Wenn ein Angehöriger mit Trisomie 21 psychisch erkrankt

Mein Kollege Jens Wittpennig ist Psychologe und Psychotherapeut für Menschen mit Lernschwierigkeiten. Im Interview erzählte er mir über seine Erfahrungen in der Therapie mit jungen Menschen mit Trisomie 21.

Seit wann arbeitest Du als Psychotherapeut?

Seit 2010 arbeite ich in der psychotherapeutischen Ambulanz in der Evangelischen Stiftung Alsterdorf.

Hast Du von Anfang an immer Menschen mit Lernschwierigkeiten therapiert?

Wir haben in Alsterdorf auch Menschen ohne Beeinträchtigungen therapeutisch behandelt. Das war von Beginn an unser Dilemma: Auf der einen Seite möchten wir in Alsterdorf Inklusion leben und vor diesem Hintergrund natürlich eine psychotherapeutische Ambulanz für alle sein. Auf der anderen Seite ist es für Menschen mit einer Lernbeeinträchtigung enorm schwer, auf dem freien Markt einen Therapeuten zu finden, weshalb wir natürlich gerade diese Patienten versorgen müssen und wollen. Wir haben einen Spezialauftrag für diese Personengruppe. Viele Menschen mit Beeinträchtigungen, die eine Therapieanfrage bei einem niedergelassenen Therapeuten stellen, bekommen häufig die Antwort: „Gehen Sie lieber nach Alsterdorf, mit behinderten Patienten kenne ich mich nicht aus!“ Menschen mit Beeinträchtigungen sind die am schlechtesten versorgte Patientengruppe der Psychiatrie. Es ist also wichtig, eine Spezialambulanz zu sein.

Leider sind wir hier als Spezialambulanz gedeckelt, d.h. wir dürfen nur eine bestimmte Anzahl an Patienten pro Quartal psychiatrisch, psychotherapeutisch behandeln. Menschen ohne Behinderung würden also die notwendigen Therapieplätze für Menschen mit Behinderung blockieren. Momentan haben wir hier folgende Situation: Menschen ohne Behinderung, die sich bei uns vorstellen, verweisen wir bspw. an das zuständige Sektorkrankenhaus. Bei Menschen mit Behinderung schauen wir zunächst, ob die Person nicht doch woanders psychotherapeutisch behandelt werden kann, da wir eine Wartezeit von ca. einem Jahr haben.

Ich war früher Sozialarbeiter bei Leben mit Behinderung Hamburg. In dieser Funktion hatte ich häufig Menschen ambulant begleitet. Schon damals bin ich häufig zu Psychotherapeuten oder Fachärzten und habe gebeten: Bitte schauen Sie sich den Menschen erst einmal an und reden Sie einmal mit ihm, bevor Sie ein Urteil fällen und ihn gleich ablehnen. In den Köpfen vieler Psychotherapeuten ist immer noch dieses Bild von einem Menschen mit Behinderung, der nicht reflektieren kann, nicht sprechen kann usw., die haben ganz wilde Phantasien über Menschen mit Behinderung. Selbst dann noch, wenn man ihnen sagt, das ist ein Mensch mit einer leichten Lernbeeinträchtigung, der gut reflektieren kann, der gut im Kontakt und schwingungsfähig ist und der auch gut ein eigenes Ziel für die Psychotherapie formulieren kann. Als Sozialarbeiter oder Assistent war es schon damals wie Klinkenputzen gehen. Mittlerweile ist es etwas besser geworden für Menschen mit einer leichten Lernbeeinträchtigung. Aber sobald ein Mensch etwas schwerer beeinträchtigt ist, ist es unglaublich schwierig, einen Psychotherapeuten zu finden. Viele Therapeuten haben den Eindruck, dass sie dafür nicht ausgebildet sind. Und das ist ja auch nicht ganz falsch, denn Menschen mit Behinderung kommen in der Ausbildung von Psychotherapeuten nicht vor.

Unterscheidet sich die Psychotherapie bei Menschen mit einer Lernbeeinträchtigung?

Ja, auf jeden Fall. Die klassische Richtlinientherapie ist bei Menschen mit einer geistigen Behinderung meist nicht so möglich. Die Diagnostik ist aufwendiger und schwieriger. Therapeutische Prozesse dauern meist viel länger als üblich vorgesehen. Eigentlich finanzieren Krankenkassen ja nur die klassische Richtlinientherapie mit einem bestimmten Anzahl von Therapiestunden. Auch methodisch gibt es Unterschiede. Ich nutze zum Beispiel viele Methoden aus der Kinder- und Jugendpsychotherapie. Ich arbeite auch viel mit Visualisierungen oder Bildern, weil es den Klienten dann leichter fällt, etwas zu beschreiben.

Wenn man zum Beispiel einen Patienten mit einer geistigen Beeinträchtigung mit mangelnder Impulskontrolle hat, dann fällt es diesem sehr oft schwer, theoretisch über solche Situationen zu sprechen. Es ist dann leichter, mit ihm solche Situationen direkt bspw. in Rollenspielen durchzuspielen oder mit ihm zusammen zum Bäcker zu gehen und dann dort gemeinsam zu überlegen, was da mit ihm passiert, wenn er sauer wird, weil er z.b. warten muss, und was er ändern könnte. Bei mir im Büro sind diese Personen natürlich nicht angespannt, sie fühlen sich wohl und es fällt ihnen hier schwer, sich in Situationen hinein zu versetzen, in denen sie Anspannung oder Druck erleben. Das Abstraktionsniveau reicht dafür oft nicht aus. Viel leichter ist es, wenn wir zusammen solche Situationen im konkreten Tun erleben und dann direkt darüber sprechen können.

Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass ich bei „normaler“ Psychotherapie nicht unbedingt das Umfeld in die Therapie mit einbeziehen würde, also zum Beispiel Partner oder Angehörige oder Mitbewohner. In der Therapie mit Menschen mit Behinderung ist das häufig notwendig. Auch hier fällt es den Patienten oft schwer, Beziehungs- oder Handlungsziele, die wir hier in der Therapie besprechen, dann an anderen Orten mit anderen Menschen bspw. in der Wohngruppe umzusetzen oder anzuwenden. Das ist ja häufig auch für psychisch erkrankte Menschen ohne Behinderung schon sehr schwer.

Bei traumatisierten Menschen mit Behinderung ist wichtig, wenn wir in der Psychotherapie Techniken zur Entspannung und Regulation einüben, dass die Angehörigen oder die Betreuer in den Wohngruppen diese Techniken kennen und dem Menschen ggf. helfen können, sie dann bei Bedarf anzuwenden, sie also anleiten können.

Es kann auch schon mal passieren, dass ich bei Patienten mit in die Werkstatt oder zum Arbeitsplatz gehe und den Leuten dort sowohl die Behinderungsform als auch das psychische Störungsbild erkläre. Ich hatte mal einen Klienten, der mir erzählte, seine Arbeitskollegen beschweren sich permanent darüber, dass er so langsam sei. Da bin ich dort hin gefahren und habe denen erklärt, was Trisomie 21 ist, dass die Langsamkeit häufig syndromspezifisch ist und es absolut keinen Sinn machen würde, ihn anzutreiben oder unter Druck zu setzen. Das würde nur das Gegenteil bewirken. Dann hat man jemanden, der am Ende nur auf dem Boden sitzt, an die Wand starrt und total blockiert. Syndromspezifische Besonderheiten und psychische Erkrankungen bedingen sich natürlich häufig.

Die meisten Psychotherapeuten meinen ja, sie seien dafür nicht ausgebildet. Woher weißt Du wie man das macht?

Das Besondere hier an unserer psychotherapeutischen Ambulanz ist eigentlich, dass die meisten Kolleginnen und Kollegen, die hier arbeiten oder gearbeitet haben, schon vorher in der Eingliederungshilfe tätig waren (z.B. als Krankenschwester, als Sozialarbeiter in Wohngruppen, als Psychologen beim psychosozialen Dienst, oder als Physiotherapeutin usw.) und sich später als Psychotherapeuten mehr oder weniger autodidaktisch speziell für diese Zielgruppe weitergebildet haben. Die Versorgungslücke war uns allen schon damals in anderen Funktionen in der Eingliederungshilfe aufgefallen. Dagegen wollten wir etwas unternehmen. Aber die Versorgungssituation hat sich ja leider immer noch nicht wesentlich verbessert.

Was meinst Du, warum so viele Psychotherapeuten sich die Therapie mit Menschen mit Behinderung nicht zutrauen?

Im Grunde reden wir über Integration und Inklusion erst seit den 1980er Jahren. Davor lebten Menschen mit Behinderung noch in zum Teil geschlossenen Anstalten wie hier in Alsterdorf. Eigentlich ist es noch gar nicht so lange, dass Menschen mit Behinderung in ambulant betreuten Wohngruppen leben oder auch auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten, also, dass sie im Stadtbild zu sehen sind. Noch heute ist es oft so, dass die meisten Menschen wenig oder gar keinen Kontakt zu Menschen mit Behinderung haben. Und wenn Du so ein Psychotherapeut bist, der noch niemals in Berührung mit einem Menschen mit Behinderung gekommen ist, dann hast Du das einfach gar nicht auf dem Radar. In der Ausbildung von Psychotherapeuten und Psychiatern ist die Arbeit mit Menschen unter der Bedingung einer Beeinträchtigung kein Ausbildungsbestandteil. Ab und zu halten wir einen Vortrag bei der Psychotherapeutenkammer und hören dann oft, dass die Kollegen zum Beispiel gar nicht wissen, dass die Versorgungslage in dieser Zielgruppe so schlecht und Psychotherapie überhaupt möglich ist.

Gibt es etwas, das man aus der Therapie mit Menschen mit einer Lernbeeinträchtigung für die „normale“ Therapie lernen kann?

Auf jeden Fall. Ich mache ja auch Führungskräftecoaching und bin als Supervisor tätig. In der Psychotherapie mit Menschen mit einer Lernbeeinträchtigung lernt man, einfach zu kommunizieren und Dinge auf den Punkt zu bringen. Das hat mir als Coach sehr geholfen. Ganz oft haben mir früher Patienten gesagt, dass ich so komplizierte Fragen stelle. Oder auch, dass mein Satz zu lang war und ich das nochmal kurz sagen soll.

Ist es schon einmal vorgekommen, dass Du nach ein, zwei Sitzungen festgestellt hast, dass eine Psychotherapie nicht das Richtige ist für eine Person?

Ja, das passiert. Nichtbehinderte Patienten kommen ja in der Regel zum Psychotherapeuten und haben ein konkretes Anliegen. Ich habe zum Beispiel eine Patientin, die in ihrer Wohngruppe oft übergriffig angefasst wird. Das will sie nicht. Sie kann dies auch formulieren: „Ich möchte lernen, meine Grenzen deutlich zu machen.“ Unsere Klienten kommen aber meist, weil sie irgendwelche Schwierigkeiten haben, können aber oft kein eigenes Anliegen formulieren. Wenn Patienten aber ausschließlich die anderen thematisieren und Schuldzuweisungen aussprechen, es jedoch nicht schaffen, sich selbst oder das eigene Handeln zu thematisieren, dann müssen wir überlegen, ob etwas anderes als Psychotherapie hilfreicher wäre, eventuell Beratungsgespräche in der Wohngruppe oder eine Fallberatung.

Das haben wir auch bei Klienten, die ihre Impulse nicht unter Kontrolle haben, zum Beispiel aggressiv werden, aber eine Psychotherapie nicht möglich erscheint. Menschen mit einem FASD, also Menschen, die durch übermäßigen Alkoholkonsum der Mutter im Mutterleib geschädigt wurden, haben z.B. oft eine schwere neurologische Störung, bei der der Frontallappen des Gehirns betroffen ist. Dies führt dann dazu, dass sie ihre Impulse kontrollieren möchten, aber es häufig einfach nicht können. Die betroffenen Personen leiden im Nachgang dann unglaublich, fühlen sich sehr schlecht, wenn sie jemanden geschlagen oder gebissen haben. Aber in dem Moment schaffen sie es nicht, die Aggression zu kontrollieren. Auch dann versuchen wir dem Umfeld Beratungsgespräche anzubieten. In welcher Situation wird der Bewohner aggressiv? Kann das Umfeld versuchen, besser damit umzugehen? In solch einem Fall kann man dem Umfeld klar machen, dass die Person die Impulskontrolle aus neurologischen Gründen nicht schafft und die Regulierung von außen benötigt, oder dass man derartige Stresssituationen, in denen es zu solchen Impulsausbrüchen kommt, möglichst von vornherein vermeidet. Als Psychotherapeuten suchen wir immer nach dem Stressor, der ein bestimmtes abweichendes Verhalten verursacht hat. Und damit einher gehen dann natürlich auch häufig Fragen wie: „Ist die Person dort in der Wohngruppe wirklich gut aufgehoben?“ oder „Ist er/sie in der Arbeitsstelle völlig über- oder unterfordert?“ Bei Menschen mit Behinderung ist ganz häufig das System, in denen sie leben oder arbeiten, das eigentliche Problem oder zumindest stark daran beteiligt. Personenzentriertes Arbeiten ist immer noch die Ausnahme.

Werden die Menschen dann von den Wohngruppen oder Werkstätten zu Dir geschickt, damit Du sie therapierst, obwohl sie selbst das Problem sind?

Ja, häufig. Ich hatte kürzlich einen Patienten, da hat die Werkstatt gesagt, dass er erst wieder dort arbeiten darf, wenn er eine Psychotherapie gemacht hat. Es ging hier konkret darum, dass er sexuell übergriffig gegenüber einer Werkstattkollegin wurde. Die Situation war die, dass er in diese Kollegin verliebt war und sie wohl auch in ihn. Allerdings hatte sie eine Missbrauchserfahrung, von der er nichts wusste. Er war aber auch äußerst unwissend und ungeschickt, was behutsame Annäherung angeht. Es ging dem Patienten definitiv nicht darum, die Kollegin sexuell zu nötigen. Nach unseren Gesprächen habe ich gemerkt, dass er eher einen Flirtcoach braucht und jemanden, der ihn sexuell aufklärt und wie man sich dem anderen Geschlecht langsam nähert und wie man sich verhält, wenn man verliebt ist. Das Interessante an der Geschichte ist, dass die Gruppenleitung in der Werkstatt das alles schon super mit den beiden gemanagt hatte und es kein wirkliches Problem mehr gab. Er hat verstanden, dass er zu weit gegangen ist und sie konnte sich trauen, nein zu sagen. Man hätte es dabei belassen können. Aber dann wurde der Mann pathologisiert und als Sexualstraftäter dargestellt. Er saß dann bei mir in der Therapie und war fix und fertig, weil er gar nicht wusste worum es geht. Er dürfe erst wieder in die Werkstatt arbeiten kommen, wenn er seinen Sexualtrieb in den Griff bekäme.

Ein anderer Klient wurde von der Werkstatt zu mir zur Therapie geschickt, weil er angeblich faul, antriebslos und depressiv sei. Er komme nicht mehr zur Arbeit. Dann saß er hier bei mir im Büro und erzählte mir, dass er den ganzen Tag Schrauben verpacken muss und wenn es nichts zu tun gibt, dann werden Mandalas ausgemalt. „Dies ist doch keine Arbeit Herr Wittpennig!“ Als ich ihn fragte, warum er da noch hin geht, antwortete er, dass er ja eben nicht mehr hin ginge und deshalb hier sitze. Er wünsche sich auf dem ersten Arbeitsmarkt mit Autos zu arbeiten. In der Werkstatt wurde ihm gesagt, dass er erst auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten könne, wenn er in der Werkstatt zeige, dass er jeden Tag pünktlich sei und fleißig mitarbeite.

Lass uns mal noch konkret über psychische Erkrankungen bei Menschen mit Trisomie 21 sprechen. Welche psychischen Erkrankungen treten bei ihnen am häufigsten auf?

Viel häufiger als bei anderen haben wir es bei Menschen mit Trisomie 21 mit Selbstwert-Themen zu tun. In Gruppen mit Gleichaltrigen merken sie häufig, dass sie langsamer verstehen und handeln oder insgesamt langsamer sind. Ihnen fehlen häufig die Erfolgserlebnisse. Oft kommt es dann zu Misserfolgsvermeidungsstrategien, also dazu, dass sich Menschen mit Trisomie 21 gar nicht mehr trauen, etwas Neues zu machen, weil sie Angst haben zu scheitern. Das würde uns ja auch so gehen. Wenn wir 15 Mal etwas versuchen und es misslingt, dann machen wir es meist kein 16. Mal. Viele junge Erwachsene mit Trisomie 21 merken dann, dass sie anders als andere sind. Manche meinen, sie wären nur noch dumm und behindert. Da gibt es dann meist drei Abwehrmöglichkeiten: Die einen werden aggressiv, wenn neue Anforderungen an sie gestellt werden. Andere flüchten, z.B. in Süchte wie Esssucht, Spielsucht oder Alkoholsucht. Und dritte stellen sich tot, d.h. sie setzen sich dann einfach hin und verweigern alles, sprechen manchmal nicht mal mehr. Selbstwert-Themen gehen meist einher mit Depressionen. Menschen mit mittelgradiger geistiger Behinderung flüchten dann auch oft in ihre Phantasie. Ich hatte zum Beispiel einen Klienten mit Trisomie 21, bei dem wurde vermutet, dass er wahnhaft sei, weil er immer in Anspannungssituationen mit einer ganz tiefen Stimme sagte, dass er der schwarze Magier sei und dann sprach er auch als dieser zu seinen Mitmenschen. Und dann habe ich bei ihm einen Hausbesuch gemacht und festgestellt, dass er totaler Manga-Fan ist. Da habe ich schnell verstanden, dass er nicht wahnhaft ist, sondern Rollenspiele spielt. In den Comics ist der schwarze Magier sehr mächtig und er wollte eben auch groß, stark und mächtig sein.

Bei einer anderen Patientin mit Trisomie 21 war das ähnlich. Sie machte sich immer gelbe Kontaktlinsen rein, schminkte ihr Gesicht weiß und trug Star-Trek-Uniformen bei der Arbeit. Auch bei ihr vermutete man zunächst, dass sie wahnhaft sei. Dann stellte sich heraus, dass sie Raumschiff Enterprise mag und sich als Data ausgab. Bei Raumschiff Enterprise ist Data der Roboter Humanoide, der menschlich sein möchte. Mit dieser Rolle fühlte sie sich verbunden, weil Data auch anders als die anderen war. Und jetzt geht die junge Frau mit Trisomie 21 sogar auf Star-Trek-Conventions und hat schon Preise gewonnen für ihre gute Data-Performance. Und bei diesen Conventions fühlt sie sich total zugehörig, das stärkt sie. Vor allem aber, weil dort niemand nach ihrer Behinderung fragt. Hier ist sie wie allen anderen auch.

Bei einigen Menschen mit Trisomie 21 kommen zur Selbstwert-Thematik auch Traumata hinzu. Ausgelöst bspw. durch körperliche Einschränkungen, durch erlebte Operationen oder längere Krankenhausaufenthalte. Manchmal gleich nach der Geburt, so dass der Bindungsaufbau mit den Eltern erschwert war.

Bei manchen Erwachsenen mit Trisomie 21 ist auch nicht ganz klar, ob es sich bei der Persönlichkeitsveränderung um eine psychische Erkrankung handelt, oder ob es sich eventuell auch um eine frühe Form der Demenz handeln könnte. Daran muss man bei diesen Patienten leider auch immer denken.

Meinst Du, dass Menschen mit Trisomie 21 psychisch gesünder bleiben in Sonderschulen und Werkstätten, weil sie dort ja weniger abgehängt werden bzw. mehr Erfolgserlebnisse in der Gruppe haben können?

Nein, das würde ich so nicht sagen. Man kann Menschen mit Trisomie 21 nicht als eine homogene Gruppe über einen Kamm scheren. Wenn man einen Menschen mit Trisomie 21 kennt, dann kennt man einen Menschen mit Trisomie 21. Kennst Du einen Borderliner, dann kennst Du einen Borderliner. Ich habe Patienten, die hätten vielleicht in einer Förderklasse besser gelernt als in einer Inklusionsklasse. Aber auch nur, weil sie in der Inklusion häufiger mit dem Schulbegleiter allein 2 + 2 rechnen mussten, während der Rest der Klasse binomische Formeln durchgegangen ist. Natürlich fühlte er sich nicht gut, immer nur mit dem Schulbegleiter zu sitzen. An dieser Stelle war Inklusion dann einfach schlecht gemacht. Umgekehrt hatte ich aber auch einen Patienten, den die Eltern auf eine Förderklasse geschickt hatten aus Angst vor Überforderung. Dieser meint aber im Nachhinein zu mir, er hätte mehr gekonnt. Das Dilemma aller Eltern ist ja genau das. Menschen mit geistiger Beeinträchtigung sind häufig unterfordert und häufig überfordert. Die passende Schule und die passende Arbeitsstelle zu finden, ist nicht leicht.

Gibt es bestimmte Lebensphasen, in denen Menschen mit Trisomie 21 besonders gefährdet sind, psychische Erkrankungen zu erleiden?

Ja, insbesondere in Übergangssituationen: also der Übergang von der Kita in die Schule, von der Schule in die Arbeitswelt. Aber auch die Pubertät ist eine extrem schwierige Phase der Identitätsentwicklung, wenn einem z.b. die eigene Geschlechtsidentität bewusst wird. Im Kitabereich sind die meisten Kinder mit Trisomie 21 ja inklusiv mittendrin. In der Schule sind es dann schon viel weniger, die inklusiv beschult werden. Und auf dem ersten Arbeitsmarkt ist kaum noch ein Mensch mit Trisomie 21 zu finden. Das heißt, dass sie im Laufe ihres Lebens immer mehr raus gedrängt werden, immer mehr erleben, dass sie nicht dazu gehören und anders sind. Ich erinnere mich an eine Patientin mit Trisomie 21, die super tolle Eltern hatte. Sie war immer inklusiv unterwegs, hatte zwar erst nur den Förderschulabschluss, hat dann aber durch ihre Ausbildung doch noch einen Hauptschulabschluss geschafft und nun arbeitet sie auf dem ersten Arbeitsmarkt. Es lief alles gut, sie hat richtig viel geschafft. Und dann saß aber gerade diese junge Frau bei mir und weinte. Ihre kleine Schwester hatte gerade das Abitur geschafft und war mit Ihrem Freund zusammengezogen. Sie berichtete, wie stolz ihre Eltern auf ihre kleine Schwester waren, weil diese das Abitur so gut geschafft hatte. Die junge Frau konnte ihr Traurigkeitsgefühl sehr gut thematisieren und reflektieren. Sie wusste, dass sie das Abitur nicht schafft, dass sie niemals so leistungsfähig sein würde wie ihre Schwester, und dies belastete sie im Vergleich sehr.

Aber die Leistungsfähigkeit der jungen Dame mit Trisomie 21 ist ja nun wahrscheinlich wirklich viel geringer als die der meisten anderen Menschen. Es ist also nicht einfach nur ein Gefühl, sondern die harte Realität. Wie kann denn in einer solchen Situation Psychotherapie helfen?

Hier unterscheiden sich Menschen mit Trisomie 21 oder ohne nicht voneinander. Wir müssen alle in unserer Identitätsentwicklung lernen, dass wir gewisse Möglichkeiten und gewisse Grenzen haben. Für manche ist es nicht so einfach zu akzeptieren, dass ihre intellektuellen Fähigkeiten begrenzt sind und z.B. nicht für eine Uniprofessur ausreichen. Andere können in der Entwicklung ihrer Geschlechtsidentität schwer aushalten, dass sie bspw. als Mann nicht der George-Clooney-Typ sind, dem die Frauen zu Füßen liegen. Wiederum andere müssen akzeptieren, dass sie sich nicht immer den gleichen dysfunktionalen Partner suchen sollten. Jeder Mensch muss lernen, an wem er sich orientiert, wer er oder sie ist oder sein will und wie und wo er sich in dieser Gesellschaft verortet. Das hat primär nichts mit Behinderung zu tun.

Lass uns noch zur psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung in Hamburg kommen. Wenn man ein Kind mit Trisomie 21 hat, das psychisch auffällig wird: Was kann man tun?

Im Kinder- und Jugendbereich würde ich mich an das Flehmig Institut oder an das Werner-Otto-Institut wenden. Bei Kindern wird häufig das Umfeld angeschaut. Liegt der Stressor wirklich im Kind oder vielleicht im familiären oder erweiterten sozialen Umfeld? Bei pubertierenden Jugendlichen sollte man nicht jeden Impulsausbruch oder Alkoholmissbrauch pathologisieren, sondern akzeptieren, dass genau solche Verhaltensweisen zur Pubertät dazu gehören.

Und junge Erwachsene mit Trisomie 21?

Theoretisch kann man sich an jeden niedergelassenen Therapeuten wenden. Aber wie zuvor gesagt, häufig landen erwachsene Menschen mit Trisomie 21 dann doch bei uns in Alsterdorf in der psychiatrisch-psychotherapeutischen Ambulanz. Und wenn jemand stärker eingeschränkt ist und eigentlich noch nicht wirklich klar ist, ob es sich um eine körperliche oder eine psychische Erkrankung handelt, dann würde ich hier in Hamburg das Sengelmann-Institut für die medizinische Versorgung von erwachsenen Menschen mit Behinderung im EKA empfehlen. Ich hatte jetzt auch einige Klienten, denen psychisch-funktionelle Ergotherapie gut helfen konnte. Das ist eine Zusatzqualifikation von einigen Ergotherapeuten, bei der es um das Erwerben bspw. sozialer Skills oder Selbstberuhigungstechniken geht. Das ist eine sehr gute Alternative oder Vorbereitung auf eine klassische Psychotherapie.

Und an wen wendet man sich in Akutsituationen?

Bei Akutsituationen unterscheidet sich die Versorgung von Menschen mit Trisomie 21 nicht von anderen. Bei selbst- oder fremdgefährdenden Verhaltensweisen ist das wohnortnahe Sektorkrankenhaus zuständig. Also für Hamburg Eimsbüttel wäre das zum Beispiel das UKE, in Hamburg Nord wäre das das Krankenhaus in Ochsenzoll usw. Das bedeutet, dass der Angehörige mit Trisomie 21 dann in der Akutpsychiatrie landet wie alle anderen Menschen auch in psychischen Akutsituationen. Häufig treffen sie dann auf dort arbeitende Ärzte und Therapeuten, die vielleicht nicht unbedingt um die Besonderheiten bei Patienten mit Trisomie 21 wissen und mit ihnen vielleicht nicht angemessen kommunizieren und umgehen können. Man muss auch sagen, dass die Akutpsychiatrie meist nur eine Akutversorgung darstellt, soviel Psychotherapie findet dort nicht statt. Der Vorteil der Akutpsychiatrie ist, dass der Patient erst einmal aus einer gefährdenden Situation herauskommen kann, und dass man ihn manchmal erst einmal durch Medikamentengabe so beruhigen kann, dass er bspw. wahnfrei und überhaupt psychotherapiefähig wird. Aus der Psychiatrie werden dann die Patienten meist mit einer Psychotherapie-Empfehlung entlassen. Und dann haben wir leider hier in der Ambulanz in Alsterdorf zum Teil Wartezeiten von anderthalb Jahren. Das ist für die Betroffenen eine Katastrophe.

Letzte Frage: Wo siehst Du allgemein die Versorgungslücken in der psychischen Behandlung von Menschen mit Trisomie 21?

Das ist eine sehr große Frage zum Schluss. Das BTHG fordert ja, dass alle Menschen an allen Bildungs-, Wohn-, Freizeit- und Arbeitsangeboten teilhaben können sollen. Das gilt auch für die medizinische oder psychiatrische Versorgung. Das setzt natürlich voraus, dass Fachpersonal wie zum Beispiel Lehrer an Schulen darüber Bescheid wissen, wie man Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam beschult. Dass diese Menschen nicht einfach nur dabei sind, sondern wirklich an einem gemeinsamen Lerngegenstand arbeiten. Lehrer sollten syndromspezifische Besonderheiten kennen, damit sie zum Beispiel auf typische Misserfolgsvermeidungsstrategien angemessen reagieren können. Das gleiche gilt für die Therapeutenausbildung. Das Wissen über Behinderungsformen ist bei vielen Berufsgruppen, auch in der Behindertenhilfe, oft gering. Wenn mir zum Beispiel in der Supervision oder in einer Fallbesprechung Kollegen einer Wohngruppe einen Bewohner lediglich als geistig behindert beschreiben, dann bin ich oft entsetzt. Sie können nicht den Entwicklungsstand präzisieren, das geistigen oder das soziale Entwicklungsniveau richtig einschätzen. Eine Abstufung, ob der Bewohner leicht, mittel, schwer oder schwerst beeinträchtigt ist, gelingt oft nicht. Auch die Sprachfähigkeit können einige nicht gut einschätzen. Aus diesem Nichtwissen entstehen permanent Unterforderungs-, Überforderungs- und damit Konfliktsituationen. Die Sensibilisierung der Profis halte ich für enorm wichtig. Auch die der Ärzte.

Die Tatsache, dass es in Deutschland eine Trennung zwischen allgemeiner Pädagogik und Heil- und Sonderpädagogik gibt, halte ich für falsch. Viele Erzieher arbeiten im Wohnstättenbereich und haben keine Ahnung von Menschen mit mittlerer oder schwerer geistiger Behinderung, weil das in ihrer Ausbildung nicht vorkam.

Um also auf Deine Frage zurück zu kommen: Das größte Versorgungsproblem in Bezug auf die psychische Gesundheit von Menschen mit Trisomie 21 oder auch anderen Lernbeeinträchtigungen ist meines Erachtens, dass Professionelle, die eigentlich für alle Menschen ausgebildet und zuständig sein sollten, dies noch immer nicht sind. Wenn das so wäre, dann bräuchte es keine psychiatrisch-psychotherapeutische Spezialambulanz für Menschen mit geistiger Behinderung.

Das Interview führte ich am 25.10.2023. Es ist in der KIDS aktuell Nr. 49 erschienen.

Dem Sondersystem ausgeliefert

Unser Sohn (11) mit Trisomie 21 geht in die fünfte Klasse einer speziellen Sonderschule. Es fällt mir etwas schwer, über das Thema Schule zu schreiben, weil alles ganz anders kam als wir es uns einst gewünscht hatten. Wir Eltern waren zu seinen Kitazeiten noch davon überzeugt, dass wir jede Art von Parallelwelt für ihn vermeiden können. Wir wollten, dass er sein ganzes Leben lang mitten in der Gesellschaft aufwächst, lebt und lernt.

2015, drei Jahre vor seinem Schuleintritt, bekam die schulische Inklusion in Hamburg mit Gründung des Hamburger Bündnisses für schulische Inklusion Aufwind und machte mir Hoffnung. In den folgenden Jahren wurden ein vielversprechendes Memorandum und mehrere Positionspapiere zur Verbesserung der schulischen Inklusion in Hamburg veröffentlicht, die von über 25 bildungspolitisch aktiven Verbänden und Vereinen unterstützt wurden. Über mehrere Jahre fanden große Fachtagungen am Landesinstitut für Lehrerbildung von und für Hamburger Lehrkräfte statt, die einen Austausch über gelungenen gemeinsamen Unterricht zum Ziel hatten. Mit den Forderungen der Volksinitiative Gute Inklusion konnten sogar mehr Ressourcen für Inklusion an Schulen durchgesetzt werden. Zwar nur in kleinen Schritten, aber dennoch entwickelte sich etwas.

Als unserem Sohn 2017, er war gerade fünf geworden, offiziell der „sonderpädagogische Förderschwerpunkt geistige Entwicklung“ bescheinigt wurde, war das für mich ähnlich befremdlich wie ein paar Jahre zuvor die Entgegennahme des Schwerbehindertenausweises. Ich nahm beide Dokumente wahr wie eine klare Zuweisung in die Sonderwelt, aus die er nie wieder raus kommen wird. Wir hatten es nun schwarz auf weiß in Form behördlicher Dokumente. Beide Male weinte ich sehr, wohl wissend, dass nur mit dieser Art der Etikettierung überhaupt bestimmte Rechte, Ressourcen und Förderungen für unseren Sohn verbunden sind.

Eine schwere Entscheidung

Nachdem wir uns 2018 die Entscheidung für die passende Schule sehr schwer gemacht hatten, ja sogar mit einer Rückstellung diese schwere Entscheidung ein weiteres Jahr hinaus zögern wollten, sind wir letztendlich einen pragmatischen Weg gegangen: Wir entschieden uns für eine Schule, die sowohl nahe unseres Wohnortes als auch nahe meines Arbeitsplatzes liegt, unabhängig von der Schulform.

Im Sommer 2019 kam unser Sohn dann in diese Schule. In seinem ersten Schuljahr begann die Coronapandemie, im zweiten Halbjahr war gleich der Lockdown mit der Schulschließung. Das gemeinsame Lernen im Klassenraum fand über einen längeren Zeitraum nicht mehr statt. Zusätzlich waren wir, wie viele Familien mit Angehörigen mit Down Syndrom, lange unsicher, welche Auswirkungen eine Infektion mit dem Virus speziell auf unsere Liebsten haben würde. Wir trauten uns z.B. mit unserem Sohn erstmals wieder an Sportkursen oder öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen, nachdem die Kinderimpfung offiziell zugelassen wurde. Darin sahen wir einen wichtigen Schutz für ihn, um die gesundheitsgefährdenden Auswirkungen einer Coronainfektion zu mildern. Irgendwann ging dann der regelmäßige Unterricht wieder los.

Seit über vier Jahren geht unser Sohn nun in die Schule. Er fühlt sich in der Klasse wohl, bezeichnet alle seine Mitschüler:innen als Freunde. Mit einigen von ihnen verbringt er auch seine Freizeit. Gemeinsames Lernen mit Kindern ohne Beeinträchtigungen findet in dieser Schule für unseren Sohn und seinen Mitschüler:innen nicht statt, obwohl sich sogar auf dem gleichen Schulgelände eine Grund- und eine Stadtteilschule befinden.

In den ersten beiden Schuljahren unseres Sohnes hatte ich noch versucht, in vielen Gesprächen auf dem Schulgelände eine Elternmehrheit für die Öffnung aller Schulteile zum gemeinsamen Lernen zu gewinnen. Leider stand die Mehrheit der Eltern sowohl in der Grund- und Stadtteilschule als auch im Sonderschulbereich zu dieser Zeit dem gemeinsamen Lernen skeptisch gegenüber. Die Abwehrhaltung der Lehrerschaft und der Schulleitung kamen hinzu. Schließlich kam ihnen dann die Coronapandemie insofern gelegen, dass sie sich über mehrere Monate/Jahre durch die behördlich vorgegebenen Abstands- und Hygieneregeln und die vorgegebene Kohortenbildung nicht mehr mit der Mischung von Lerngruppen beschäftigen mussten.

Jahrelange politische Versäumnisse werden zum privatem Versagen

Vielleicht sollte ich jetzt nochmal mit Eltern, mit Lehrer:innen und Schulleitungen ins Gespräch gehen? Wenn ich nicht weiter für inklusive Bildung und Förderung unseres Sohnes kämpfe, habe ich dann als Mutter versagt? Denn immer wieder erzählen mir irgendwelche Bekannte und Verwandte, dass sie im Fernsehen oder in der Zeitung eine junge Frau oder einen jungen Mann mit Trisomie 21 gesehen hätten, die oder der irgendetwas super Tolles geleistet hätte, einen Schulabschluss erreicht, einen sportlichen Erfolg gehabt, eine anerkannte Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt gefunden hätte oder sogar als Fotomodell tätig wäre. Die Berliner Sozialhelden hatten schon vor vielen Jahren die Medien dafür verurteilt, ausschließlich solche behinderten Superheld:innen darzustellen. Die Leistung dieser Menschen wird dann häufig als Leistung der Eltern oder begleitenden Pädagog:innen oder Trainer:innen gefeiert und nicht als besondere Fähigkeit oder Talent des jeweiligen Menschen mit Down Syndrom. Wenn ein junger Erwachsener mit Trisomie 21 nach der Schulzeit keine Werkstattempfehlung bekommt, sondern in die Tagesförderung soll, dann wird es aber plötzlich doch von allen Seiten dem mangelndem persönlichen Arbeits- und Leistungsvermögen der Person zugeordnet.

Vor Schuleintritt war ich unglaublich optimistisch, was das Aufwachsen und Lernen unseres Sohnes mitten in der Gesellschaft angeht. Diesen Optimismus habe ich in den letzten drei Jahren gänzlich verloren. Für Menschen mit Trisomie 21 wurden und werden in Deutschland seit Jahrzehnten exklusive Strukturen geschaffen: Sie werden in gesonderten Fahrzeugen zu gesonderten Einrichtungen gefahren, von gesonderten Personen unterrichtet, betreut und unterstützt, um anschließend an eigens für sie gestaltete Freizeitaktivitäten teilzunehmen. Den Sonderstrukturen zu entkommen ist fast unmöglich. Nach vier Jahren fällt das Fazit von uns Eltern zum Thema Schule nun ziemlich nüchtern aus. Wir sind froh, dass unser Sohn gern zur Schule geht. Aber die Aussicht auf Teilhabe außerhalb dieses Sondersystems schwindet von Schuljahr zu Schuljahr immer mehr.

Wo Inklusion dran steht, ist selten Inklusion drin

Meinen persönlichen Pessimismus belegen aktuelle Zahlen: Die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit einer Behinderung, die in Hamburger Regelschulen unterrichtet werden, ist in den vergangenen Jahren gesunken. Besuchten im Schuljahr 2016/2017 noch 1177 Jungen und Mädchen mit den Förderschwerpunkten geistige Entwicklung, körperlich-motorische Entwicklung, Hören und Sehen eine Regelschule in Hamburg, so waren es im Schuljahr 2022/23 lediglich 1024. Seit vielen Jahren beschönigt die Hamburger Schulbehörde ihre Inklusionsstatistik durch die steigende Anzahl von Schüler:innen mit den Förderschwerpunkten Lernen, Sprache und emotional-soziale Entwicklung in den Regelschulen. Die Schule unseres Sohnes nennt sich z.B. „Inklusionsschule“ und wird in den Medien als Leuchtturm für inklusive Bildung dargestellt. Tatsächlich werden Schüler:innen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung aber gesondert unterrichtet.

Parallel dazu beobachten wir Eltern in letzter Zeit auch bei fast allen außerschulischen Bildungs- und Freizeitangeboten, an denen explizit „Inklusion“ dran steht, dass ausschließlich junge Menschen mit geistiger Behinderung oder Mehrfachbehinderungen daran teilnehmen. Hinter dem Schlagwort Inklusion verstecken sich oft die alten Sonderstrukturen und traditionelle Denkmuster.

Solange Inklusion auf Freiwilligkeit beruht, ist unser Sohn auf die Gutmütigkeit anderer angewiesen

Auf die Frage, wie sie die Special Olympics wahrgenommen habe, antworte kürzlich die Behindertenaktivistin Laura Gehlhaar in einem Interview für das Magazin EDITION F: „Die Special Olympics haben mich tatsächlich zurück geworfen. Bei sehr vielen Events wurde Inklusion als Herzensangelegenheit bezeichnet, es fielen Aussagen wie Wir müssen die Barrieren in den Köpfen lösen. Da denke ich jedes Mal: Nein. Das ist eben falsch. Über Inklusion müssen wir sehr sachlich und konstruktiv sprechen. Inklusion ist keine Wohltätigkeitsveranstaltung und keine Frage persönlichen Empfindens, sondern ein Menschenrecht. […] Solange Inklusion aus Freiwilligkeit heraus geschieht, sind Menschen mit Behinderung auf die Gutmütigkeit anderer angewiesen.“

2015 schrieben Udo Sierck und Nati Radtke in ihrem großartigen Buch „Dilemma Dankbarkeit“: „Behinderte Menschen gelten schon immer als Dankbarkeitsapostel, die der Aufwertung jener dienen, die sich mit ihnen abgeben.[…] Dankbarkeit kann ein Verhältnis von oben nach unten, von Abhängigkeit und Machtkonstellation widerspiegeln. […] Diese Abhängigkeit verhindert oft ‚Nein!‘ zu sagen und eigene Ansprüche zu formulieren.“

Die derzeit auf viel Zustimmung stoßende, rechtspopulistische und neoliberale Botschaft an Menschen mit Behinderung in Deutschland, lautet wieder: Sei zufrieden mit dem, was Du hast!

Ausgeliefert

Die beschriebenen gesellschaftspolitischen Entwicklungen haben mich in den letzten Jahren sehr ermüdet und erschöpft, phasenweise bringen sie mich an den Rand der Verzweiflung. Um meine persönliche Gesundheit und die unserer Kinder zu schützen, habe ich mich dann zurück gezogen. Noch immer fällt es mir schwer, die Kraft und die Zuversicht für gesellschaftspolitische Kämpfe aufzubringen.

Diese Zurückhaltung geht leider auch einher mit permanenten Gewissensbissen, unseren Sohn einem Sondersystem, das leider in Deutschland für ihn vorgesehen ist, ausgeliefert zu haben.

Dieser Text von mir ist zuerst in der KIDS Aktuell Nr. 48 erschienen, später auch in der Leben mit Down Syndrom Nr. 106.

Anatols Einschulung im August 2019

Wann wird es endlich so, wie es niemals gewesen wäre – Mutterschaft, Familie und Trauer

Eine der häufigsten Empfehlungen von sogenannten Professionellen nach der Geburt unseres Kindes mit Behinderung war, dass ich als Mutter um das gewünschte gesunde Kind trauern sollte, damit ich das geborene Kind mit Behinderung annehmen könne.

Das schien für mich nach der Geburt aber völlig unmöglich, denn erstens war ich stolz und euphorisch über meine eigene „Leistung“ eine weitere Schwangerschaft durchlebt und mit eigenen Kräften ein weiteres Kind geboren zu haben, zweitens kam es mir wie Verrat an meinem gerade geborenen Kind vor, jetzt zu trauern weil es nicht perfekt geboren ist und drittens war mir ein Leben mit einem behinderten Kind aus Mangel an vorherigeren Kontakten mit behinderten Menschen einfach so unbekannt, dass ich mir nichts Schlimmes, Schwieriges oder überhaupt irgendeine mögliche Zukunft vorstellen konnte. Ich stolperte sowieso mit einem Urvertrauen in die Schwangerschaften rein ohne Pränataldiagnostik oder anderem Pipapo, genauso stolperte ich dann weiter als Mutter in jeden Tag hinein mit den beiden Kindern, die ich nun hatte.

Eine weitere häufige Empfehlung der Professionellen war: achten Sie besonders auf das Geschwisterkind. Das sogenannte Schattenkind. UND WIE ICH DARAUF ACHTETE. Jede mögliche freie Minute. (Die freien Minuten gab es nur recht wenig.)

Seitdem hatte und habe ich aber doch sehr regelmäßig Momente unendlicher Trauer. Allerdings nicht um ein vermeintlich gesundes Kind. Sondern ich trauere immer dann, wenn mir meine eigenen Grenzen, meine Angewiesenheit, meine eigene Verwundbarkeit und Endlichkeit bewusst werden und was genau das für mich, meine Familie und meine beiden Kinder bedeutet(e). Gerade die Begrenztheit der eigenen Kraft und Ausdauer und die Gewissheit der Abhängigkeit von anderen Menschen, wollte ich lange Zeit nicht wahrhaben. Vorher war ich Superwoman. Ich hatte Superkräfte und war unsterblich. Manchmal trauere ich um die Stärke und die wahnsinnige Zuversicht, die ich als Jugendliche spürte und die ich, seit ich Mutter bin, nicht mehr habe. Jetzt weiß ich, ich kann meine Kinder nicht immer selbst halten und beschützen.

Natürlich frage ich mich manchmal wie alles gekommen wäre, wenn unser zweites Kind nicht mit einer Behinderung geboren worden wäre. Hätte ich dann nochimmer diese Superkräfte? Hätte ich dann eine ganze Handballmannschaft geboren, wie ich bis dahin immer wollte?

Laut Statistik trennen sich 80 % der Eltern eines behinderten Kindes. Bei Eltern von nichtbehinderten Kindern sind es wohl „nur“ 50%. Es besteht also eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass wir Eltern uns nicht getrennt hätten. Andere Statistiken zeigen: Geschwister von Kindern mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen haben ein erhöhtes Risiko für Entwicklungsschwierigkeiten. Es besteht also auch eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit, dass unser erstes Kind eine ausgeglichenere Familie, Kindheit und Geschwisterbeziehung erlebt hätte. Weiterhin besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass wir Eltern heute, 12 Jahre später, beide beruflich erfolgreicher und finanziell unabhängiger wären. Und natürlich, dass wir jeder viel mehr Zeit hätten.

Mit der Traumfamilie in dem Traumleben, welches wir ohne behindertes Kind wahrscheinlich heute führen würden, würden wir in diesem Moment vielleicht in einem unserer Traumurlaube gemeinsam am Strand spazieren gehen, fröhlich unseren Familien-Lieblingssong singen, eine Flasche vom besten Wein genießen, uns gute Witze erzählen und ausgelassen miteinander lachen. Wir würden morgen mit der ganzen Familie entspannt durch irgendeine Altstadt schlendern, dann eine uralte Bibliothek besuchen bevor wir nach einem gemeinsamen leckeren Abendessen beim besten Griechen ein Konzert der wieder auferstandenen Beatles besuchen würden, auf dem wir alle, einschließlich unseres Familienhundes, die ganze Nacht durchtanzen würden.

Meine Grenzen

Ich mache langsamer.
Ich mache mehr Pausen.

Wenn ich liege, dann liege ich.
Wenn ich aufstehe, dann stehe ich auf.
Wenn ich gehe, dann gehe ich.
Wenn ich esse, dann esse ich.

Ich lerne öfter Nein zu sagen.

Ich achte auf mich, indem ich mich gesund ernähre.
So wie ich anderen eine Freude mache, mache ich auch mir Freuden.

Wanderung durch die Sächsische Schweiz. März 2023

Es braucht ein ganzes Dorf ein Kind großzuziehen

Seit ein paar Wochen fährt Tolja (10) Fahrrad ohne Stützräder. Heute habe ich meiner Mutter ein Video gesendet, wie er sogar um Kurven fährt ohne abzusteigen oder anzuhalten. Ich bin sehr stolz auf ihn, ein weiterer Meilenstein ist geschafft.

M.: Das sieht super aus.
Ich: Finde ich auch. Er kommt gut damit klar.
[…] Aber er hält nicht lange durch. Nach spätestens 300 m ist er k.o. und kann nicht mehr.
M.: Oh.
Ich: Richtig mit einem Ziel sind wir noch nie gefahren. Immer nur die Straße rauf und runter.
M.: Geht das Treten bei dem Fahrrad vielleicht zu schwer?
Ich: Eigentlich nicht. Ich glaube es liegt daran, dass er grundsätzlich wenig Ausdauer hat.
M.: Na dann muss er trainieren. Das ist Übung.
Ich: Hier in der Nähe wohnt ein 15-jähriges Mädchen mit Down Syndrom, das in Anatols Schule geht und jeden Tag allein mit dem Fahrrad zur Schule fährt.
M.: Nee, ich fass es nicht. Toll.
Ich: Ja, man müsste sehr viel Üben. Aber nach dreimal die Straße rauf und runter fahren hat er keine Lust mehr.
M.: Vielleicht dreimal Treppen rauf und runter oder drei Runden um das Haus oder den Garten jeden Tag….
Ich: Du weißt ja wie es ist: er macht alles mit, wenn er dauerhaft einen persönlichen Motivationscoach an seiner Seite hat, der ihm wohl gesonnen und lieb zu ihm ist. Ich war die letzten 11 Jahre seine Animateurin. Aber ich habe glaube keine Kraft das die kommenden 20 Jahre in dieser Intensität so weiter zu machen.
M.: Ja, das kann ich verstehen und auch sehr gut nachvollziehen.
Wenn er das nächste Mal zu uns kommt, werde ich versuchen ihn bei meinem täglichen Gehtraining davon zu überzeugen mit zu machen. Mal sehen.

Ich: Danke Mama.

Es gibt vielerorts keinen Schnee mehr

2022 ging bei mir vieles zu Ende, auch ein wenig mein Glaube an die Menschen, an die Gesellschaft, an Politik und an das gute Leben für meine Kinder. Ich schreibe jetzt darüber, weil ich die Zeit verstehen möchte, in der ich lebe und auch, weil ich meine, dass ich nicht nur individuell als Person darin verstrickt bin, sondern auch andere genauso oder auf ähnliche Weise verstrickt sind.

Russland und der Krieg
Am 24. Februar begann Russlands Präsident Putin einen Krieg gegen die Ukraine. Das war ein schwarzer Tag für mich. Von früh bis in die Nacht hörte ich Nachrichten und verfolgte die Ereignisse dieses Tages. Ich konnte es nicht fassen. Ein Jahr habe ich in Moskau studiert, fünf Jahre lebten und arbeiteten wir in Irkutsk. Ich spreche die Sprache, unsere Kinder sind beide in Sibirien geboren, wir haben dort Freunde. Mich verband zwar schon immer eine Hassliebe mit diesem Land, aber einen Krieg gegen die Ukraine hatte ich bis zuletzt niemals für möglich gehalten. Diesem sinnlosen Krieg fielen und fallen wahrscheinlich noch für eine elend lange Zeit nicht nur unzählige Menschen zum Opfer, viele russische Freundinnen sehen auch keine Zukunft mehr für ihre Kinder, sind zerrissen und ziehen sich noch mehr zurück. All das, wofür ich Russland liebte (ich fühlte mich dort immer auf eine Art freier als in Deutschland), bekam in 2022 einen bitteren Beigeschmack. Jahrelang kämpfte ich gegen die Osteuropaignoranz des Westens. Viele Jahre verteidigte ich die so oft im Westen verurteilte Willkür (bezeichnete das russische Handeln oft als menschlicher), ich verharmloste die anhaltende Geheimdienstüberwachung (als Relikt aus der Vergangenheit, als eine Art Gewohnheit), ich sah in der Diktatur einer Machtelite die einzige politische Möglichkeit in Russland (denn bei den einfachen Menschen vermisste ich jeglichen Willen Gesellschaft mitzugestalten) und schließlich bot Russland für mich eine Alternative zum von mir schon immer kritisierten Kapitalismus des Westens.
Das Schlimmste war und ist jedoch für mich: mein klarer Pazifismus steht nach 43 Lebensjahren plötzlich auf sehr wackeligen Beinen. Ich war und bin immer gegen den Krieg und gegen Waffenlieferungen gewesen. Die nötige Unterstützung eines Schwächeren zur Selbstverteidigung relativiert nun meine feste Position, von der ich noch immer nicht ganz abweichen möchte. Ich weiß nicht was richtig und was falsch ist in dieser Situation. Meinen Kindern kann ich glaubwürdig nur diese Unsicherheit vermitteln. Ich kann nicht mehr ausschließen, dass wir Krieg erleben werden. Ich kann nicht mehr versprechen, dass wir immer im Frieden leben werden.

Mutterschaft

Früher dachte ich immer, dass bedingungslose Liebe reicht, um Kinder glücklich werden zu lassen. Ich war mir ganz sicher, dass unsere Kinder mit all unserer massenhaften wahnsinnigen Elternliebe wunderbar glückliche Menschen werden. Aber das reicht nicht aus.

Lili ging es nicht gut in diesem Jahr. Wir wussten lange nicht genau was los ist, konnten ihr Unwohlsein nicht verstehen, nicht zuordnen, ihr nicht helfen. Es war schwer Ärzte zu finden, die das können. Es gab Mitte des Jahres viele Wochen, in denen ich vor Sorge nicht schlafen konnte. Auch wenn es ihr ein wenig besser geht, die furchtbaren Sorgen um sie kommen immer mal wieder.

Vor ungefähr zwei Wochen erzählte mir ein Bekannter ganz überschwänglich von einer jungen Erwachsenen mit Down Syndrom, die er neulich im Fernsehen gesehen hätte und die einen Hauptschulabschluss erworben hat. Er sprach von den tollen Eltern und wie gut sie das machen und wie wunderbar sie das Kind stets gefördert hätten.

Bei Anatol änderte sich in diesem Jahr nicht viel. Sein wöchentliches Handballtraining mussten wir aufgeben, weil er nach Monaten auf einer Warteliste endlich einen Platz in einem Spezial-Schwimmkurs bekommen hatte. In „normalen“ Schwimmkurse haben sie ihn nicht aufgenommen. Leider ist der Schwimmkurs am gleichen Tag wie Handball. Dass er Schwimmen lernt, ist uns sehr wichtig.
Zusätzlich ist er in 2022 montags bei einer Sportgruppe gewesen, in der er das einzige Kind mit Behinderung ist. An einem Montag im September sagte ein ca. 9-jähriger Junge aus diesem Kurs zu mir, dass er Anatol überhaupt nicht leiden könne. Tolja hat sich bei diesem Sportkurs schon mehrfach eingenässt, was er sonst nie tut. Die Trainer sind sehr bemüht, aber augenscheinlich überfordert mit seiner Integration in den Kurs. Ich weiß nicht, ob das noch lange gut geht.
Und schließlich haben wir nach neun Jahren wöchentlicher Logopädie in 2022 zusammen mit der Logopädin entschieden eine Therapiepause zu machen. Nicht, weil Tolja jetzt so gut Sprechen kann, sondern, weil seine Aussprache sich seit vielen Monaten nicht verbessert. Vielleicht wird er niemals ganz klar und deutlich Sprechen können.

Viele Kinder in Toljas Klasse auf der Förderschule haben alleinerziehende Mütter. Zwei der Mütter hatten in 2022 unabhängig voneinander und zu unterschiedlichen Zeiten einen Unfall, so dass sie ihre Kinder nicht mehr betreuen konnten. Beide hatten niemanden, der die Kinder spontan zu sich nehmen konnte und wollte. Wir haben gemeinsam eine Lösung gefunden und jetzt geht es beiden Müttern besser. Mir haben beide Ereignisse sehr bewusst gemacht, wie allein gelassen Mütter oft sind, insbesondere Mütter von Kindern mit Behinderung. Auch sind mir in 2022 mehrere verzweifelte Mütter begegnet, deren erwachsene Kinder mit Behinderung in der Pandemie eine psychische Erkrankung entwickelt haben und keine psychotherapeutische Hilfe erhalten. Schon bei nichtbehinderten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ist die Versorgung hier nicht ausreichend. Bei Menschen mit Behinderung ist es eine einzige Katastrophe und die Not der Betroffenen kolossal.

Nein, Kindern reicht keine bedingungslose Elternliebe. Sie brauchen Frieden. Sie brauchen Ärztinnen und Therapeutinnen, die sie behandeln. Sie brauchen andere Erwachsene und Kinder, die sie wertschätzen und ihnen wohlwollend begegnen. Sie brauchen Mütter, denen andere im Krankheitsfall oder in der Not helfen. Und sie brauchen eine Perspektive für eine gute Zukunft.

Inklusion

Nach acht Jahren politische Kämpfe im Hamburger Bündnis für schulische Inklusion habe ich 2022 aufgehört.

Die Pandemie hatte nach zwei Jahren zu einem Stillstand in quasi allen Bereichen der schulischen Inklusion geführt, meist sogar zu Rückschritten. Ich hatte jahrelang versucht die zum Teil sehr unterschiedlichen Interessen von Schülerinnen, Eltern, Pädagoginnen, von Schulen und Behörde zu sammeln und gemeinsame Ziele heraus zu filtern. Ich hatte immer den Anspruch auf Positionen im Bündnis, die sich auf basisdemokratische Entscheidungsprozesse stützen. Eine Einigung war oft nicht möglich.

Und was mir mit der Zeit immer immer klarer wurde: um Menschen mit Lernschwierigkeiten oder mit Beeinträchtigungen des Sehens oder Hörens von Anfang an und in alle Prozesse mit einzubeziehen, braucht es Hilfsmittel und Übersetzungsdienste, für die ehrenamtliche Projekte keine Ressourcen haben. Aber es braucht auch unheimlich viel Zeit, Wissen, Vernetzung und Geduld. Die Zeit hatte ich nicht mehr. Ich war erschöpft. Und es fühlte sich an wie ganz großes Scheitern.

Handball

Ich habe lange Handball gespielt. Zum einen, weil ich den Sport liebe und mich gern bewege. Zum anderen aber auch, weil ich in den letzten Jahren nur beim Handball erleben konnte, wie eine Gruppe von Menschen gemeinsam das tut was jemand (die Trainerin) sagte, und zwar ohne Diskussion. Das tat mir immer gut. Ich war und bin so müde von den vielen Auseinandersetzungen, sowohl im Arbeitsleben als auch bei meinem politischen Engagement. Beim Handball traf ich auf meine Sehnsucht nach einem gemeinsamen, einfachen Ziel. Ein Mannschaftssport ließ sich aber schon immer schlecht mit Arbeit und Kindern vereinen. Immer hatte ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich nicht beim Training war, niemals Kampfgericht übernehmen konnte oder bei Punktspielen nicht dabei sein konnte.
In 2020 und 2021 war ich schon seltener beim Training aus Angst vor Ansteckung, denn es gab noch keine Corona-Impfung und Anatol gehört zur Risikogruppe. In 2022 kam die Erkrankung von Lili dazu. Ich wollte deshalb jeden Abend Zuhause sein. Und schließlich folgte das Eingeständnis, dass in meinem Leben ein Mannschaftssport einen zu großen Spagat bedeutet. Es fällt mir sehr schwer nicht mehr Handball zu spielen.

Stillstand beruflicher Projekte

Zwei Projekte hatte ich mir in 2022 vorgenommen und waren mir wichtig: zum einen das Weiterführen meines Projektes „barrierefreies Studium“. Aus sehr unterschiedlichen Gründen, u.a. die Unmöglichkeit für dieses Projekt einen klaren Kostenplan aufzustellen, aber auch personelle Diskontinuitäten und zeitweise unklare Zuständigkeiten ging das Projekt immer schleppender voran. Ab 2023 übernimmt nun eine Kollegin das Projekt, mein Baby. Der ursprüngliche Plan war immer gewesen, dass ich das Projekt irgendwann abgebe. Aber ich wollte ein sehr gut laufendes Projekt weitergeben, kein Chaos. Ich bin darüber enttäuscht.
Auch meine Vorhaben, eine akademische Basisqualifikation für Menschen mit Lernschwierigkeiten zu initiieren, scheiterte in 2022 an der Komplexität der nötigen Prozesse. Aber vor allem an meinem Zeit- und Kraftmangel. A

Freunde/Beziehungen

Meine langjährige Laufpartnerin ist Mitte des Jahres nach Bremen gezogen und ich habe keinen Ersatz gefunden. Die Laufrunden und Gespräche mit ihr fehlen mir sehr. Außerdem fehlt mir Zeit. Zeit, um in Ruhe nachzudenken, Zeit, um mich mit anderen Frauen auszutauschen, Zeit, um gemeinsam etwas zu Denken und zu tun.

Der Anfang ist nah

Ich sehe gerade nicht wie es besser werden kann. Die größten Verlierer der großen Krisen (Klimaapokalypse, populistische Diktaturen, Krieg und ökonomische Krisen) werden die Schwächsten der Schwachen sein: z.B. Menschen mit Behinderungen und mit psychischen Erkrankungen, arme Menschen oder allein erziehende Mütter. In den letzten Jahren habe ich versucht mich politisch für genau diese Menschen einzusetzen und bin kläglich gescheitert.

Der Soziologe Hartmut Rosa sagt, dass sich das Aggressionsverhältnis zur Welt bei Menschen verschärft hat. Egal ob wirtschaftliche oder soziale Kämpfe, man soll mal für einen Moment inne halten und sich berühren lassen. Ich behaupte, ich tue das regelmäßig. Ich habe meine Resonanzräume, Menschen, Orte, Musik, die mich manchmal berühren, mit denen ich ein wenig entspanne, ab und zu zur Ruhe komme und ein kleines bisschen Kraft tanken kann.

Ich hatte mir in den letzten Jahren kleine Ziele gesetzt, wusste, dass man nur kleinschrittig voran kommt, dass Demokratie viel Zeit braucht und anstrengend ist. Und es ging mir niemals um mein kleines persönliches Leben. Es ging mir immer um ein gutes Leben für die Schwächsten in diesem Land. Und dennoch: ich habe in 2022 eine gute Zukunft für sie aus den Augen verloren, habe derzeit keine Ideen und keine Begriffe dafür, wie es besser werden und was ich dafür tun kann.

Damals, als wir in Sibirien lebten, lag 10 Monate im Jahr Schnee. Und die Sonne schien jeden Tag.

Minimal Stories

Im Schwimmbad

Beide Kinder liebten das Schwimmbad. Vor einigen Jahren gingen wir oft zu Dritt ins Schwimmbad Bondenwald. Unser Sohn (mit Trisomie 21) war dabei immer kaum zu halten. Badelatschen, Badehose, Duschen, Toilette, .. alles war für ihn nicht wichtig, denn er wollte immer sofort und sehr schnell ins Becken springen, egal welches, egal wie tief, egal ob er seine Schwimmflügel schon übergezogen hatte oder nicht. Er konnte auch tausendmal und blitzschnell aus dem Becken steigen und vom Rand wieder hinein springen. Hierbei hatte er eine große Ausdauer und unglaublich viel Spaß.

Von der Seite hörte ich manchmal unsere Tochter rufen: „Mama schau mal, ich kann schon eine Vorwärtsrolle im Wasser!“ Ich schaute dann ein paar Sekunden wie sie die Rolle machte, lobte sie überschwänglich und freute mich für sie. Im Augenwinkel sah ich jedoch, wie unser Sohn in ein anderes Becken stürmte und rannte sogleich ihm schnell wieder hinterher.

Irgendwann hatte unsere Tochter keine Lust mehr auf Schwimmen.

Kommunikation

Unser Sohn hat lange Kontakt mit Menschen in einer Form aufgenommen, die diese erboste oder zumindest verunsicherte. Zum Beispiel hatte er eine Zeitlang jedem vorbei laufenden Passanten auf den Po gehauen oder hat sich in Restaurants immer zuanderen Gästen an den Tisch gesetzt und sie bedrängt. Manchmal wollte er unbedingt auf den einzigen besetzten Platz im Bus sitzen und ließ sich partout davon nicht abbringen. Am Strand lief er häufig von Decke zu Decke und tauschte Sonnenmilch, Badetiere oder Handtücher der Urlauber aus. Auf Spielplätzen machte er oft die Burgen anderer Kinder in den Sandkästen kaputt, versteckte die Schaufeln der anderen Kinder im Gebüsch oder drängelte sich auf Klettergerüsten vor. Er war stets kreativ bei der Kontaktaufnahme. Es schien lange so als ob er starke Reaktionen von anderen Menschen ganz besonders interessant findet und nach derartigen Konflikten ganz bewusst suchte. Zuhause war das ähnlich: er klaute zum Beispiel Dinge aus dem Zimmer seiner Schwester, aß ihre Schokolade auf oder machte absichtlich ihre Lieblingsdinge leer oder kaputt. Ich schimpfte dann oft mit beiden Kindern: mit dem Wissen, dass unser Sohn die Verurteilung seines Verhaltens, meine verbalen Erklärungen und aufgezeigten Konsequenzen kognitiv nicht verstehen würde und auf emotionale Reaktionen ja gerade mit wiederholter Provokation reagierte, beschränkte ich mich meist darauf ihn wütend zu nehmen und zur Strafe erst einmal räumlich von uns zu trennen und in seinem Zimmer aufs Bett zu setzen. Meist bekam seine Schwester auch noch was von mir ab, weil sie „ja wisse, dass er so sei“ oder dass er die Konsequenzen nicht einschätzen könne, dass sie etwas besser nicht hätte liegen lassen oder ihm zeigen sollen. Dann appellierte ich oft an ihre Vernunft diese Situation jetzt nicht noch weiter zu eskalieren.

Das Ergebnis vieler Konflikte war meist ein nach einer Minute wieder fröhlich spielender Sohn und eine von seinen Bedürfnissen angestrengte und genervte Schwester. Oft ärgerte ich mich, dass mir als Mutter die Instrumente fehlten, um in diesen sich oft wiederholenden Situationen mit ihm und auch mit seiner Schwester konstruktiv und förderlich umzugehen. Oft war ich einfach nur erschöpft von den vielen Konfliktsituationen in unserem Alltag.

„Unter ihresgleichen“

Mein Herz hat schon immer links außen geschlagen und nach der Geburt unserer Kinder wurde mir noch deutlicher, dass wir in diesem Gesellschafts-, Bildungs- und Wirtschaftssystem keine gute Zukunft für alle werden haben können. Ich suchte damals für unsere Tochter ganz bewusst eine sogenannte Brennpunktschule aus. Genauso wenig wie eine Sonderschule für unseren Sohn, kam für unsere Tochter ein Gymnasium (der Klassenfeind) in Frage. Beide, unsere Tochter und unser Sohn, sollte mitten in der Gesellschaft lernen und nicht in Sondersystemen. Von Zuhause wusste ich, dass das tägliche Aushandeln von Bedürfnissen in der Gemeinschaft herausfordernd ist, trotzdem glaubte ich ganz fest daran, dass es machbar ist, wenn wir es wollen.

Irgendwann mussten wir dann aber doch bei beiden Kindern, entgegen unseren Überzeugungen, eine schmerzliche Entscheidung gegen die Gesamtschule treffen: unsere Tochter machte im ersten Schuljahr nach dem Wechsel von der Grundschule unschöne Mobbing-Erfahrungen, auf die von Seiten der Lehrer nicht reagiert wurde und die nächstgelegene Gesamtschule war zu weit von unserem Wohnort entfernt. Und unseren Sohn wollten sie in der Gemeinschaftsschule von Anfang an nicht aufnehmen. Unsere Tochter wechselte also aufs Gymnasium, unser Sohn wurde in der Sonderschule eingeschult. Beide fühlen sich in ihrem jeweiligen Sonderbereich mittlerweile wohl.

Ich habe dadurch aber eine ganze Menge Glauben an die Menschen, an Gleichheit und Gerechtigkeit verloren. Das hat mich in den letzten Jahren sehr mutlos gemacht.

Eis essen

Vor ca. einem Jahr war ich mit unserem 9-jährigen Sohn auf dem Langenhorner Markt, um ein Eis zu essen. Vor der Eisdiele, mitten in der Fußgängerpassage, gibt es lustige Wasserfontänen, die in unterschiedlichen Höhen wechselnd aus dem Boden schießen. Es war heiß und sonnig, vielleicht 25 Grad an dem Tag.

Als unser Sohn das Eis fertig hatte, zog er sich plötzlich blitzschnell aus und sprang wild, fröhlich und nackt zwischen den Wasserfontänen umher. Ich konnte ihn nicht aufhalten, bat ihn allerdings bitte den Schlüpfer anzulassen, was er nicht tat.

Er hatte riesigen Spaß. Aber ich war in dieser Situation nicht in der Lage mich für ihn und an ihm zu erfreuen. Einige Kinder kicherten, weil er komplett nackt dort umher tänzelte und das – wenn überhaupt – sonst nur ein- oder zweijährige tun. Vielleicht 50 Personen schauten ihm bei seinen Wasserspielen zu, einige Männer lachten, einige Frauen schüttelten mit dem Kopf und sahen mich strafend an. Anatol genoss die Aufmerksamkeit und wurde immer alberner: wackelte mit dem Po und seinem Penis direkt über den Fontänen und lachte sich dabei selbst kaputt.

Ich weiß noch, wie ich mich fragte, ob er mit 15 Jahren auch noch so hemmungslos, wild und nackt hier herum springen wird und wie mich die Leute dann anschauen?

Nach gefühlt fünf Stunden (es waren glaube ca. 30 Minuten) kam er dann zu mir, ich trocknete ihn mit seinem Unterhemd und seinem Schlüpfer ab, zog ihm T-Shirt, Shorts und Sandalen an und wir gingen nach Hause.

Wäre seine damals 12-jährige Schwester an diesem Tag dabei gewesen, sie wäre vor Scham im Erdboden versunken.

Sehnsucht

Viele Jahre nach den Geburten der Kinder fiel es mir schwer meine Mutterrolle zu verlassen. Ich wollte alle Bedürfnisse beider Kinder gleichberechtigt erfüllen: wenn ich zum Beispiel an einem Sonntag viele Stunden mit unserem Sohn auf dem Abenteuerspielplatz im Niendorfer Gehege war und danach unsere Tochter ins Schwimmbad wollte, dann bin ich mit ihr noch ins Schwimmbad – egal wie müde und erschöpft ich war.

Immer wenn Leute dann zu mir sagten, dass ich auch an mich selbst denken muss, habe ich geantwortet, dass ich schon immer am besten entspannen konnte, wenn ich mich auspowere und es mir deshalb total gut gehe, wenn ich abends mit den Kindern k.o. ins Bett falle. Ein Fünkchen Wahrheit war da auch dran. Die Mutterschaft pushte mich ja auch irgendwie.

Wenn dann aber so einmal im Jahr eine Woche die Kinder bei den Großeltern waren, heulte ich die ganze Woche. Jedes Jahr. Nur in dieser einen Woche im Jahr konnte ich intensiv meine eigene Musik hören, in Ruhe lesen, mich treiben lassen, mir keine Gedanken ums Essen machen oder wie ich mit Konflikten umgehe und lange schlafen (bis 8 Uhr oder so). Und jedes Mal nahm ich mir vor, wenn die Kinder wieder da seien, dann leben wir zusammen ein bisschen mehr genau so entspannt weiter, wir hören dann alle auf die Bedürfnisse der anderen in der Familie, wir helfen dann einander alle mehr, sind liebevoller und netter zueinander und schwingen alle ein wenig mehr im gleichen Takt.

Jeder für sich

Wir schwingen mittlerweile sehr ausgeprägt jeder in seinem ganz eigenen Takt. Jedes Kind kennt seine eigenen Bedürfnisse und fordert sie vehement ein. Ich suche weiter nach einem zeitweisen wir.

Sichtbar werden

Die Hamburgerin Kübra Gümüşay hat Ende Januar ihr großartiges Buch „Sprache und Sein“ veröffentlicht. Im Klappentext heißt es, dass das Buch der Sehnsucht nach einer Sprache folgt, die Menschen nicht auf Kategorien reduziert. Gümüşay zeigt, wie Menschen als Individuen unsichtbar werden, wenn sie immer als Teil einer Gruppe gesehen werden – und sich nur als solche äußern dürfen. Wie Fragen an sie nur so gestellt werden, dass jede Antwort die Kategorie bestätigen muss. Gümüşay fragt: „Wann wird es einer jungen Frau mit Migrationshintergrund, einem homosexuellen Mann, einer Transfrau oder einem Menschen mit Behinderung möglich sein, einfach nur sie selbst zu sein? Wann dürfen diese Menschen ich sagen und damit auch ich meinen? Wann werden sie auch so verstanden?“ Sie beschreibt junge Schwarze in Deutschland, die sich besonders bemühen, freundlich und zuvorkommend zu sein, höflich zu lächeln und akzentfrei Deutsch zu sprechen, um ungefährlich zu wirken. Oder junge kopftuchtragende Frauen, die überzogen zuvorkommend, frei und lässig tun, weil sie beweisen wollen, dass sie nicht unterdrückt sind, sondern klug und freundlich.

Auch viele Behinderte zeigen sich in Sozialen Medien wie z.B. bei Instagram in besonders schönen, coolen und sportlichen Posen. Menschen, die performen, um als Menschen überhaupt wahrgenommen zu werden. Wie anstrengend das ist, wird, so Gümüşay, erst im Kontrast erkennbar: in jenen Momenten, in denen sie unter vertrauten Menschen sind und nicht mehr dem Druck der Inspektion ausgesetzt sind: „Wenn sie erleichtert ausatmen, die Schutzschilde fallen lassen, wenn ihre Schultern entspannt nach unten fallen, ihre Gesichtsmuskeln sich entspannen und die mittig hoch gezogenen Augenbrauen.“

Menschen, die als Individuen unsichtbar werden

Genau das beobachte ich auch häufig bei Menschen mit Trisomie 21. Die Zuordnung zur Kategorie „Down Syndrom“ beginnt gleich nach der Geburt, z.B. bei diversen Therapeuten, die irgendetwas mit dem nur wenige Monate alten Baby tun, weil bestimmte Entwicklungsverzögerungen bei Kindern mit Down Syndrom üblich sind und nicht, weil sie bei diesem speziellen Kind einen individuellen Bedarf sehen. Spätestens mit Eintritt in die Schule erfolgt die Zuordnung zur Kategorie „geistig behindert“, womit dann für 10 Jahre das Lernangebot auf ein standartisiertes Minimum reduziert wird (das sich in Hamburg „Bildungsplan für den Förderschwerpunkt geistige Entwicklung“ nennt), unabhängig von individuellen Interessen und Fähigkeiten eines Kindes. Jede Lernverweigerung, jedes Nichtverstehen, alle kommunikativen Schwierigkeiten, jede körperliche Gegenwehr werden fortan mit der Kategorie „weil er geistig behindert ist“ begründet und damit jedes Angebot einer individuellen Persönlichkeitsentwicklung vorenthalten und jede Anstrengung in diese Richtung als sinnlos erklärt.

Die Unsichtbarkeit von Menschen mit Trisomie 21 wird verstärkt durch die häufig gegebene Stellvertreterfunktion von uns Eltern. Da die Umgebung meist nur sprachlich oder schriftlich geäußerte Positionen akzeptiert und viele Menschen mit Trisomie 21 gerade mit (Schrift-)Sprache Schwierigkeiten haben, versuchen oft wir Eltern mit unserer Sprache die Rechte unseres Kindes einzufordern, um unser Kind als Mensch mit eigenen Bedürfnissen sichtbar zu machen. Die Rolle der Stellvertreter*innen ist fies. Die Unsichtbarkeit unserer Kinder allerdings noch fieser. Denn sie müssen oft nicht nur für ihre Menschenrechte kämpfen, sondern ihr Lebensrecht verteidigen. In vielen Situationen bräuchten sie eigentlich ihren ganz persönlichen Rechtsanwalt plus PR-Team.

Die Mehrheitsgesellschaft fordert eine angepasste Performance, wenn man mitmachen will, egal, ob mit oder ohne Kopftuch, ob behindert oder nicht. Bleibt die geforderte Performance aus, sieht man diese Menschen kaum noch in der Öffentlichkeit, auf Spielplätzen, in Schwimmbädern, in Supermärkten, in Unternehmen. Nicht nur sie, auch ihre Familien werden dann unsichtbar. Man will nicht immer angestarrt werden, man will nicht immer erklären müssen.

Rassismus und Sexismus sichtbar machen

2013 initiierte Kübra Gümüşay zusammen mit Bekannten auf Twitter den Hashtag gegen Alltagsrassismus #SchauHin. Seitdem teilen tausende Menschen wöchentlich eigene Erfahrungen mit Rassismus in Deutschland. Betroffene merken, dass sie nicht allein sind, andere sehen, wie viele Menschen Rassismus täglich erleben. Nach den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht 2015/16 initiierte sie zusammen mit 21 anderen Feministinnen den Hashtag #Ausnahmslos gegen Sexismus und Rassismus.

Im Oktober 2017 verbreitete sich im Zuge des Weinstein-Skandals der Hashtag #meToo. Täglich twittern seitdem weltweit unter diesem Hashtag tausende Frauen, die sexuelle Übergriffe von Männern erleben.

Menschen, die in diesem Land geboren sind, fordern die gleichen Rechte wie alle anderen auch. Frauen trauen sich endlich, in der Öffentlichkeit über erlebte sexuelle Übergriffe zu reden. Das Unsichtbare sichtbar machen.

Behindertenfeindlichkeit sichtbar machen

2016 startete der Hashtag #behindernisse. Seitdem teilen viele Menschen ihre täglichen behindertenfeindlichen Erlebnisse und schreiben auch über Barrieren in Gebäuden, über misslungende Kommunikation mit Krankenkassen, Ausgrenzung in Schulen usw., um deutlich zu machen, wie unglaublich viel in Richtung Barrierenabbau und Bewusstsein für Barrieren noch in allen Lebensbereichen passieren muss.

Erst kürzlich haben die Berliner Sozialhelden ein neues Projekt gestartet: das online-Magazin „Die Neue Norm“. Auf der Webseite dieneuenorm.de beschreiben die Macher das Projekt wie folgt: „Dank der Deutschen Industrienorm (DIN) wissen wir, wie groß ein Blatt Papier ist, welche Steigung eine Rampe vor einem Gebäude haben darf und wie wir ein Haus bauen müssen, damit es gewisse Standards erfüllt. Doch Normen haben auch etwas einengendes, auch passen nicht alle Menschen in die Norm, die von der Mehrheitsgesellschaft als solche definiert wird. Wir wollen Normen hinterfragen und aufbrechen. Mit Texten, Beiträgen und einem monatlich erscheinenden Podcast.

Die Neue Norm ist ein Online-Magazin, das verschiedene Fragen und gesellschaftspolitische Mechanismen behandeln und infrage stellen wird. Besonders wollen wir das Thema Behinderung in einen neuen Kontext setzen; raus aus der Charity- und Wohlfahrtsecke, rein in den Mainstream, in die Mitte der Gesellschaft.“

ABER Menschen mit Trisomie 21 und ihre Eltern fehlen noch immer weitgehend im gesellschaftspolitischen Diskurs. In der Literatur, in der Kunst, in der Musik, in den Medien, in der Bildung, in der Öffentlichkeit. Das hat nicht nur persönliche Konsequenzen, sondern gesellschaftspolitische.

Inklusion heißt nicht Perfektion und Bequemlichkeit für alle

Unsere Familie ist ganz gut sichtbar, meine ich. Wir Eltern sind jeweils sichtbar, unsere Kinder sind sichtbar. Wir haben ein Gesicht in der Öffentlichkeit und in sozialen Medien. Meist geht es uns ganz gut, manchmal geht es uns Scheiße. Lange Zeit dachte ich, sichtbar sein reicht als politisches Statement. Aber neulich sagte die zehnjährige Freundin unserer Tochter, dass sie kein Kind mit Trisomie 21 bekommen möchte und das Kind wegmachen würde. Auch unsere ehemalige Nachbarin sagte mir während ihrer Schwangerschaft vor fünf Jahren, dass sie den Test gemacht hätte und ein Kind mit Trisomie 21 für sie nicht in Frage gekommen wäre. Ich fragte mich also, ob sichtbar sein ausreicht?

Es reicht nicht aus! 90 % aller Schüler*innen mit Trisomie 21 werden jährlich im Lernentwicklungsgespräch zum angeblich gemeinsamen Lernziel „sich mehr an die Regeln zu halten“ genötigt. Die Regelhierarchien und wer sie aufstellen darf scheinen dabei ganz klar. Wenn Schüler*innnen mit Trisomie 21 tatsächlich die Regeln mitbestimmen würden, dann würden diese wahrscheinlich lauten: mehr Spaß zulassen, mehr Scherze, mehr Spontanität, mehr Ablenkung, mehr Aus-der-Reihe-tanzen und mehr individuelle Interessen, weniger standartisierte Strukturen, weniger Gleichschritt. In Sonderschulen unmöglich, in Regelschulen noch unmöglicher. Der Preis für den „harmonischen“ schulischen Gleichschritt ist: eine gleichförmige Welt, eine langweilige Welt. Und vor allem das Unsichtbarwerden von Persönlichkeiten. Das Unsichtbarwerden unserer Kinder mit Trisomie 21.

Was können wir Eltern also tun? Vielleicht in erster Linie unsere Kinder ermutigen, nicht immer deren Regeln zu akzeptieren, sondern ich sagen zu lernen, eigene Bedürfnisse zu kennen und wenn nötig lautstark auszudrücken. Und unseren Kindern ermöglichen, noch sichtbarer zu werden, so wie sie sind, in Real Life und in Social Media.

Einsamkeit

Ich liebe. Am aller meisten unsere Kinder.

Ich habe Angst. Vor dem Tod. Auch vor meinem eigenen.

Ich arbeite. Sehr viel. Muss die Miete bezahlen. Muss für mich und die Kinder Klamotten kaufen. Muss Kaffee trinken. In den Urlaub fahren.

Die Ausgrenzung behinderter Menschen schmerzt mich körperlich. Manchmal ist es kaum auszuhalten.

Handball hilft. Im Team kann man ein wenig Gemeinschaft erleben. Wie sonst nirgens.

Versuche, eine gute Mutter zu sein, die Hassliebe unter den Geschwistern auszugleichen.

Treffe Freundinnen. Trinke Wein. Wie damals als ich nur Verantwortung für mich selbst hatte. Das Thema Inklusion vermeiden wir. Denn dabei verändert sich meine Stimmung oft. Die Wut kommt dann zu schnell.

Weiß nicht, wie wir die Kinderbetreuung in den Ferien organisieren sollen.

„Im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung erscheint A. deutlich nicht altersgemäß entwickelt. So zeigt er besonders in der sozialen Interaktion deutliche Defizite.“, steht in seinem Förderplan. Das ist falsch.

Hasse die Zeit, die soziale Medien fressen. Aber ich lerne und entdecke. Auf Facebook und Twitter. Treffe Gleichgesinnte. Verliere nicht den Anschluss an Freunde, die ich länger nicht sehen kann.

Spüre Musik. Mit jeder Faser meines Körpers. Tanze durch die Wohnung.

Poste auf Instagram, weil ich den Menschen die Angst vor einem Kind mit Trisomie 21 nehmen möchte.

Schreibe gegen meine Angst und Einsamkeit.

Bis zur Erschöpfung.

Wie viel Therapie und Förderung braucht ein Kind mit Trisomie 21?

Uns Eltern eines Kindes mit Trisomie 21 wird regelmäßig in diversen Berichten von Kitas, Schulen, Ärzten und Therapeuten das Entwicklungsdefizit unseres Sohnes im kognitiven, sprachlichen und sozial-emotionalen Bereich mitgeteilt und ausführlich erörtert. Noch häufiger werden mir als Mutter, nicht nur von den eigenen Eltern und Schwiegereltern, sondern auch von irgendwelchen Leuten, Ratschläge zur Förderung und zur Erziehung unseres Sohnes gegeben: Adressen guter Therapeuten oder Therapiezentren werden mir z.B. ungefragt per Mail zugeschickt oder Bücher mit irgendwelchen Wunder versprechenden Fördermethoden geschenkt. Unser Sohn scheint nicht genug gefördert zu werden. Da geht bestimmt noch mehr. Man meint es ja auch nur gut und will helfen.

Ich selbst habe aber noch niemals die Notwendigkeit gesehen, in irgendein blödes Therapiezentrum zu fahren, womöglich noch unseren Urlaub dort zu verbringen. Ich empfinde all diese Ratschläge als übergriffig. All das setzte mich, setzt Eltern schon früh unter Druck.

Und immer wieder die Diagnostik des Abweichenden

Egal ob Mediziner, Therapeuten oder Pädagogen, sie alle diagnostizieren seit der Geburt permanent unser Kind und stellen es auf ihren jeweiligen Entwicklungsskalen auf irgendeiner Stufe dar. Das führte bereits zu solch absurden Situationen, dass unser Sohn mit 18 Monaten von einer Ärztin auf dem Entwicklungsstand eines 12 Monate alten Kindes auf ihrer Normalitäts-Skala platziert wurde, während eine Heilpädagogin ihn zur gleichen Zeit auf dem Entwicklungsstand eines 16 Monate alten Kindes einstufte. Dies stellte für mich sehr früh nicht nur standartisierte Diagnoseinstrumente in Frage, sondern ich fragte mich vor allem schon zu diesem Zeitpunkt nach dem eigentlichen Sinn solcher Einstufungen. Denn die Therapeuten, die mit ihm direkt therpeutisch arbeiten, machen ja sowieso nochmal eine eigene Diagnostik in ihrem spezifischen Therapiegebiet.

Schon sehr früh erkannte ich also für mich, dass unser Sohn und ich perfekt sind wie wir sind und dass wir Diagnostik – soweit möglich – lebenslang aus dem Weg gehen werden. Das war eine Erkenntnis, die mein eigenes Leben und meine Beziehung zu unserem Sohn grundsätzlich veränderte. Auf die Gefahr hin jetzt unglaublich pathetisch zu werden: ich begriff, dass das Unperfekte in unserer so normativ gewordenen Gesellschaft ja gerade das Spannende und Schöne ist. Die Endlichkeit, die Angewiesenheit, die Abhängigkeit, die Begrenztheit und die Fehleranfälligkeit des Menschen sind es, die letztlich jede Idee von Perfektion als Utopie entlarvt. Das allseitige Streben nach Mittelmäßigkeit ist so sterbenslangweilig. Auf jedes angebliche Defizit unseres Sohnes in irgendwelchen Berichten trinke ich seitdem genüsslich ein Glas Wein. Auf jeden angeblichen Erziehungsfehler trinke ich ein weiteres.

Oft kommen wir ja um Diagnostik leider nicht herum. Beim Eintritt in die Schule z.B wurde Diagnostik formal eingesetzt, um den vermuteten Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung bei unserem Sohn zu bestätigen, um den Bedarf an zusätzlichen personellen und materiellen Ressourcen für seine spezielle Förderung rechtfertigen zu können. Das heißt, ohne Diagnostik kein Geld, ohne Geld keine „spezielle Förderung“ – das sogenannte „Ressourcen-Ettikettierungs-Dilemma“.

Das Thema Diagnostik treibt mich immer wieder an. Jedes Kind ist in seiner Entwicklung einzigartig. Im ursprünglichen Wortsinn bedeutet dia-gnosis eigentlich Unterscheidung, also die einfache Feststellung von spezifischen Eigenschaften und Fähigkeiten eines Kindes. Das heißt, Diagnostik sollte spezifische Eigenschaften und Fähigkeiten unseres Sohnes helfen herauszufinden. Hinzu kommt das Erkennen behindernder äußerer Barrieren. Viele Menschen werden durch eine Vielzahl von Barrieren an einer vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe (z.B. an Schulen) gehindert. Diese Barrieren stellen nicht nur physische Hindernisse dar (Stufen, Bordsteine, Durchgangsbreiten, Akustik), sondern auch kommunikative (verbale Information, keine Beschilderung, schwere Sprache) sowie abwertende Vorurteile, zu hohe Anforderungen, mangelndes Sozialgefüge, ausgrenzende Zugangsvoraussetzungen oder viel zu große Lerngruppen. Diagnostik sollte diese Barrieren erkennen und abbauen oder wenigstens minimieren. Das Feststellen von persönlichen Einschränkungen und Schwächen – also das, was unsere Kinder eigentlich bei der Diagnostik oft erleben – betont und verstärkt Defizite, auch wenn es von Pädagogen und Therapeuten natürlich nicht so gewollt ist.

Therapie und Förderung

Die Begriffe Therapie und Förderung tauchen meist in einem engen Zusammenhang mit einer gestörten oder verzögerten Entwicklung von (behinderten) Kindern auf, weshalb ich diese Begriffe ebenso schwierig finde wie den der Diagnostik. Das als defizitär erkannte Subjekt muss durch Therapie und Förderung an ein als normal identifiziertes Mittelmaß angepasst werden.

Schnell stellen sich viele Eltern dann die Frage, wie viel Therapie und Förderung ihr Kind benötigt. Die maximale Ausschöpfung von Ressourcen eines Kindes sowie die Angst ein entscheidendes Entwicklungsfenster zu verpassen treibt dann die Eltern von Kindern mit Trisomie 21 oft von Therapie zu Therapie, von Fördermaßnahme zu Fördermaßnahme. Hinter dem krankhaft gesteigerten Bedürfnis, den gesamten Alltag eines Kindes mit Trisomie 21 (zwar spielerisch, aber konsequent) zu therapieren und das Kind permanent therapieren oder fördern zu wollen, steht oft Hilflosigkeit und Distanzsuche. Das noch nicht Erreichen von bestimmten Entwicklungsstadien wird als krankhaft und falsch wahrgenommen. Und das darf nicht sein und muss mit ausreichend Förderung verhindert bzw. verringert werden.

Udo Sierck, ein bekannter Behindertenaktivist, sagte einmal in einem Vortrag, den ich erleben durfte, dass man in die Natur des Menschen meist nicht eingreifen kann. Viele „Verhaltensauffälligkeiten“ sind für Behinderte selbstregulierend und wichtig. Zwingt man sie, diese abzustellen, geraten sie häufig in extremen inneren Stress, der wiederum zu anderen Auffälligkeiten führt. Die Energie, die viele Eltern in die Normalisierung bzw. Therapie des Kindes stecken, sollten sie lieber in die Aufklärung des Umfelds investieren, meint er, und immer wieder erklären, dass dieses Verhalten zum Wesen des Kindes dazu gehört, es keinesfalls böswillig ist und als Ausdruck menschlicher Vielfalt gewertschätzt werden sollte.

Eine Mutter aus dem Publikum äußerte daraufhin ihre Angst, dass ihr Kind und dessen Verhalten von der Umgebung eben meist nicht so wertgeschätzt wird und sie ihm mit mehr Therapien und Förderung helfen will, die eigenen Bedürfnisse besser ausdrücken zu können. Sierck wies darauf hin, dass es immer um Hilfen zu mehr Selbstbestimmung gehen muss und man hier individuell ein gesundes Maß für sein Kind finden sollte. Er fügte jedoch klar hinzu, dass ein Kind auch Niederlagen und Misserfolge erleben muss, um überhaupt selbstständig aktiv werden zu können und selbst nach Lösungen suchen zu können. Negative Erlebnisse seien ein ganz entscheidender Faktor für die Entwicklung von Autonomie und Selbstbestimmung. Wenn wir dies für unsere Kinder wollen, dann dürfen wir sie nicht davor bewahren.

Kann Therapie und Förderung schaden?

Derzeit scheint sich insbesondere auch ein präventives Therapie- und Förderdenken durchzusetzen. Das vorschnelle Überstülpen von angelerntem Therapiewissen bzw. von einem standartisierten „Programm“ auf ein Kind (nach dem Motto: „Typisch für DS-Kinder ist X, deshalb machen wir Y schonmal vorbeugend.“) ist jedoch vollkommen unnötig. Therapien sind lediglich Dienstleistungen, die individuell und knapp verordnet sinnvoll sein können, aber nicht das Leben beherrschen oder gar ersetzen sollten.
Immer wieder hört man „Schaden kann Therapie und Förderung jedenfalls nicht!“ Das sehe ich anders! Viele Therapeuten und Sonder- oder Heilpädagogen beteiligen sich selbst an Aussonderung und Ausgrenzung, indem sie Eltern mit Heilsversprechen durch noch mehr spezielle Therapie und spezielle Förderprogramme verunsichern. Frühförderung, Sonderkindergärten und Sonderschulen können damit der Anfang eines lebenslangen Kampfes für ein Kind mit Trisomie 21 sein, endlich „normal“ werden zu können – so wie es sich die Erwachsenen um dieses Kind herum so sehr wünschen.

Welche Förderung schadet nicht?

Immer wieder meinen einige (Sonder- oder Heil-) Pädagogen, die richtigen Lernmethoden für Menschen mit Trisomie 21 gefunden zu haben. Sie damit dann aber mit viel personellen und zeitlichen Ressourcen z.B. auf einen Schulabschluss regelrecht zu trimmen, scheint mir nicht die richtige Lösung zu sein. Für mich ist das so wie einen gehbehinderten Menschen auf die deutschen Meisterschaften im 100m-Lauf zu trainieren oder wie mich selbst durch ein Chemiestudium quälen zu müssen.

Therapie und Förderung sollte m.E. immer drei Ziele verfolgen:
1. Unterstützung bei Selbstbestimmung, Unabhängigkeit sowie Entscheidungs- und Handlungsfreiheit.
2. Schaffen und Sensibilisieren von Bezugsgemeinschaften (also unterstützte gemeinsame Gruppenlernprozesse, gemeinsame Arbeitsprozesse, gemeinsame Freizeitgestaltung, usw.).
3. Minimieren bzw. Abbau äußerer Barrieren.

Vielleicht wäre unser Sohn mit früherer Physiotherapie ein oder zwei Monate früher gelaufen. Vielleicht auch nicht. Macht das einen Unterschied? Vielleicht würde er mit gezielterer Sprachförderung jetzt mit seinen sieben Jahren schon ganz allein zwei Kugeln Eis bestellen können. Vielleicht auch nicht. Vielleicht würde er mit speziellen Fördermethoden von Frau Manske oder an der Universität Hamburg jetzt schon bis 10 zählen können. Vielleicht auch nicht. Eine Therapierung und Förderung hin zu den ungeahnten Möglichkeiten des Konjunktivs ist für uns kein vielversprechendes Lebensziel.

Wir finden ihn toll so wie er ist.