„Meine Freiheit wird von der Verfassung garantiert – Deine hat bis jetzt nicht interessiert!“

Anatol (5) geht mittlerweile schon in die Vorschulgruppe der Kita. Heute früh habe ich die Mutter einer seiner langjährigen Kita-Freundinnen getroffen, die zusammen mit ihrem Lebenspartner für ihre gemeinsame Tochter die Vorschulgruppe in einer nahe gelegenen privaten Schule gewählt hat. Diese Schule nimmt übrigens – genau wie auch die Montessori-Schule Hamburg, die Waldorfschulen und fast alle anderen Privatschulen in Hamburg keine Kinder mit Behinderung auf.  Auf meine Frage, warum sie diese Schule gewählt haben, sagte sie, dass ihre Tochter schnell abgelenkt ist, mit so vielen Rabauken gar nicht klar kommt und ein geschützteres, ruhiges Lernklima mit genügend Aufmerksamkeit benötigt. Ich antwortete etwas forsch, dass sie damit ja dann erfolgreich der Inklusion entgangen sind. Sie ging etwas beleidigt fort.

Eine Stunde später entschuldigte ich mich per SMS bei ihr dafür, dass ich sie so angegangen bin, dass das nicht meine Absicht war und ich mich freue, dass sie mit der Schule so zufrieden sind. Sie antwortete:

Hallo J., danke für deine SMS. Ich kann deinen Unmut durchaus nachvollziehen. Gleichzeitig bin ich es inzwischen aber auch leid, mich ständig dafür rechtfertigen zu müssen, dass wir [Name der Tochter] auf diese freie, demokratische Schule gegeben haben. Das geschah schließlich nicht aus einer Laune heraus, sondern nach gründlichem Abwägen ihrer Bedürfnisse und dem Angebot der umliegenden Schulen. Das Thema ist sehr vielschichtig, und bei der Diskussion um Schulformen, Inklusion etc. wird leider oft außer acht gelassen, dass auch scheinbar „fitte“ Kinder z. B. emotional nicht so robust sind und die Schulform auch für diese Kinder passen muss. Auf einer vierzügigen Regelschule mit großen Klassen und weniger Lehrern wäre [Name der Tochter] vermutlich unter gegangen. Das wollten wir nicht – auch wenn wir ihr damit nicht unbedingt Vielfalt vorleben. Das müssen wir dann an anderer Stelle tun. Dir einen schönen Abend. Liebe Grüße, [Name der Mutter]

Ich hatte hier in diesem Blog schon einmal was zur Vielfalt als Last und dem asozialen Bildungsbürgertum geschrieben. Wie sich eine privilegierte Elite – vergleichbar mit dem Auftreten der Neuen Rechten – auch noch als Opfer gebärdet, als zu schützende Minderheit, die sich ihren Status schließlich lang und hart erarbeitet und deshalb ein Recht auf Privilegien habe,  während sie anderen die Teilhabe abspricht, finde ich einfach nur zutiefst egoistisch und a s o z i a l.

Freiheit hat mit Deutschland selbstverständlich was zu tun –
Sofern man wirtschaftlich dazu was beiträgt!
Manche müssen unfrei bleiben. Keiner ist immun
Wenn er den Zug versäumt, der ihn dann freiträgt
Wenn er den Zug nicht sieht und alles komplizieren muss –
Tja, dann wird es Regeln geben, die er respektieren muss!
Dann wird ihm sein Arbeitgeber vielleicht sagen:

Meine Freiheit muss noch lang nicht deine Freiheit sein!
Meine Freiheit: Ja! Deine Freiheit: Nein!
Meine Freiheit wird von der Verfassung garantiert
Deine hat bis jetzt nicht interessiert!

Meine Freiheit heißt, dass ich Geschäfte machen kann
Und deine Freiheit heißt, du kriegst bei mir einen Posten
Und da du meine Waren kaufen musst, stell‘ ich dich bei mir an
Dadurch verursacht deine Freiheit keine Kosten!

Und es bleibt dabei
Dass deine Freiheit immer wieder meine Freiheit ist!
Deine Freiheit bleibt
Meiner einverleibt
Und wenn ich meine Freiheit nicht hab‘
Hast du deine Freiheit nicht
Und meine Freiheit wird dadurch zu deiner Pflicht!
Und darum sag‘ ich dir:

Verteidig meine Freiheit mit der Waffe in der Hand
Und mit der Waffe in den Händen deiner Kinder!
Damit von deinen Kindern keines bei der Arbeit je vergisst
Was Freiheit ist!

Meine Freiheit sei dir immer oberstes Gebot!
Meiner Freiheit bleib treu bis in den Tod!
Wenn dir das vielleicht nicht logisch vorkommt, denk an eines bloß:
Ohne meine Freiheit bist du arbeitslos!

Ja, Freiheit ist was anderes als Zügellosigkeit
Freiheit heißt auch Fleiß
Männlichkeit und Schweiß!
Ich werd‘ dir sagen, was ich heutzutag‘ als freiheitlich empfind:
Die Dinge so zu lassen wie sie sind!

Drum ist in jedem Falle meine Freiheit wichtiger als deine Freiheit je
Meine Freiheit: Yes! Deine Freiheit: Nee!
Meine Freiheit ist schon ein paar hundert Jahre alt –
Deine Freiheit kommt vielleicht schon bald!

Aber vorläufig ist nichts aus deiner Freiheitsambition
Du hast noch keine Macht und keine Organisation!
Ich wär‘ ja dumm, wenn ich auf meine Freiheit dir zulieb‘ verzicht
Darum behalt ich meine Freiheit. Du kriegst deine Freiheit nicht –
Noch nicht!

Georg Kreisler

 

Das leichteste der Welt

Für die nächste KIDS aktuell werden persönliche Berichte von Eltern gesucht: man soll über die „Hindernisse auf dem Weg zur Annahme des behinderten Kindes“ berichten. Etwas wollte ich dazu schreiben.

Nie hatte ich besonders große Schwierigkeiten gehabt, unseren Sohn mit Down Syndrom anzunehmen. Eher hatte ich Schwierigkeiten meinen Egoismus und meine Selbstbezogenheit zu überwinden. Die habe ich heute noch. Mutterschaft an sich stellte ich mir schon immer aufwendig vor, das Leben mit einem behinderten Kind, so dachte ich, ist mir einfach viel zu anstrengend. Ich wollte Arbeiten gehen, Ausgehen, Reisen und Sport machen, mich gesellschafts-politisch engagieren, meine Kinder sollten nebenbei groß werden. Bloß keine Übermutter sein, die ständig um die Kinder schlawenzelt und nur noch von ihnen redet. Musikalische Frühförderung, stundenlange gemeinsame Gesellschaftsspiele oder selbst genähte Kleider kamen für mich nicht in Frage. Eigentlich wollte ich immer mein Ding machen und die Kinder einfach überall mit hinschleppen.

Dann kam zuerst unsere Tochter zu früh zur Welt. So ein Mist. „So nebenbei“ war nicht mehr drin nachdem mir meine Cousine einen wissenschaftlichen Artikel über mögliche psychische Beeinträchtigungen bei Frühgeburten schickte. „Nur so zur Info, falls es dich interessiert“, schrieb sie. Vor diesem Artikel hatte ich an sowas überhaupt niemals gedacht. Nun veränderte er mein ungezwungenes Muttersein. Ich versuchte also fortan das schlechte Gewissen über die Frühgeburt mit gaaanz viiieeel Nähe, Aufmerksamkeit und Verwöhnen auszugleichen. Dann war das Mädchen zwei Jahre alt, aus dem Gröbsten raus, entwickelte sich prächtig, erwies erst einmal keinerlei Anzeichen von Störungen und ich war wieder schwanger, so dass der ursprüngliche Plan „Die Kinder nebenbei.“ erneut von mir aufgenommen wurde.

Aber dann kam der Junge. Mit Überraschung. Mit Down Syndrom. Wieder Mist. Wieder alles anders als geplant. Diesmal zwar kein schlechtes Gewissen, aber das Kind müsse umfangreich gefördert werden, sagten sie alle. Ich glaubte es nicht. Was war mit meinem Ding? Eine gute Mutter ist doch eine zufriedene Mutter, oder?. Ich bin keine zufriedene Mutter wenn ich jeden Tag mich und das Kind mit einer Therapiestunde quäle. Erst traute ich mich nicht das durchzuziehen. Es ist hart entgegen aller Empfehlungen ohne Förderung leben zu wollen. Aber es musste sein und Sascha ermutigte mich dabei. Ich hatte schlicht keine Lust darauf, unsere schöne Mutter-Kind-Beziehung mit „Übungen“ zu verunsichern. Und mit der Behinderung bzw. Entwicklungsverzögerung an sich hatte ich ja kein Problem. Nur manchmal im Vergleich mit Gleichaltrigen bin ich ein bisschen neidisch. Aber ich selbst bin nie unter Leistungsdruck aufgewachsen, wurde immer bedingungslos geliebt. Das ist für mich auch selbstverständlich für unsere Kinder. Natürlich machte mir das Down Syndrom anfangs etwas Angst wie alles vollkommen Fremde. Aber wie mit dem Scheinriesen Herrn Tur Tur bei Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer war es auch damit so, dass die Angst immer kleiner wurde je näher das Down Syndrom kam und je mehr ich mich damit beschäftigt hatte. Viel viel mehr und länger ängstigten mich Gedanken an meine Freiheit bzw. mögliche Unfreiheit durch dieses Kind, so dass ich lange zwischen Über- und Rabenmutter hin- und hergerissen war bis auch der Junge endlich für mich aus dem Gröbsten raus war.

Geschafft!

Und als ich dann die Freiheit kommen spürte, zog der Mann aus. Und wieder alles anders. Er sagte plötzlich, dass ich IHN nicht so akzeptieren würde wie er ist. Er könne in meiner Nähe nicht mehr atmen, sagt er. Wie? Was? Wieso? Warum? Weshalb? Kapierte ich nicht. Bedingungslose Liebe galt doch erst recht immer für ihn. Meinem Traummann, dem Vater dieser wundervollen Kinder.

Mit den Kindern habe ich schließlich dann auch verstanden, wie schön es sein kann, von anderen Menschen abhängig zu sein, was eine neue Form des Vertrauens und Liebens ermöglicht, eine Freiheit in Bezogenheit wie Antje Schrupp so schön formuliert.

Unser Sohn hat auf mich eine therapeutische Wirkung: bei all den täglichen Zweifeln und dem Ringen ums gute und ums ÜberLeben ist der kleine Mensch mit dem zusätzlichen 21. Chromosom ein richtiges Zauberwesen, das mich extrem erdet und mir unglaublich gut tut…

…während unsere Tochter die Kluge ist, die mit dem starken Willen, die mir andauernd mit der Heugabel in die Seite piekt oder mit der Schippe voller Wucht auf den Kopf haut, wenn ich sie verbiegen will. Wie der Mann. Ihr seid alle drei wundervoll.

Ich muss…

euch einfach lieben <3 <3 <3

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