Sonnige Maifeiertage in Mecklenburg

Es sieht ja fast so aus als würden wir ständig Urlaub machen. So oft wie dieses Jahr waren wir tatsächlich lange nicht mehr unterwegs. Dieses Mal mit meiner Freundin Jule und ihrem Sohn Johann. In der wunderbaren Gutsscheune Thorstorf. Mit viel strahlend blauem Himmel. Aber noch zu kalt zum Baden in der Ostsee.

Es waren ruhige und sehr schöne Frühlingstage. Nur am letzten Tag gab es nochmal Aufregung. Zumindest für mich, als Anatol plötzlich abgehauen ist und ich ihn im ganzen Dorf gesucht hatte. Nach ca. 20 Minuten ist er dann aus irgendeiner Hofgarage stolziert und brachte eine alte Luftpumpe mit. Er war ganz entspannt.

 

Ausflug in den Wildpark

Heute waren wir im Wildpark Lüneburger Heide. Von uns sind wir nur etwas mehr als 30 Minuten mit dem Auto gefahren. Es war sehr schön. Das Tollste waren die Schweine im Schafspelz, die Wölfe, die Sibirischen Tiger und die Fischotter. Nur ein einziges Mal sind wir etwas panisch geworden als Anatol blitzschnell durch den Zaun in ein Tiergehege huschte, dort gemütlich umher spazierte, unsere Schreie völlig ignorierte und wir riesige Angst hatten, dass er gebissen wird. Zum Glück ist alles gut gegangen.

Und dann habe ich heute diese großartige Winterrede von Franziska Schutzbach gelesen. Unbedingt lesenswert.

Warum ich mich jetzt von der Mutter-Kind-Kur erholen muss

Verschiedene Infekte hatten mich über den Jahreswechsel flach gelegt, so dass ich sowohl Heiligabend als auch Sylvester 2016 verschlief. Die dreiwöchige Mutter-Kind-Kur in einer Reha-Klinik im Harz im Januar verlief dann auch etwas anders als erwartet, so dass ich mich danach erst einmal vom Kur-Stress erholen musste. Das hing zum einen damit zusammen, dass ich Anatol nicht guten Gewissens in die dortige Kinderbetreuung geben konnte, weil die Erzieherinnen mit ihm ziemlich überfordert waren und deshalb mit ihm ständig schimpften. Und das, obwohl sie mir im Vorfeld telefonisch versicherten „Wir kennen uns mit Kindern mit Trisomie 21 aus. Wir hatten schon öfter Kinder mit einer Behinderung hier.“ Dann hatte ich fast jeden Morgen bei der Übergabe im Kinderhaus ein ungutes Gefühl, das mich quälte. Abends bekam er dann ganz viele Kuscheleinheiten. Zum anderen sollten wir alle Mahlzeiten im Speisesaal einnehmen, in dem ca. 30 Frauen mit ungefähr 80 Kindern aßen bzw. versuchten alle zu essen. Für uns war es fast unmöglich, weil Anatol dauerhaft um das Buffet herum rannte und immer mal wieder Wurst oder Käse oder anderes herunter riss und auf den Boden feuerte. Auch versteckte er sich unter den Tischen, begrüßte alle anderen Kinder beim Eintreten und war im Grunde so überreizt von dieser Ess-Situation, dass er sich kaum auf die eigene Nahrungsaufnahme konzentrieren konnte. Ab und zu nahm ich etwas mit ins Zimmer, damit er nicht verhungert. Sehr ungünstig für uns war auch noch, dass unsere Zimmertür sich nur mit einem einfachen Drehknauf abschließen ließ. Die Schließung hatte Anatol schon am ersten Tag verstanden und verließ dann ständig das Zimmer, um auf Entdeckungstour zu gehen. Am meisten interessierte er sich für unabgeschlossene Zimmertüren anderer Kurgäste, in deren Zimmer er dann still und leise hinein huschte, um dort Fernbedienungen, Handys und andere technische Geräte auszuprobieren. Einen Großteil der Kur verbrachte ich also damit, ihn zu suchen. Und schließlich kam noch dazu, dass ich täglich ganztags „Programm“ hatte, das mich ziemlich stresste und ich eigentlich nur in Ruhe mal bei einer gemütlichen Tasse Kaffee eine Zeitung oder ein Buch lesen wollte. Das war aber leider nicht möglich. Trotz mehrfacher Überlegungen, habe ich die Kur dann nicht abgebrochen, weil dort im Harz wunderschöner Tiefschnee war und wir quasi täglich am Berg hinter der Kurklinik rodeln gehen konnten – etwas, das wir seit vier Jahren, seit wir aus Sibirien nach Deutschland kamen, so sehr vermissen: einen richtigen Winter. Außerdem hat Liljana dort in den drei Wochen ihr Seepferdchen-Schwimmabzeichen machen können. Sie war super stolz.

Die ersten drei Tage war Sascha mit dabei und wir haben noch zwei tolle Ausflüge gemacht: mit der Seilbahn auf den Wurmberg bei Braunlage und ein Besuch des Silbererzbergwerkes Grube Samson in Sankt Andreasberg. Hier konnte Lili endlich mal sehen, wo man echtes Silber findet. Seit ich ihr im Dezember einen Edelstein-Adventskalender gemacht hatte, interessiert sie sich brennend für Steine, Kristalle und Mineralien.

Ich bin gespannt, was 2017 bringt. Zur Kur fahre ich vorerst nicht nochmal.

„Das Risiko nichtbehinderte Eltern zu bekommen“ – Ein Abend mit Udo Sierck

Am 28. September 2016 war Udo Sierck zu Gast im Elternverein Leben mit Behinderung Hamburg. Udo Sierck hat mich immer beeindruckt. Von den vielen Büchern zum Thema Inklusion, Behinderung und Entwicklung, die ich nach der Geburt unseres Sohnes mit Trisomie 21 gelesen hatte, hätte ich mir unzählige sparen können, wenn ich früher auf „Sie nennen es Fürsorge“, „Die Wohltäter-Mafia“, „Budenzauber Inklusion“ oder „Dilemma Dankbarkeit“ von Udo Sierck gestoßen wäre.

In seinem Einstiegsreferat sprach Sierck über das Dilemma Dankbarkeit für viele Behinderte, mit dem er sich in seinem jüngsten Buch ausführlich auseinandergesetzt hatte. Er meint hiermit die antrainierte Rolle von vielen behinderten Menschen, „brav, dankbar und ein bisschen doof“ zu sein/bleiben. Der Zeitgeist lautet: Sei zufrieden mit dem, was du hast. Dankbarkeit kann laut Sierck dazu führen, dass jemand seine tatsächlichen Bedürfnisse zurückstellt, um seinem Gönner zu gefallen. Die Erziehung zur Dankbarkeit führt zu einem Verhalten der Loyalität gegenüber der Autorität, das jede Ungerechtigkeit und jeden Übergriff hinnimmt. Im Verhältnis zwischen Helfenden und Hilfsbedürftigen birgt das eine noch immer zu wenig beachtete Brisanz. Und dieses Dilemma beginnt in der Beziehung zu den Eltern, führte Sierck diesen Aspekt aus. Wenn einem Behinderten z.B. von der Mutter oder von Geschwistern immer wieder verdeutlicht wird, dass diese sich „aufopfern“ für das Wohl des behinderten Angehörigen oder seinetwegen „zurückstecken müssen“, kann man lebenslang eine bremsende Demut entwickeln, nicht nur gegenüber den Angehörigen, sondern gegenüber dem gesamten Lebensumfeld. Sierck ist davon überzeugt, dass dieser Gedanke in Deutschland besonders stark ausgeprägt ist: Wer nimmt oder bekommt, muss auch geben. Und wenn behinderte Personen nichts geben können, sollen sie wenigstens mit Dankbarkeit aufwarten. Diese Entwicklung wird verstärkt durch die wachsenden sozialen und beruflichen Anforderungen. Viele Menschen suchen nach Ratgebern, um diesen Ängsten zu begegnen. Die Suche nach dem Selbst beginnt, als ein Mittel gilt die Orientierung zur Dankbarkeit. Die Versuche zur Optimierung des Ichs rücken in den Mittelpunkt, die Lebensverhältnisse bleiben außen vor, es wird nur eine egozentrierte Perspektive propagiert. „Bei dieser Tendenz zur Individualisierung bleibt letztlich die soziale Verantwortung auf der Strecke“. Mit diesem realen und pessimistisch-traurigen Gedanken endet Sierck seine Ausführungen.

Eine rege Elterndiskussion folgte. Der Tenor war der immer wiederkehrende Konflikt der Eltern, an welchen Stellen sie in die Selbstbestimmung ihrer oft verhaltensauffälligen Kinder eingreifen dürfen, können oder sogar müssen. Um das Kind vor den Aggressionen und der Ablehnung der Gesellschaft zu bewahren, versuchen viele Eltern, das Kind so weit es geht zu normalisieren. Viele Eltern sind auch davon erschöpft, immer wieder aufzufallen.

Udo Sierck reagiert mit dem Hinweis, dass man in die Natur des Menschen oft nicht eingreifen kann. Viele Verhaltensauffälligkeiten sind für behinderte Menschen selbstregulierend und wichtig. Zwingt man sie, diese abzustellen, geraten sie häufig in extremen inneren Stress, der wiederum zu anderen Auffälligkeiten führt. Die Energie, die viele Eltern in die Normalisierung bzw. Therapie des Kindes stecken, sollten sie lieber in die Aufklärung des Umfelds stecken, dass dieses Verhalten zum Wesen des Kindes dazu gehört, es keinesfalls böswillig ist und als Ausdruck menschlicher Vielfalt gewertschätzt werden sollte. Der Kommentar im Publikum, dass viele Eltern mit der ständigen Aufklärung des Umfelds überfordert sind, ließ den Wunsch aufkommen, hierin von Elternvereinen zukünftig mehr gestärkt zu werden.

„Aber ich habe ständig Angst, dass mein Kind woanders nicht gut aufgehoben ist und eben nicht so gewertschätzt wird wie von mir und unserer Familie.“, wurde angemerkt.

Sierck antwortet entschlossen, dass ein Kind Niederlagen und Misserfolge erleben muss, um selbstständig aktiv zu werden und nach Lösungen zu suchen. Solche negativen Erlebnisse seien ein ganz entscheidender Faktor für die Entwicklung von Autonomie und Selbstbestimmung. Wenn wir dies für unsere Kinder wollen, dann dürfen wir sie nicht davor bewahren.

„Aber mein Kind ist nicht so fit wie Sie Herr Sierck. Mein Kind ist schwer mehrfach behindert und hat eine geistige Behinderung.“, kam aus dem Publikum.

Es ginge nicht um eine Diskussion um Grenzen oder einer stufenartigen Einteilung von fit-Sein, so Sierck sinngemäß. Es geht immer um einen einzelnen Menschen und wie diesem individuellen Menschen größtmögliche Autonomie ermöglicht werden kann. Hier muss man manchmal sehr kreativ werden, um die Bedürfnisse eines Menschen herauszubekommen und zu verstehen.

Dann ging der Abend zu ende und beschäftigte mich noch lange. Uns Eltern scheint es enorm schwer zu fallen, uns von unserem behinderten Kind zu lösen, es in Ruhe zu lassen, es von Erwartungen und Druck zu befreien und in seinem Anders-Sein zu lieben wie es ist. Immer wieder war die Rede von „erzieherischen Bemühungen“, „alles für die positive Entwicklung des Kindes zu tun“ oder es „umfassend zu fördern“. Und ich hatte das Gefühl, dass wir Eltern im Publikum doch nicht verstanden hatten, worum es Sierck ging: eben darum, nicht auf das Kind einzuwirken und es nicht zu formen oder normalisieren zu wollen, sondern die Fäden durch zu trennen, sich zurück zu nehmen, los zu lassen, zuzulassen und auszuhalten. Das Kind sein lassen wie es ist und seinen Weg gehen zu lassen. Kein Wunder, dass die von Sierck mitbegründete Krüppelbewegung in den 80er Jahren u.a. die Eltern als ihre Feinde deklariert hatte.

24 Wochen – Eine Filmkritik

Am 24. September wurde der Film „24 Wochen“ von Anne Zohra Becharreds im ausverkauften Kino Abaton in Hamburg gezeigt. Der Film wurde von einer Jury der deutschen Programmkinos und Filmkunsttheater mit dem Gilde-Filmpreis als bester Wettbewerbsbeitrag der Berlinale ausgezeichnet. Anne Zohra Becharreds bekam zudem für ihren viel gelobten Film, der das Thema Spätabtreibung behandelt, den Studio Hamburg Preis in der Kategorie Beste Regie. In „24 Wochen“ ist die Kabarettistin Astrid mit ihrem Manager Markus liiert. Beide haben zusammen ein Kind, die neunjährige Nele. Als Astrid mit ihrem zweiten Kind im sechsten Monat schwanger ist, erfährt das Paar bei einer Routineuntersuchung, dass ihr ungeborenes Kind mit dem Down-Syndrom und einem schweren Herzfehler zur Welt kommen wird. Das Paar muss entscheiden, ob das Kind zur Welt gebracht oder eine Spätabtreibung eingeleitet werden soll. Nach vielen Auseinandersetzungen und Diskussionen entscheidet sich Astrid dafür, das Kind im sechsten Monat abzutreiben. Anschließend geht sie mit dieser Entscheidung an die Öffentlichkeit.

Der Film zielt darauf, den Zuschauer mit einem riesigen Kloß im Hals zurück zu lassen. Spätestens wenn der gerade getötete Fötus nach der Geburt zum Abschied auf die Brust der Mutter gelegt wird, ist der Punkt der Unerträglichkeit erreicht. Auch unerträglich ist, dass „24 Wochen“ auf die Abweichung vom perfekten Kind als etwas Schrecklichem fokussiert und die furchtbare Zerrissenheit der Frau musik- und filmästhetisch zusätzlich stark dramatisiert. Herzfehler sind eine der häufigsten Organfehlbildungen bei Neugeborenen. Es gibt weder eine Garantie noch ein Recht auf ein gesundes Kind. Aber es geht in „24 Wochen“ nicht um eins von vielen Föten mit einem Herzfehler (denn das ist ja kein wirklicher Abtreibungsgrund). Die Melodramatik dieses Films setzt hier noch eine vermeintlich grausame Trisomie 21 drauf. Lukas Stern schreibt in seiner Kritik zum Film: „Wäre der Film wenigstens so hübsch nüchtern, anonym und neutral wie die Begrüßungsfloskeln von Allgemeinärzten zur Routineuntersuchung.“

Fabian Wallmeier nennt den Film „Pädagogik statt Filmkunst“ und ist sogar der Ansicht, dass „24 Wochen“ eben nicht – wie suggeriert – die Antwort auf die Frage ‚Abtreibung oder nicht?‘ offen lässt: „Bis ins kleinste, oftmals schmerzliche Detail dekliniert der Film die sozialen, rechtlichen und vor allem medizinischen Komponenten durch. Echte Ärzte und andere Experten treten auf, erklären zum Beispiel, dass bei einer Spätabtreibung zunächst dem ungeborenen Kind eine Spritze verabreicht wird und dann die Wehen eingeleitet werden. Die Ambivalenz, die durch die Ansammlung von Wissen aus allen Richtungen und durch die harten Diskussionen zwischen Astrid und Markus erzeugt werden soll, bleibt letztlich bloße Behauptung. Denn letztlich liefert der Film die Antwort auf die moralischen Fragen unmissverständlich mit: Ja, Spätabtreibung ist in einem solchen Fall in Ordnung und die Mutter allein hat darüber zu entscheiden.“

Der Film-Vater, Markus, steht mit seiner Haltung für das Leben des noch ungeborenen Kindes seiner zweifelnden Frau sehr hilflos gegenüber. Wie geht man damit um, wenn sich die Partnerin gegen ein gemeinsames Kind entscheidet, weil es nicht gesund sein wird? Was bedeutet das für die weitere Beziehung, wenn sie sagt, sie hätte „dafür“ keine Kraft? Was, wenn man morgen selbst – durch einen Unfall – auf mehr Zeit und Pflege angewiesen sein wird, hat sie dann auch dafür keine Kraft? Und was bedeutet überhaupt die Annahme, für etwas angeblich keine Kraft zu haben?

Kirsten Achtelik hatte schon in ihrem Buch „Selbstbestimmte Norm“ darauf hingewiesen, welche entlastende Wirkung Nichtwissen in der Schwangerschaft hat: „Wenn erst am Ende der ganz normalen Diagnosespirale die Beratung und die Entscheidung anstehen, übt dies einen enormen moralischen Druck auf Schwangere aus statt sie zu unterstützen.“ Achtelik macht den Vorschlag, dass schon vor jeder pränatalen Diagnostik psychosoziale Beratung stattfinden sollte, mit deren Hilfe die Schwangeren ganz am Anfang der Schwangerschaft herausfinden könnten, was sie eigentlich warum wissen wollen.

Für viele Menschen mit Trisomie 21 und ihre Eltern ist dieser Film paralysierend. Die eigenen Perfektionserwartungen von Astrid bringen sie in „24 Wochen“ dazu, sich ein möglichst pflegeleichtes Kind zu wünschen und in letzter Konsequenz das unperfekte zu töten. Hier wird der Weg, den 9 von 10 Schwangeren nach der Diagnose Trisomie 21 in Deutschland gehen und damit die eugenische Auswirkung, die diese vielen Einzelentscheidungen auf die Gesellschaft haben, legitimiert. Im Wunsch der Mutter, ein Problem aus der Welt zu schaffen, blendet der Film jedoch nicht nur die Folgen des gewalttätigen Alleingangs von Astrid für ihre Beziehung zu Markus aus, sondern auch die psychologischen Folgen für sie, Markus und Tochter Nele. Schließlich bestätigt der Film das Schreckgespenst Down Syndrom und versucht auch noch die Selektion mit viel Tragik „verstehbar“ machen und rechtfertigen zu wollen.

Urlaub in Fedderwardersiel

Endlich Urlaub. Wir waren im Juli in Fedderwardersiel in Niedersachsen und hatten eine ganze Woche Nordsee-Traum-Sonnenschein. Fedderwardersiel hat den einzigen Fischerhafen in Butjadingen mit mehreren Fischerbooten und einer Krabbenfischerei. Die benachbarte Deichschäferei hält auf etwa dreizehn Kilometer Deichlinie 500 Schafe, die für die Festigkeit der Grasnarbe sorgen, damit der Deich den schweren Anforderungen der Sturmfluten standhalten kann. Es war wunderschön und Sascha und ich haben uns fast gar nicht gestritten. Mit Lili habe ich die erste Wattwanderung meines Lebens gemacht und Krabben und Garnelen gefischt. Auch Anatol war vom Watt, dem vielen Schlick, den Würmern und Krabben ganz begeistert.

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Die Angst überwinden – Fortsetzung

Drei Tage Kita-Reise an die Ostsee. Wieder beim Abschied heimlich geweint. Anatol (4) ist noch so klitzeklein. Die Kita-Leitung nennt ihn liebevoll den „Leisen Übeltäter“, weil er sich immer unbemerkt, still und leise davon schleicht und Blödsinn macht. So hatte sie ihn einmal gerade noch rechtzeitig erwischt als er über den Gartenzaun der Kita kletterte und das Weite suchen wollte.

Drei Tage ohne Mama, Papa und Lili. Für ihn kein Drama. Für die ErzieherInnen wahrscheinlich eine Herausforderung. Und für mich eine Möglichkeit, Loslassen zu üben. Das ist wirklich schwer.

Gestern den ganzen Tag Bücher mit Lili gelesen, im Schwimmbad und mit Papa im Restaurant gewesen. Und dann finde ich ein Brief von ihr an ihren Bruder im Briefkasten. Und wieder ein bisschen Weinen. Es geht uns gut.

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Die Angst überwinden

Letzte Woche war in Anatols Kita eine Gruppenübernachtung geplant. Da er mittlerweile seit zweieinhalb Jahren in dieser Kita ist, hatte er schon zwei oder drei Übernachtungen problemlos mitgemacht. Ich bin auch keine besonders ängstliche Mutter und freue mich immer eher, wenn die Kinder mal nicht da sind.
Diesmal war es etwas anders.

Denn die Gruppe hatte sich entschieden vor der Übernachtung in die XXL-Spielestadt zu gehen. Das ist ein Spiele-Kletter-Gelände, in dem die Kinder nach zwei Stunden so k.o. getobt sind, dass sie nur noch ins Bett fallen und sofort schlafen. Ich persönlich habe solche riesigen Indoor-Spielplätze mit den Kindern bisher erfolgreich gemieden, weil sie mir einfach zu anstrengend sind.

Jedenfalls versuchte ich Anatol morgens im Auto zu erklären, dass er heute in der Kita übernachtet. Er lächelte und nickte, ich glaube nicht, dass er mich verstanden hat. Dann übergab ich ihn mit etwas bebenden Lippen der Erzieherin und sagte, sie solle mich anrufen, wenn er sich zurück zieht, sich anziehen geht und nach Hause will. Sie erwiderte, dass sie ihn in diesem Fall aus der Gruppe nehmen und sich jemand mit ihm hinlegt und ausruht. Dann weinte ich auf dem Weg nach Hause.

Ich schrieb Sascha eine SMS: „Ich habe ein ungutes Gefühl. Die Erzieherinnen können die Signale von Anatol noch nicht so gut deuten, wissen nicht, wann es zu viel für ihn ist.“ Er antwortete: „Lass den Erzieherinnen die Möglichkeit diese Signale kennenzulernen, um selbst darauf reagieren zu können.“ Ich weinte noch mehr. Warum hat der Mann nicht diese furchtbare Angst, die ich habe?

Den gesamten Tag ging mir durch den Kopf wie dieser Vierjährige, der die Statur eines Zweijährigen hat und seine Bedürfnisse sprachlich nicht äußern kann, auf einem großen Trambolin sitzt während 5 Kinder wie wild um ihn herum springen, ihn so richtig durchschütteln und er nicht versteht was abgeht. Ich stellte mir vor wie er die Rutschen herunter heizt ohne darauf zu achten, ob jemand vor ihm auf der Rutsche ist, dem er ordentlich in den Nacken stürzt. Ich stellte mir vor, wie er die coolen Kletternetze hoch wurschtelt und dann von ganz oben durch ein Loch nach ganz unten fällt…..

Es war ein schlimmer Tag. Ich verfluchte die Kinder in seiner Gruppe. Konnten sie sich nicht einfach für einen Zoobesuch entscheiden? Ich verfluchte die Erzieher. Sie müssen doch bei einem solchen Ausflugsplan die Schwächsten mit einbeziehen? Ich verfluchte meinen Mann. Warum habe nur ich Sorgen und kann sie mit ihm nicht „teilen“?

Am nächsten Tag holten wir das strahlende Kind aus der Kita ab. Es sei alles bestens verlaufen, Anatol habe riesigen Spaß gehabt.