenigstens „erlaube“, ein eigenes Business zu führen. Gleichzeitig kann sie mit ihm nicht über ihr Geschäft sprechen, da er sie als Ehefrau und nicht als Geschäftsfrau wahrnehmen möchte. Als sie zeitweise mehr Geld als er verdiente, scheute sie sich mit ihm über Geld zu sprechen. Es wäre für ihn ein offensichtlicher Ehrverlust gewesen. Ein anderes Beispiel ist eine Studentin, die vor zwei Jahren in meinem Unterricht zum Thema „Equal Pay Day“ sagte, sie findet es gut und richtig, dass Männer mehr Gehalt bekommen, da sie ja auch verantwortungsvollere Arbeit leisten. Auch berichtete mir eine Kollegin mit sehr guten Deutschkenntnissen, dass sie sich nicht auf ein Deutschland-Stipendium bewerben möchte, weil ihr Mann nicht will, dass sie dorthin geht. Stattdessen wünsche er sich Kinder. Täglich beobachte ich, wie kleine Mädchen auf dem Spielplatz ausgeschimpft werden, weil sie ihre Kleidung nicht beschmutzen sollen, während Jungs wild spielen dürfen. Auch die Kindergärtnerin und unsere Kinderärztin möchten alles nur mit mir als Mutter besprechen und nichts mit dem Vater, der sich von ihnen aus der Erziehung ausgeschlossen fühlt. Immer wieder erzählen mir Bekannte, dass deren Ehemänner das ganze Wochenende auf dem Sofa liegen, nichts tun, bei jeder Bitte stöhnen und eigentlich nur von oben bis unten bedient werden möchte. Eine Sprachlehrerin an der Schule erzählte, dass ihre Arbeit von ihrem Ehemann nur als „Hobby“ bezeichnet wird, da sie ja dafür so wenig Geld bekommt, dass man das „nicht ernst nehmen könne“. Wenn die junge Juristin erzählt, dass junge Frauen am Gericht eine Erklärung unterschreiben müssen, in den nächsten drei Jahren keine Kinder zu bekommen, bevor sie eingestellt werden können, kann ich das kaum glauben. Und auch an der Universität existieren Strukturen, in denen Männer in einer extra für sie eingerichteten Position sitzen, in der sie nichts weiter zu tun haben, als Eröffnungsreden bei Veranstaltungen zu halten. Während alle Mitarbeiterinnen ihnen nach dem Munde reden, werden sie heimlich belächelt. Ich könnte die Liste noch ewig weiter führen, denn fast täglich werden mir solche Geschichten erzählt. Und immer wieder sagen mir diese Frauen, dass sie gleichberechtigt sind und, dass sie mit Frauenbewegungen oder gar Feminismus absolut nichts anfangen können.

Aber es gibt sie. Die Frauen in Russland, die etwas verändern wollen und mit der Situation mehr als unzufrieden sind. Nur sind es noch wenige. Zudem sind sie noch nicht genug organisiert und eindeutig viel zu wenig in politischen Gremien vertreten. Nadeschda Schwedowa, Politologin und Leiterin des Zentrums für Politik- und Sozialforschung am Institut für USA- und Kanada-Studien der Russischen Akademie der Wissenschaften, bestätigt:

Das unzureichende Bewusstsein der Aktivistinnen in Bezug auf ihre bürgerlichen Rechte, die Unterschätzung der Notwendigkeit politischer Beteiligung, die zu schwach ausgebildete Verbindung von feministischer Theorie und Praxis der Frauenbewegung sind ein Manko. Die soziale Basis der Bewegung muss erweitert werden, es muss an Koalitionen gearbeitet werden, sowohl zwischen Frauen-NGOs untereinander als auch mit anderen Organisationen, einschließlich politischer Parteien und Gewerkschaften.

Auch sie plädiert für mehr Frauen in öffentlichen Ämtern. Zu Sowjetzeiten gab es zwar schon eine 30-Prozent-Frauenquoten im Obersten Sowjet, aber dieser war nur ein dekoratives Gremium, indem keine wichtigen Entscheidungen getroffen wurden. Praktisch regierte das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei und das Politbüro. Dort gab es jedoch in der gesamten sowjetischen Geschichte nur eine einzige Frau, die Kulturministerin Jekaterina Furzewa.

Warum distanzieren sich aber so viele Frauen in Russland vom Feminismus? Antwort darauf fand ich bei Olga Woronina, Doktorin der Philosophie und Direktorin des Moskauer Zentrums für Genderforschung:

Weil in Russland ein höchst unansehnliches Bild vom Feminismus geschaffen wurde. Besonders intensiv hat es sich Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre herausgebildet. Mit der Perestroika setzte in den Medien ein kritischer Pathos ein, der nicht gegen die Gesellschaft gerichtet war, die die Frauen diskriminiert, sondern gegen die Frauen selbst, indem ihnen, neben anderen ‚Sünden’, vorgeworfen wurde, ihre „natürliche Bestimmung“ vergessen zu haben. Gleichzeitig entstand ein Bild vom Feminismus als einer militant gegen Männer eingestellten Bewegung, die von Frauen gebildet wird, die im Privatleben nicht erfolgreich, nicht schön und aller Wahrscheinlichkeit nach lesbisch sind…. Das ist das karikaturhafte Bild der krummbeinigen Blaustrümpfe. Und die Frauen wollen nicht mit diesem Bild assoziiert werden.

Einen historischen Überblick über den Aufstieg der Frauenbewegung in Russland beschreibt Jelena Maximowa anhand der Artikel zum Frauentag (8. März) in der noch heute erscheinenden Zeitschrift Rabotniza („Arbeiterin“). In ihrem Text „Vom Marxismus zum Sexismus“ heißt es:

[…] In Russland wurde der Frauentag erstmals 1913 in Moskau und St. Petersburg begangen. 1914 fand er auch in Saratow, Samara, Iwano-Wosnessensk und Kiew statt. Zu dieser Zeit erschien auch die erste Ausgabe der Zeitschrift Rabotniza („Arbeiterin“), deren Gründung auf eine Initiative der Fraktion der Bolschewiki in der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (RSDAP) zurückging. Auf der ersten Seite der Rabotniza war zu lesen: „Die Zeitschrift verfolgt das Ziel, die Interessen der Frauenarbeiterbewegung allseits zu verteidigen.“ [….] In der Rabotniza Nr. 7 des Jahrgangs 1930 ist zu lesen: „Die millionenstarken Massen der Frauen in der UdSSR sind herangewachsen und haben einen derart bedeutenden Platz für den Aufbau des Sozialismus eingenommen, dass ihr weiteres Wachstum nur durch die ganze Partei geleitet werden kann“. [….] In den Nachkriegsjahren ist die Frau „die Reserve der Arbeiterklasse“, und am 8. März bringt sie „in unermüdlicher Arbeit“ die sowjetische Wissenschaft voran, erhöht die Arbeitsproduktivität und erzieht die Kinder. […] Mit Beginn der 1990er Jahre verschwinden praktisch nicht nur die Glückwünsche zum Feiertag von den Seiten der Rabotniza, sondern es wird der 8. März sehr oft überhaupt nicht mehr erwähnt; und wenn, dann im Kontext von „Liebe Männer, schenkt den Frauen Blumen!“ […]

Maximowa resümiert, dass aus dem einstigen Tag des Kampfes für die Gleichberechtigung der Frauen in unserer Zeit ein Tag geworden ist, der die Quintessenz des Sexismus markiert.

Das Bildungsniveau der beschäftigten Russinnen soll heute viel höher sein, als das der Männer. Russische Frauen arbeiten aber nicht nur im Bildungs- und im Gesundheitswesen, sondern auch im produzierenden Gewerbe (Hier sollen 49 % der Beschäftigten Frauen sein). Zudem kümmern sie sich meist ohne Unterstützung der Männer um Hausarbeit und Kindererziehung. Soja Chotkina, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für soziale und wirtschaftliche Probleme der Bevölkerung an der Russischen Akademie der Wissenschaften schreibt:

Frauen wird für ihre Arbeit weniger gezahlt, nicht nur deshalb, weil unter ihnen viele geringbezahlte Lehrerinnen und Putzfrauen zu finden sind, und unter den Männern hochbezahlte Vorgesetzte und Minenarbeiter. Nach Angaben von Arbeitsvermittlungsfirmen werden an den selben Arbeitsplätzen männlichen Managern 25-30 % mehr Gehalt geboten als deren weiblichen Mitbewerberinnen.

Seit Anfang der 90er Jahre spricht man in Russland sogar von einer „Renaissance des Patriarchats“. Genderforscherinnen bezeichnen damit die verstärkte Diskriminierung der Frau auf dem Arbeitsmarkt, das Abdrängen der Frauen in den Bereich der Hausarbeit und die Verbreitung einer anhaltenden Frauenarmut.

Der moderne russische Trend, so die Genderforscherin Olga Sdrawomyslowa, besteht darin, dass mit traditionalistischer Ideologie und Politik führende Positionen im öffentlichen Raum eingenommen werden. Hierzu gibt es kein Gegengewicht; es fehlen jetzt praktisch jene kritische Reflexion oder sozialen Bewegungen, die auf diese Genderherausforderung antworten würden. Auf die Frage, was denn am traditionalistischen Ansatz falsch sei, antwortet Sdrawomyslowa:

Wir leben im 21. Jahrhundert, und die historisch erkämpften Werte – Menschenrechte, die Würde der Person und die Gleichberechtigung der Geschlechter – lassen sich nicht mehr abschaffen. Das Fehlen einer so wesentlichen Modernisierungskomponente wie Gleichstellung der Geschlechter wirft die Gesellschaft zweifellos ins Archaische zurück.

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