Meine Freiheit, deine Freiheit
Der Querdenker hat in seinem letzten Blogeintrag (mit dem schönen Titel „Des Wahnsinns Kinder“) auf den Punkt gedacht, worüber auch ich mich gerade aufrege. Hier schreibt er, dass seit Jahren diverse „wissenschaftliche“ Studien auftauchen, wer oder was an Autismus „schuld“ ist. Das Übel beginnt mit Impfungen, Gluten- oder eine Eiweißunverträglichkeit, Umweltfaktoren, wie an einer belebten Straße wohnen, und, und, und. Die Folge dieser Studien sind dann präventives Verhalten und sogar Heilungsversuche: Gegen Impfschäden „hilft“ nicht zu impfen. Gegen Allergien „helfen“ Diäten. Gegen zu viel Straßenverkehr hilft umziehen in die Arktis. Und sogar gegen die bösen Autismus-Bakterien gibt es ein Mittel.
Im Gegensatz zu der meines Erachtens in Westeuropa und den USA eher verbreiteten (oft absurden) Wissenschaftsgläubigkeit, geht die Schuldsuche in Russland in eine andere, nicht weniger absurde Richtung: eine russische Freundin, die einen mittlerweile siebenjährigen Sohn mit Down Syndrom hat, erzählte mir neulich von ihrer Überzeugung, dass ihre Vorfahren gesündigt hätten und dementsprechend ihr Sohn eine Prüfung Gottes für sie sei. Als Reaktion auf die weit verbreitete religiöse Erklärung des DS als Strafe, werden den Kindern häufig ein „besonderer Zauber“ oder sogar „übernatürliche Kräfte“ zugeschrieben. In der Frühfördergruppe einer Bekannten ist vor einigen Monaten ein Junge gestorben. Als die Mutter des Verstorbenen einige Wochen später in die Gruppe kam, umarmten und trösteten alle Kinder sie, obwohl sie von dem Tod ihres Jungen nichts wussten. Meine Bekannte, die mir diese Geschichte erzählte, ist davon überzeugt, dass die Kinder „den Tod gespürt“ hätten und dass „sie hellseherische Fähigkeiten“ haben.
Na da bin ich ja gespannt, was unsere Kassandra uns prophezeien wird (wenn er dann mal sprechen kann). Hoffentlich kann man damit Geld verdienen.
Manchmal zwischen Nacht und Morgen/ Seh ich Hunde dich umkreisen/ Hunde mit gebleckten Zähnen/ Und du greifst nach ihren Pfoten/ Und du lachst in ihre Zähne/ Und ich wache auf mit Angstschweiß/ Und ich weiß daß ich dich liebe
Heiner Müller für seine Tochter Anna, 22.10.1993