Geschwister, Eifersucht und mein unterschiedliches Schimpfverhalten

Am Dienstag hatte ich ein interessantes Gespräch. Alle 14 Tage fahre ich zur Diakonie in Hamburg und mache dort eine sogenannte Lebensberatung. ‚Lebensberatung‘ klang für mich im Januar ausreichend allgemein, um da alles unterzubringen, was gerade bei mir brennt. Na und als eine Freundin dann Sylvester zu mir sagte, dass wir für jeden Scheiß Beratung in Anspruch nehmen, aber für das Komplizierteste, nämlich das Leben und die Begleitung von Kindern beim Wachsen, nicht, bestärkte mich das in meiner Entscheidung. so eine Beratung mal auszuprobieren. Mittlerweile habe ich schon das Gefühl, dass es mir hilft. Am Dienstag sprachen wir über meine Konflikte mit unserer Tochter. Ich habe ein wunderbares, inniges und liebevolles Verhältnis zu ihr. Trotzdem glaubt sie manchmal, ich würde Anatol mehr mögen. Oft hört sie nicht darauf, wenn ich „Nein“ sage bzw. achtet meine Grenzen nicht und bekommt Wutanfälle. Ich muss dazu sagen, dass ich meine persönlichen Grenzen lange ihr gegenüber nicht deutlich gemacht habe. Erst vor einem Jahr ungefähr habe ich angefangen, meine Grenzen innerhalb der Familie selbst wahrzunehmen und zu zeigen und mir auch mehr Zeit für mich selbst zu nehmen. Das war für mich schwer. Vorher tat ich es aus Überzeugung nicht, ich dachte immer, dass die ersten Jahre eines Kindes nunmal 100%ige Aufmerksamkeit bedürfen und, dass ich die Neugierde der Kinder nicht bremsen darf, war sehr stolz auf ihre Willenstärke. Ich wollte ja immer selbstbestimmte und selbstbewußte Kinder und keine Mäuschen. Das führte nun aber dazu, dass ich in eskalierenden Situationen wie z.B. Wutanfälle mit unserer Tochter immer sprach wie mit einem erwachsenen Menschen, der seine Taten ganz genau reflektieren kann: Zuerst ließ ich sie toben. Wenn sie sich beruhigt hatte, dann redete ich mit ihr in Ruhe. Ich sagte immer: „Lili, ich bin verunsichert, wenn du solche starken Wutanfälle bekommst und weiß dann selbst nicht, wie ich darauf reagieren soll. Wie möchtest du in dieser Situation behandelt werden? Was soll ich tun?“ Meine Beraterin sagte nun vorgestern, dass ich ein sechsjähriges Kind (oder sogar jüngeres) total überfordere mit solchen Fragen. Sie braucht ein ganz klares „Nein. So geht das nicht! Punkt.“ Und zwar ohne Diskussion und ohne, dass sie selbst überlegen muss, was Mama machen soll oder selbst in dieser Situation eine Entscheidung treffen muss.
Ich begann zu verstehen, warum unsere Tochter sich immer die Ohren zuhält, wenn ich schimpfe. Ich war schon immer eine Rede-Mutter und überschätzte schon immer die natürliche Wahrnehmung von Grenzen von Kleinkindern bei sich selbst und anderen. Mit einem Jahr erklärte ich unserer Tochter z.B. schon lang und breit, was warum lieber nicht getan werden sollte und welche Konsequenzen das hätte. Meine Schwiegermutter wunderte sich schon immer, was ich immer rede. Vorgestern begann ich auch zu verstehen, warum unsere Tochter das Gefühl hat, dass ich mit Anatol nicht so viel schimpfe wie mit ihr. (Was ich selbst komischerweise niemals so wahrnahm, was aber auch mit ein Grund dafür sein kann, warum sie manchmal das Gefühl hat, dass ich Anatol lieber mag.) Aber sie hat recht. Ihm habe ich noch nie „Predigten“ gehalten, weil ich ja weiß, dass er diese sowieso nicht versteht. Bei ihm habe ich immer ganz klar, kurz und laut Stopp oder Nein gesagt. Das Äußerste ist dann, wenn ich ihn bestimmt greife und ihn in sein Zimmer setze, wenn er Mist gebaut hat. Dann weint er. Und nach einer Weile ist alles wieder gut. Unsere Tochter musste stattdessen ihr gesamtes Kinderleben lang bei Mist einen moralgeladenen Redeschwall ertragen. Ohje. Das arme Kind. Jetzt tut sie mir so leid. Dieses unterschiedliche Schimpfverhalten war mir vorher absolut nicht bewußt und es ist einfach furchtbar.
Schlimm fand ich, als meine Beraterin sagte, dass Kinder, die die Eltern nicht als Über-Allem-Stehend erleben, sich oft nicht sicher fühlen. Kinder hätten das Bedürfnis, dass Erwachsene ihnen sagen, was richtig und was falsch ist, ohne, dass sie darüber nachdenken müssen. Erst dann fühlen sie sich behütet, sicher und beschützt. Erst wenn sie vollkommen sicher sind, dann fangen sie irgendwann an zu rebellieren. Was auch wichtig ist.
Dann fragte ich die Beraterin, ob da noch etwas zu retten sei? Ich bin natürlich total geschockt gewesen, dass gerade mein Kind sich von mir wahrscheinlich nicht ausreichend beschützt fühlt. All das schien mir nämlich absolut plausibel in der Beziehung zu ihr. Die Beraterin meinte, dass es natürlich nicht zu spät ist.
Man man man. Warum ist das alles nur immer so kompliziert? Ich bin doch auch nur ein Mensch.

Selbstgemachte Pelmeni

Gestern haben wir zusammen mit Daria und Xavier Pelmeni gemacht. Selbst gemacht schmecken sie natürlich viel besser als gekauft. Wenn die kleinen Monster nicht schon beim Kneten so viel Teig gefuttert hätten, dann hätten wir auch noch eine zweite Mahlzeit gehabt.

Und so gehts:

Für den Teig 2 Eier, 150 ml Wasser, 1/2 Teelöffel Salz und 400 g Mehl zu einem Teig verarbeiten und ein wenig abgedeckt ruhen lassen.

Für die Füllung 500 g Hackfleisch mit 2 klein gehackten Zwiegeln und etwas Salz und Pfeffer mischen.

Den Teig dann halbieren und dünn ausrollen. Jetzt können die Pelmeni mit einem Glas ausgestochen werden, jeweils etwas Gehacktes auf die Plättchen verteilen und den Teig (besonders die Kanten) zusammen drücken wie bei Tortellini. Daria hat eine spezielle Pelmeni-Form, die wir genutzt haben. So ging das super schnell. Danach müssen die Pelmeni nur noch ca. 5 min. in kochendes Wasser. Und schon sind sie fertig und super lecker. Am besten schmecken sie mit etwas Saurer Sahne oder Schmand.

17.4_1 17.4_2 17.4_3 17.4_5 17.4_6 17.4_8 17.4_9 17.4_10 17.4_11 17.4_12 17.4_13 17.4_14 17.4_15 17.4_16 17.4_17

Bloody Sunday

Heute habe ich gefühlt den ganzen Tag die Kinder angebrüllt. Ich bin ganz erschöpft. Lili hat schon häufiger gesagt, dass meine Lieblingsbeschäftigung wohl Schimpfen sei. Lag es am Stress der Woche? Ich weiß nicht. Auf jeden Fall hat unsere sechsjährige Tochter heute einige klare Grenzen überschritten und mich so dermaßen auf die Palme gebracht: den Kinderwagen des einwöchigen Babies der Nachbarin (mit Baby) mit dem Fußball angeschossen, zudem in die Beete und das Fenster des anderen Nachbarn geschossen, Blumen abgerupft, die Scheibe der Haustür mit einem Stein zerkratzt (!!! Das wird jetzt richtig teuer.), meine ganze Tasse Kaffee ausgetrunken, Barfuß raus gegangen, den ganzen Sand aus dem Sandkasten geholt, Anatol beim Baden ständig an den Schwanz gefasst (obwohl er eindeutig signalisierte, dass er das nicht möchte), unter dem Tisch Abendbrot gegessen, …. ich bin fast WAHNSINNIG geworden. Was ist bitteschön das Problem dieses Kindes? Ich war sooo sauer, dass ich ihr eine Woche Computerverbot gab. Außerdem musste sie das Wohnzimmer und das Kinderzimmer aufräumen. Boah war ich sauer! So sauer bin ich selten. Wenn ich sauer bin, dann brülle ich immer irgendwas von Rücksichtslosigkeit, Egoismus, anderer Gefühle nicht respektieren, absichtlich böse sein oder anderen weh tun. Heute brüllte ich noch zusätzlich was von mutwillig Eigentum zerstören ginge gar nicht, Verantwortung für sein Handeln übernehmen müssen, dass alles sehr viel Geld kostet, naja, sowas in diese Richtung. Und sie brüllt dann zurück: „Du hasst mich ja sowieso. Du magst den Tolja viel mehr als mich. Wenn du mich nicht willst, dann gib mich doch ins Kinderheim!“.
Meine Güte. Es eskaliert zwischen uns immer wieder. Sie scheint durch provozierendes Verhalten immer wieder meine Aufmerksamkeit bekommen zu wollen. Sie ist aber auch eindeutig eine hervorragende Drama-Queen.

Heute Abend habe ich dann mit ihr in Ruhe geredet. Ich fragte sie, ob sie tatsächlich glaubt, dass ich Anatol lieber mag? Sie sagte ja. Ich fragte sie, warum sie das glaubt? Sie sagte, dass ich mehr mit Anatol mache.

Sie hat recht. Ich fahre immer gerne mit ihm ins Niendorfer Gehege zu den Rehen, den Pferden, auf den Spielplatz oder spiele mit ihm Fußball. Das macht mir Spaß. Er liebt es draußen zu sein genauso wie ich. Sie ist lieber in der Wohnung, hört Hörspiele und Musik, schaut Filme und malt. Sie mag nie rausgehen. Sie muss ich immer ewig überzeugen etwas zu unternehmen. Mit ihm unternehme ich auch gerne Dinge, weil er keine Kauf-mir-das-und-das-Attacken hat, die mich ziemlich nerven. Gehe ich mit Anatol z.B. in den Zoo, dann schauen wir Tiere an, wir lieben das. Gehe ich mit Lili in den Zoo, dann will sie alle 2 Minuten ein Eis oder Pommes oder sie will in den Zooladen, um sich dort von ihrem Taschengeld irgendein Kuscheltier zu kaufen. Es geht ihr nicht um die Tiere und das macht mir dann eben keinen Spaß. Wahrscheinlich spürt sie genau das.

Wir müssen herausfinden, was wir gerne miteinander tun. Wir waren eine zeitlang regelmäßig schwimmen, das liebt sie auch. Aber das Bondenwald-Schwimmbad bei uns um die Ecke wird nun schon seit einem Jahr gebaut. Wir müssen uns etwas anderes überlegen. Oder ein anderes Schwimmbad? Mal gucken. Auf jeden Fall haben wir heute Abend ausgemacht, dass wir jetzt wieder jede Woche einmal was gemeinsam machen werden.

Diesen Salat hat Lili heute ganz allein gemacht.
Diesen Salat hat Lili heute ganz allein gemacht.

„Was wir von Menschen mit Down Syndrom lernen können?“

Lili: Letzte Woche hat Niklas in der Schule gesagt, dass Menschen mit Down Syndrom nichts verstehen. Dass sie sogar zu Eltern „Schwester“ sagen.
Ich: Es stimmt, dass Menschen mit Down Syndrom oft länger brauchen, um Sachen zu verstehen und, dass sie sich viel langsamer entwickeln als andere Menschen. Aber das ist nicht so schlimm. Dafür können sie bestimmte Dinge besser als andere. Anatol tröstet z.B. jeden Menschen der traurig ist. Das ist gut und wichtig. Außerdem lacht er sehr viel und ist viel fröhlicher als andere Kinder.
[Mist. Ich ahnte, was jetzt kommt.]
Lili (traurig): Ich kann nichts besser als andere Kinder.
Ich: Doch. Du bist neugierig und stellst viele Fragen. Du bist besonders klug.
[Plötzlich bekam ich Angst, dass ich ihr immer die Rolle der „Klugen“ zuweise und sie damit eventuell total unter Druck setzen könnte.]

Ich ärgere mich über mich selbst. Weder Anatols Dasein muss durch seine Fähigkeit zum Trost oder seine Fröhlichkeit beschrieben oder gerechtfertigt werden, noch das Dasein unserer Tochter durch ihre Klugheit. Spontan argumentiere ich trotzdem oft so. Ich muss das ändern.

Selbst Prof. Zimpel, den ich sehr schätze, betitelt sein aktuelles Buch so „Was können wir von Menschen mit Trisomie 21 lernen?“ Hat er diesen Titel bewusst gewählt, weil er davon ausgeht, dass die Mehrheitsgesellschaft von der selbstverständlichen Teilhabe als Menschenrecht nicht sonderlich zu beeindrucken ist und man in der Leistungsgesellschaft eben besonders betonen müsse, wozu selbst geistig Behinderte nützlich sind? Gibt man sich mit Menschen nur ab, wenn sie in irgend einer Form nützlich für uns sein können? Das Buch von Zimpel ist großartig und ich glaube, dass er eine solche Assoziation mit dem Titel nicht bezweckt hat.

Hm. Trotzdem suche ich eine coole, kindgerechte Reaktion auf das Argument von Grundschülern, dass Menschen mit DS vieles nicht verstehen können? Aber ohne: „Dafür können sie das besser“-Rhetorik.
Any suggestions?