Ein paar Gedanken zu Ängsten # Inklusion an Schulen

Ich bin eine radikale Vertreterin von Inklusion. Es gibt aber auch viele Eltern, die Angst haben, ihr Kind unter den momentanen Bedingungen z.B. auf eine Regelschule gehen zu lassen. Ich verstehe die Bedenken, die diese Eltern haben sehr gut und möchte hier versuchen, ein paar meiner eigenen Ängste zu reflektieren.

Obwohl unser Sohn mit Trisomie 21 noch ein paar Jahre kein Schulkind sein wird und, obwohl ich die Hoffnung habe, dass in einigen Jahren das gemeinsame Lernen an Regelschulen besser funktionieren wird, würde ich, wenn er bereits heute schulpflichtig wäre, alles in meiner Macht stehende tun, um ihn an einer Regelschule lernen zu lassen.

Aber wird er dort genug Erfolgserlebnisse haben? Wird er nicht immer der Langsamste sein? Wird er irgendetwas besser können als seine Mitschüler (außer der lustigste Klassenclown sein) und für irgendetwas Anerkennung von Klassenkameraden bekommen?

Wird er mit Hänseleien, Ausgrenzung oder gar Beschimpfungen klar kommen? Wird er trotzdem ein gesundes Selbstbewusstsein aufbauen können?

Zunächst habe ich diese Ängste auch bei unserer Tochter. Aber vermutlich wird sie, zumindest verbal, besser nachfragen, sich durchsetzen und sich verteidigen können. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wer weiß.

Vor allem aber bin ich der Meinung, man darf keine „Erwachsenenängste“ auf die Kinder übertragen. Was mich stresst (Lärm, Gewusel, Tempo) muss ein Kind nicht unbedingt auch stressen. Was mich verletzt (z.B. Beleidigungen), muss ein Kind nicht unbedingt auch immer verletzen. Ich denke, viele Eltern (ich eingeschlossen) reagieren häufig mit Panik, wenn ihr Kind mal ausgegrenzt wird aus einem Spiel, geschubst oder beschimpft. Gleich steigt die große Angst vor dem Außenseitertum hoch, vor das jeder sein Kind bewahren möchte. Ich denke, wir können unseren Kindern viel mehr zutrauen! Auch beobachte ich häufig, dass Kinder untereinander für faires Verhalten „sorgen“ und „böse“ Kinder ermahnen bzw. Schwächere in Schutz nehmen ohne, dass gleich ein Erwachsener mit erhobenem Zeigefinger kommt und schimpft.

Auch Langsamkeit oder häufige Misserfolge müssen nicht immer dramatisch sein. Ich selbst war als Kind und Jugendliche über zehn Jahre in einem Ruderverein und habe fast alle Regatten, bei denen ich gestartet bin, verloren. Trotzdem habe ich es geliebt, es hat mir Spaß gemacht, ich hatte dort Freunde.

Anerkennung ist zweifellos das Wichtigste, was wir alle brauchen, um gesund und munter zu sein. Wir Erwachsenen erkennen oft Leistung bzw. Wissen hoch an. Der Beste, Klügste, Schnellste, Reichste oder Angepassteste wird von uns bestaunt. Bei Kindern ist das nicht immer so. Hier zählen noch andere Dinge, wie z.B., der mit den besten Bonbons oder der, mit dem schönen Hund, den man auch so schön streicheln kann, ist cool.

Das Schlimmste wird die Pubertät, davon bin ich überzeugt. In der Pubertät bekommt der Anerkennung, der die meiste Kraft, die größte Klappe, das größte Motorrad, den geilsten Körper und die höchste Potenz hat, und der, bei dem die „Weiber“ Schlange stehen. Alles Dinge, von denen die meisten Menschen mit Trisomie 21 wahrscheinlich nur träumen können. Jeder, der irgendwie von dem makellosen Sexbomben-Typus abweicht, wird irgendwann mal „Opfer“, „behindert“, „schwul“, „Assi“ und alles, was sonst noch mit „Scheiße“ assoziiert wird. Oder man wird komplett ignoriert. Aber die „Täter“ sind an anderen Orten die „Opfer“ und die „Opfer“ werden die „Täter“. Zum anderen bin ich der Meinung, dass solche Beschimpfungen meist nicht wörtlich gemeint sind. Viele Jugendliche sagen das genauso wie „Das war nicht in Ordnung.“ oder „Ich mag dich nicht.“ So, what the f…? Mich muss ja nicht jeder mögen.

Viel schlimmer ist schon das Mobbing, bei dem jemand mehrere Wochen, Monate oder Jahre von mehreren gezielt ausgegrenzt, beleidigt, erpresst oder anders gequält wird.

Die Pubertät wird eine Herausforderung. Ich bin drauf gespannt, werde wohl auch irgendwie mit den Aufgaben wachsen und hoffe diese Zeit mit Humor rumzukriegen.

Aber was nützt ein selbstbewusstes Kind, das sich von niemandem unterkriegen lässt, wenn es im Unterricht den Stoff nicht versteht? Oder nur zum Teil? Wozu dann die Schule?

In diesem Punkt bin ich nicht nur für radikale Inklusion, sondern auch eine radikale Reformpädagogin)

Lernen ist schon lange nicht mehr Wissen anhäufen. Jeder Mensch hat seine Talente, seine Vorlieben, seine bestimmte Neugierde für bestimmte Dinge, seine Vorstellung von gutem Leben und von einer guten Arbeit. Den einen interessieren die gesammelten Werke von Dostojewski, den anderen die höhere Mathematik. Wieder andere lieben den Geruch von Holz, kochen wie die Götter oder wollen Berufsfußballer werden. Hier können natürlich die Regelschulen auch viel vom Konzept der Sonderschulen abgucken. Ich bedaure noch heute, dass mir auf meinem gutbürgerlichen Elitegymnasium soviel Wissen eingetrichtert wurde, das ich heute mit einem Klick auf mein Smartphone wenn nötig sofort parat habe. Leider kann mein Handy kein Fahrrad reparieren, keine Löcher in die Wände bohren, keine Blumen pflanzen, keine Frösche groß ziehen, kein gutes Fleisch auf dem Markt erkennen und keine Bibliothek anlegen.

Warum bin ich gegen eine Sonderschule für unseren Sohn? Weil unser Kind Teil dieser Gesellschaft ist. Weil Inklusion, wie der „Anderes Sehen e.V.“ gestern so schön twitterte, eine menschliche, eine rechtliche und eine ethische Selbstverständlichkeit ist. # alternativlos

Suche neue Freunde!

Vor genau einem Jahr habe ich dieses Blog begonnen. Eigentlich sollte es ein Tagebuch mit selbstgemachten Dingen und Rezepten werden. Nun wurde es doch etwas bunter. Und meinen guten Vorsatz, jeden Tag etwas selbst zu machen, habe ich leider nicht durchgehalten. 2014 also aufs Neue.

Gestern habe ich bei unserer Silvesterparty erfahren, dass man „Bildungsfernheit“ (mein Unwort des Jahrhunderts) bei Kindern bereits am Namen und an den Gesichtszügen erkennen kann. Schon zwei Schluck Wein in der Schwangerschaft zum falschen Zeitpunkt getrunken, können die Gesichtszüge des Embryos beeinflussen und führen zu dem „typisch“ dummen Aussehen bei Menschen. Wenn man Namen wie Jacqueline oder Kevin hört, sei schon alles klar, behaupteten einige Partygäste. Ich musste dann mal kotzen.

Außerdem habe ich jetzt schon zweimal bei Freunden gehört, dass Eltern von Kindern mit Behinderung bevorzugt werden würden. Einmal sagte jemand, dass sein Kind nicht in die gewählte Schule aufgenommen wurde, weil ein Kind mit Behinderung den Platz bekommen hat. Was für eine Ungerechtigkeit. Dann sagte jemand, der nach dem Lehramtsstudium ein Referendariat an einer Schule machen muss, die ihm zugeteilt wird: „Man muss schon drei Kinder mit Behinderung haben, damit man einen Referendariatsplatz am Heimatort bekommt. Sonst muss man mit einem Anfahrtsweg zur Schule von mindestens 45 Minuten rechnen.“ Was für eine Ungerechtigkeit.

Schön, dass dieses Bildungsbürgertum in Deutschland Politik macht (Vor nicht langer Zeit habe ich mich noch gefragt, wer eigentlich CDU wählt? Jetzt ist mir klar: Die meisten meiner Freunde!). Schöne Aussichten.

Ich suche dann 2014 mal neue Freunde. Frohes Neues!