Lili tut so als wär sie behindert

Das Thema scheint Lili (6) gerade sehr zu beschäftigen. Neulich malte sie Behinderte und gestern spielte sie behindert. Sie stellt wenig Fragen. Sie hat ihre Art, sich damit auseinanderzusetzen. Wir fuhren also gestern ins Schwimmbad und ich wollte noch kurz bei der Post anhalten, um zwei Briefe loszuwerden. Vor der Post gab es dann aber keinen freien Parkplatz. Also tat ich etwas, was ich total verabscheue: ich stellte mich auf den Behindertenparkplatz. Als ich aus dem Auto stieg, stellte mich auch gleich der Mann aus dem Nachbarauto zur Rede und fand es unmöglich, dass ich mich auf diesen Parkplatz stellte. Ich entschuldigte mich verlegen und sagte, dass ich nur eine Minute schnell die Briefe wegbringe und gleich zurück sei. Dann rannte ich schnell in die Post, gab die Briefe hastig ab und rannte wieder zurück zum Auto.

Im Auto sagte Lili: „Mama, mach dir keine Sorgen. Während du weg warst habe ich so getan als wäre ich behindert.“

Ich: „Wie denn? Zeig mal!“

Lili setzte sich unbeweglich auf. Sie erschlaffte ihre gesamten Gesichtsmuskeln und ließ, ihr Kinn nach unten fallend, den Mund offen stehen.

Die Angst überwinden – Fortsetzung

Drei Tage Kita-Reise an die Ostsee. Wieder beim Abschied heimlich geweint. Anatol (4) ist noch so klitzeklein. Die Kita-Leitung nennt ihn liebevoll den „Leisen Übeltäter“, weil er sich immer unbemerkt, still und leise davon schleicht und Blödsinn macht. So hatte sie ihn einmal gerade noch rechtzeitig erwischt als er über den Gartenzaun der Kita kletterte und das Weite suchen wollte.

Drei Tage ohne Mama, Papa und Lili. Für ihn kein Drama. Für die ErzieherInnen wahrscheinlich eine Herausforderung. Und für mich eine Möglichkeit, Loslassen zu üben. Das ist wirklich schwer.

Gestern den ganzen Tag Bücher mit Lili gelesen, im Schwimmbad und mit Papa im Restaurant gewesen. Und dann finde ich ein Brief von ihr an ihren Bruder im Briefkasten. Und wieder ein bisschen Weinen. Es geht uns gut.

9.6_1 9.6_2 Anatol auf Kita-Reise 1 Anatol auf Kita-Reise 2

Inklusion in der Schule heißt Verantwortung übernehmen für jedes einzelne Kind

Gestern brach eine Diskussion über einen Twitter-Tweet von Hamburger Schulsenator Ties Rabe los. Er äußerte sich kurz zu einem Artikel im Hamburger Abendblatt, in dem die Situation eines zehnjährigen Jungen mit dem sogenannten Förderschwerpunkt emotional-soziale Entwicklung beschrieben wird, den keine Schule in HH mehr beschulen möchte: „Zeitung: Kind prügelt dauernd, greift Lehrer an, hat Soft-Pistole dabei. Daran soll also die Schulwelt „Schuld“ sein. Niemals die Eltern?“.

Die Schuldfrage zu stellen sei, wie einige Follower kommentierten, zynisch und lösungsfern. Ich selbst wage sogar zu behaupten, dass wir in diesem Tweet die Kernproblematik der Inklusion in HH und vielleicht in ganz Deutschland treffen. Ich denke ein Großteil der PädagogInnen lässt sich vielleicht noch auf die behinderten SchülerInnen ein, solange sie zahm sind, nicht stören und man den SchulmitarbeiterInnen irgendeinen „Leitfaden“ in die Hand drückt, wie man mit denen umgehen soll und welchen Stoff man denen anbieten kann/soll. ABER die verhaltensauffälligen, anstrengenden SchülerInnen, die sollen bitteschön irgendwo anders hingehen und erstmal „richtig erzogen“ werden. Die Problematik liegt also darin, dass sich Schule und ihre Akteure aus der Verantwortung ziehen und wieder – wie einst im harten Hamburger Schulstreit – die Schmuddelkind-Karte zücken: prügelnde SchülerInnen in der Klasse. Nein Danke. Systemsprengend, viel zu anstrengend.

Selten haben Eltern von Kindern mit den sogenannten Förderschwerpunkten Lernen oder emotional-soziale Entwicklung die Ressourcen, sich für ihr Kind einzusetzen, für das Recht des Kindes auf chancengleiche Schulbildung zu kämpfen. In diesem einen Fall hatten die Eltern Kraft und Mut, und sofort werden die Geschütze hoch gefahren und die Eltern mit einer völlig unnötigen Schuldfrage konfrontiert, um die es niemals gehen darf.

Stattdessen muss es in der inklusiven Schule grundsätzlich immer um Verantwortung gehen. Verantwortung für jedes einzelne Kind, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Sprache, Religion, Fähigkeiten, Behinderungen oder Aufmerksamkeitsbesonderheiten. Kein einziges Kind darf auf der Strecke bleiben.

Der Schlüssel hierin liegt m.E. darin, diese Verantwortung zu verinnerlichen und Top-Down, also ausgehend von der obersten Organisationsebene, vorzuleben. Das erwarte ich von einem Schulsenator, der schulische Inklusion wirklich ernst nimmt.