Frühförderkurse in Irkutsk

Auf Empfehlung einer Mutter einer dreijährigen Tochter mit Down Syndrom, bin ich heute mit Tolja in das „Rehabilitationszentrum für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen“ gefahren. Immer freitags findet dort kostenfrei für alle Interessierten ein anderthalbstündiger Frühförderkurs statt. Ich war ganz gespannt, was uns dort erwartet. Zuerst wurden wir in den Sensorikraum geführt. Hier durften die Kinder 30 Minuten ihre Sinne trainieren. Mit uns waren noch 4 Kinder zwischen ein und fünf Jahren mit Down Syndrom. Es gab eine Spielkiste mit Bällen, Lichtersäulen, Matratzen, eine Werkbank aus Holz, Massagebälle, einen Plastiktunnel zum Durchkrabbeln und einen Teppich mit vielen kleinen Lichtern. Zwischendurch wurde für 10 Minuten das Licht ausgemacht, so dass man die vielen Lichter schön sehen konnte. Eine Psychologin ging abwechselnd zu jedem Kind und animierte es zum Spielen. Tolja wollte sich in diesem Raum fast ausschließlich an der Werkbank zu Schaffen machen. Die Psychologin verbot ihm jedoch, die verschiedenen Holzteile in den Mund zu nehmen, was ihm gar nicht gefiel. Als ein anderes Mädchen mit Tolja spielen wollte, wurde es von der Mama zurechtgewiesen, dass es nur die Hände von Tolja fassen sollte und nicht ihn überall anzufassen habe. Tolja war die gesamte Zeit überwältigt von den vielen Lichtern und Leuten und beobachtete meist das Geschehen. Aufgrund des Zeitmangels setzten die anderen Eltern ihre Kinder hintereinander an jede Fühl-, Spiel- oder Lichtquelle. Nach 30 Minuten wurden wir aufgefordert, den Sensorikraum wieder zu verlassen. Eine Pädagogin wartete auf uns, um die 30minütige „pädagogische Förderung“ durchzuführen. Dort eilten wir sogleich hin. Diese Förderung bestand aus 15 Minuten zwei Trickfilme anschauen (Mascha und der Bär, eine im russischen TV sehr bekannte Kinderserie). Danach wurden den Kindern Fragen zu den beiden Filmen gestellt, die sie beantworten sollten. Danach sollten die Kinder noch ein Frühlingsbild aus Servietten basteln, was den meisten Kindern nicht so gut gelang, weshalb die Mütter dann mehr oder weniger das hübsche Bild gestalteten. Die Kinder, die sich nicht beteiligten, wurden von der Pädagogin ermahnt oder ignoriert. Danach eilten wir zur Musikförderung. Dreißig Minuten wurden die Kinder animiert, mit Rasseln, Tüchern oder Xylophonen Töne zu erzeugen, während die Musiktherapeutin Klavier spielte. Sie sang auch ab und zu und leitete rhythmische Bewegungen mit Händen und Beinen an. Zwischendurch zeigte sie an einem Computer verschiedene Bilder eines Hahnes und es ertönte ein Lied über einen Hahn im Hintergrund der Diashow. Wenn sie nicht ständig das Instrument, das Lied, die Handpuppen oder das Medium gewechselt hätte, wäre es interessant gewesen. Aber auch hier fühlte ich mich getrieben, denn die Dame führte ihr „Programm“ durch und auch sie forderte uns nach 30 Minuten auf, den Raum zu verlassen.
Nach diesen anderthalb Stunden Förderung war ich fix und alle. Kaum saßen wir im Auto fielen Tolja die Augen zu.

Den Stress tun wir uns nicht nochmal an.

Mehr Liebesgeschichten!

Habe gerade eine ganz wunderschöne Geschichte von Iren auf ihrem Blog Fairy Bread gelesen. Es geht um einen jungen Mann mit Down Syndrom, Beslim, der aus dem Kosovo mit seinen Eltern nach Österreich kam, dort die attraktive Remzie kennenlernte und mit ihr zwei tolle Kinder bekommen hat. Bin ganz gerührt. Möchte mehr solcher Liebesgeschichten!

Geburtstagsstimmung

Während der zweiten Schwangerschaft wollte ich unbedingt, dass das Baby am Frühlingsanfang zur Welt kommt. Und Anatol hat vor genau einem Jahr, am 21.3.2012, meinen Wunsch erfüllt. Hurra. Welch ein Glück. Sascha meinte immer, dass das Zweite nur ne Möhre werden kann, weil die Lili ja schon so gut gelungen ist. Aber er hat sich getäuscht. Schön jedenfalls, dass das erste Lebensjahr so gesund und munter verlief. Und noch besser, dass Tolja uns fast immer schlafen ließ. Was’n Traumkind.

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Zum Geburtstag kleiner Mann!

Welt-Down-Syndrom-Tag 2013 in Irkutsk

Am 21. März werden wir den ersten Geburtstag von Anatol feiern. Hurra! Gleichzeitig feiert die Welt an diesem Tag schon seit 2006 den Welt-Down-Syndrom-Tag. Menschen mit Down Syndrom möchten an diesem Tag auf sich Aufmerksam machen, es werden zahlreiche Veranstaltungen weltweit durchgeführt, nicht zuletzt, um die durch den PraenaTest vom Aussterben bedrohten Menschen mit DS zu feiern und mit ihren vielen Fähigkeiten und Talenten zu bewundern.

In Sibirien ist Mitte März noch nicht wirklich dazu geeignet, um einen Marathon zu veranstalten oder gar auf der Straße zu tanzen oder zu singen. Denn es ist noch sehr kalt und durch den gerade schmelzenden Schnee gleicht die Stadt einer riesigen schlammigen Mülldeponie. Jedenfalls kein Setting, um sich lange draußen aufzuhalten. Deshalb fanden die Feierlichkeiten auch im Puppentheater statt. Und zwar schon heute, denn am Donnerstag ist das Theater besetzt.

Aufgrund der Dinosauriergrippe konnte ich leider nicht teilnehmen. Habe Anatols Tagesmutti aber mit meinen 100 „Down Syndrom – Na und?“ – Lesezeichen losgeschickt, um diese zu verteilen und Fotos zu machen. Es waren ca. 20 adrett gekleidete Menschen mit DS im Puppentheater, meist Kinder, zusammen mit ihren ebenfalls heraus geputzten Eltern. An den Wänden hingen Alltags-Fotos von Irkutsker Familien, die kleineren Kinder durften gemeinsam ein großes Bild anmalen und eine Gruppe Jugendlicher/Erwachsener führte das Kindertheater «Теремок» auf (ein russisches Volksmärchen, in dem es um einen Stall geht, der von einem Bären zerstört wird und, der schließlich gemeinsam von allen Tieren wieder aufgebaut werden muss). Zudem spielten ein paar Schülerinnen der Irkutsker Waldorfschule Flöte und Schauspieler des Puppentheaters moderierten bzw. spielten die Animateure durch die Veranstaltung.

Ob jemand außerhalb der Irkutsker DS-Community von diesem Tag im Puppentheater erfährt, bleibt ein Rätsel. Bisher habe ich jedenfalls nirgens etwas dazu gelesen.

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Die im Schnee versunkenen warmen Seen

Seit nun schon einer Woche schleppe ich mich mit Dinosauriergrippe durch die Wohnung. Und es scheint nicht besser zu werden. Und Sascha hat sich ganz zufällig gleichzeitig eine Bronchitis geholt. Wo wir uns diesen ganzen Mist eingefangen haben, wissen wir nicht. Vielleicht hatten sich im Zug nach „Тёплые озера“, wo wir letzte Woche waren, doch ein paar Amerikaner versteckt, die uns angesteckt haben. In Russland kommt alles Schlechte von den Amerikanern, sagt man. Vielleicht tümmelten sich aber auch unter den Tonnen von Schnee an unserem Urlaubsort einige lange konservierte Viren aus der Steinzeit, die Millionen Jahre darauf gewartet haben, dass wir im März 2013 vorbei kommen.

Wenn wir uns nicht diese elenden Viren mitgebracht hätten, wäre der Ort sicherlich in guter Erinnerung geblieben. Nur 7 km vom Baikalsee entfernt, schon in den Bergen liegend, bestehen die „Тёплые озера“ (Warme Seen) aus drei Seen: den 47m tiefen „Smaragdensee“, den 20m tiefen „Warmen See“ und den 2m tiefen „Märchensee“. Im Sommer erwärmen sich die Seen bis auf 28 Grad, was im Vergleich zum eisigen Baikalsee ein angenehmes Badewannenbad ist. Deshalb ist hier im Sommer auch die Hölle los. Wir wollten die Hölle nicht erleben. Stattdessen haben wir die zugefrorenen und mit viel Schnee bedeckten Seen in der Landschaft nur noch an den zum Teil heraus lukenden Wassertretern und dem Schild „Badestelle“ erkannt. Hatte auch was Nettes.

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Unser letzter Sibirischer Winter geht vorbei

Vor zwei Wochen war es noch richtig kalt und es lag vviieell Schnee. So kalt, dass ich kaum auf den Straßen fotografieren konnte, weil mir gleich die Finger frieren wollten. Heute waren es aber unglaubliche 9 Grad plus, was sehr ungewöhnlich ist für diese Jahreszeit. Normalerweise ist es im März noch sehr kalt, sehr selten Plusgrade.

Na jedenfalls geht damit unser letzter Winter mit schmelzenden Schneemassen und überfluteten Straßen in Sibirien zu ende, denn diesen Sommer gehts zurück nach Deutschland. Fünf lange Winter. Meist von Oktober bis April. Im März wurde ich regelmäßig unruhig und verfluchte diese ewige Kälte. Ich wollte den Sommer. Dann hängte ich mir Fotos mit Schneeglöckchen und Krokusse ins Büro. Denn die gibt es in Sibirien nicht. In Sibirien sind gefühlte 2 Tage Frühling. Meist Ende April, Anfang Mai. Die Bäume und Pflanzen sprießen quasi aus dem Nichts in voller Blüte. Der Herbst ist genauso kurz. Letztes Jahr wollte ich Fotos von den wunderschönen bunten Blättern machen, aber als ich raus ging, waren schon alle abgefallen und es war Winter.

Nun bin ich aber irgendwie doch ein bisschen traurig. Denn der Winter ist auch unglaublich schön in Sibirien und gar nicht so schlimm, wie man sich das vielleicht in Westeuropa vorstellt. Das Allerbeste ist, dass hier IMMER die Sonne scheint. Außerdem ist die Kälte sehr trocken, weshalb ich z.B. bei -20 Grad in Irkutsk bedeutend weniger friere als bei -5 Grad in Deutschland. Ganz sicher werde ich die Sonne und den vielen Schnee vermissen. Ich werde die schönen Eisfiguren und die Eisrutschen vermissen. Die dicken leckeren Torten und die Beeren. Sanddorn, Moosbeeren, Himbeeren, Johannisbeeren, Schwarzkirschen oder Blaubeeren, von denen es hier die Besten der Welt gibt. Und die schönen Sibirischen Holzhäuschen, von denen die meisten sicherlich nicht mehr lange stehen werden.

Fußgängerzone ul. Grjasnova ul. Grjasnova_Hausdetail ul. Grjasnova_Hausdetail_2 ul. Grjasnova_Hausdetail_3 ul. Komunarov ul. Komunarov_2 ul. Komunarov_3

Fotos: Stephanie Drömer

Lieber Thomas Anders, alles Gute zum 50!

Am 1. März ist Thomas Anders 50 Jahre alt geworden, erzählte mir heute morgen ganz begeistert der Taxifahrer. Wie er sei auch Thomas Anders 1963 geboren. Auf unserer 20minütigen Fahrt breitete er mir seine Leidenschaft für Modern Talking aus. Wenn er schlecht drauf ist, sagte er, dann braucht er nur diese Musik anmachen und es geht ihm besser. Zum Geburtstag seines Idols wurde hier im TV gezeigt, wie ein russisches Kamera-Team bei Anders Zuhause anklopfte, um ihm zu seinem Ehrentag alles Gute zu wünschen. Er wisse ja, so mein Taxifahrer, dass man in Deutschland nicht einfach so rein platzen könne, dass man zunächst einen Termin für einen Besuch oder ein Interview ausmachen müsse. Das sei in Russland nicht so. Man kommt und geht, wann man möchte, erklärte er mir. Alle Zuschauer erwarteten natürlich, dass der Star an seinem Ehrentag keine Medien empfängt. Aber nein. Thomas Anders versteht seine russischen Fans. Er ließ das Kamera-Team eintreten und ihm gratulieren. Mein Taxifahrer war sowas von beeindruckt. Und dann erfuhr er auch noch, dass Anders wie er in diesem Jahr sein fünfzigstes Jubiläum feiert.

Seit dieser Übertragung läuft Modern Talking in seinem Taxi rauf und runter. Er höre niemals Pop, er höre nur Rock und Chanson. Und Modern Talking natürlich. Das wäre einfach die Musik für eine gute Stimmung.

Als ich ihm sagte, dass Modern Talking, insbesondere Thomas Anders, in Deutschland nicht mehr so populär sind, wie hier in Russland, antwortete er: „Verstehen die Deutschen diese wunderbare Musik etwa nicht? Wenn er hier Konzerte gibt, ist er immer begeistert, wie viele von uns ihn lieben. Und er ist gut zu seinen russischen Fans.“

Selber Denken verboten

Vorgestern brachte mir unsere Tagesmutti ein Video. „Ein Tag in der Klasse 4b“ stand auf dem Cover. Ein Kamerateam war im Januar in der Grundschule ihrer zehnjährigen Tochter Polina und hat für alle Klassen einen Film gemacht. Wer mochte, konnte den Film dann als Erinnerung an seine Grundschulzeit kaufen. Ich fand die Idee super.                         Irgendwann im Film wurden die Schülerinnen und Schüler in Polinas Klasse gefragt, was sie werden möchten, wenn sie groß sind? Die Tochter unserer Tagesmutti sagte an dieser Stelle, dass sie erfolgreiche Wissenschaftlerin werden wolle. Wow, dachte ich. Sowieso war ich begeistert, welche differenzierten Berufswünsche die Kids hatten. Bei uns wollten mit zehn Jahren doch alle Polizistinnen, Kindergärtnerinnen oder Sängerinnen werden. Jedenfalls fragte ich sie heute gleich, in welchem Fach sie denn forschen möchte? „Ich will doch gar keine Wissenschaftlerin werden“, sagte Polinka, „uns wurde vorher von der Lehrerin gesagt, was wir sagen müssen und dafür haben wir dann Zensuren bekommen!“   Und was möchtest wirklich einmal werden?, fragte ich sie. „Fingernägeldesignerin.“

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