Mehr Sonne und mehr Meer

Letzten Donnerstag haben wir uns spontan entschieden, das Wochenende an der Ostsee zu verbringen. Wir wollten mal raus aus der Großstadt. Glücklicherweise habe ich kurzfristig eine wunderschöne Ferienhütte in Ahrenshoop gefunden. Ein Mietauto ging auch kurzfristig mit günstigem Wochendendtarif klar.
Das Häuschen war herrlich und wir hatten das ganze Wochenende Sonne. Nach tagelangem Regen in Hamburg (hört dieser Regen hier denn nie auf??) haben wir das gebraucht.
Leider hat Anatol auf dem Heimweg eine dicke Erkältung mitgebracht. Und wenn er nicht in die Kita geht, wird Liljana auch immer krank. Heute früh tat ihr ganz plötzlich der Rücken und das Schienbein weh.

Ich (am Mittagstisch): Isst du bitte noch zwei Löffel Reis?
Lili: Sag das nicht! Du bist nicht meine Mutter! Weißt du etwa nicht, wer ich bin? Ich bin… DIE KÖNIGIN DER NACHT! Fürst Sarastro hat meine Tochter Anna entführt. Ich befehle dir, sie zu befreien!
Ich: Und was ist mit dem Reis?
Lili (richtig böse): Weißt du nicht, wer ich bin? Ich bin die Königin der Nacht ….

Das Zauberflöten-Fieber kommt auch noch dazu.

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Wider die Therapiesucht!

Nach der Geburt unseres Sohnes mit Down Syndrom sagten einige Bekannte, dass diese Kinder sich heutzutage mit den ganzen (Früh-)Fördermöglichkeiten doch recht gut entwickeln könnten. Ich war geschockt. Zum einen über die Entindividualisierung unseres Kindes (es war für sie kein einzigartiges Baby, sondern ein Down-Syndrom-Kind), zum anderen darüber, dass man mir statt Glückwünsche zur Geburt gleich mal den Tipp gibt, das unperfekte Kind bestmöglicht zu therapieren. Ein Verwandter meinte bei einem Familientreffen sogar ganz besonders eindringlich betonen zu müssen, dass wir uns unbedingt um gute Fördermöglichkeiten kümmern sollten. Damit täten wir uns und unserem Sohn einen riesigen Gefallen, das sei das A und O.

Ich reagierte immer recht wütend auf diese Aussagen. Schon bei unserer Tochter hatte mich genervt, wenn Freundinnen erzählten, dass sie mit ihrem Nachwuchs zur musikalischen Früherziehung oder zum Englisch für Neugeborene gingen. So etwas kam für uns nie in Frage. Und nun sollte ich mich bloß wegen eines zusätzlichen Chromosoms mit diesem ganzen Förderzeug beschäftigen? Das ärgerte mich, denn darauf hatte ich eigentlich keine Lust. Zum Glück ist unser Sohn in Russland geboren und wir sind erst nach Deutschland zurück gekommen, als er anderthalb Jahre alt war. In Russland beschränkte sich die ärztlich empfohlene Frühförderung auf regelmäßige Massagen. Das war gut, damit konnten wir leben.

Als wir nach Hamburg kamen, schlugen die Therapeuten der Frühförderstelle die Hände über den Kopf zusammen. Anderhalb Jahre keine Frühförderung? Sie waren gespannt, wie das Kind sich da entwickeln konnte. Immer wieder sagten sie, dass die gesamte Entwicklung eines behinderten Kindes von den Eltern abhängig ist. In Russland geboren und keine Frühförderung – da sei ja alles klar.

Da ich neugieirig war, was eigentlich Heilpädagogen mit DS-Kindern machen (das DS kann ja schließlich nicht geheilt werden), war ich einverstanden, dass die Therapeutin abwechselnd zu uns und in die Kita geht. Und da DS-Kinder automatisch Physiotherapie verschrieben bekommen und ich weiß, dass Anatol gerne turnt, habe ich auch das beantragt, obwohl er motorisch sehr fit ist. Nach mittlerweile einem Jahr Heil- und Physiotherapie im Kindergarten würde ich frech behaupten, dass diese beiden Therapien für unseren Sohn nicht notwendig gewesen wären. Die Heilpädagogin hat den Kita-Erzieherinnen und mir ein paar nützliche Tipps gegeben, das wars dann eigentlich auch. Ich will keinesfalls eine Förderung über Therapien in Frage stellen. Ich sage nur, dass es für unseren Sohn vermutlich keinen Unterschied gemacht hätte, wenn er diese 12 Monate nicht einmal die Woche daran teilgenommen hätte. Und ich bin davon überzeugt, dass seine Physiotherapeutin und seine Heilpädagogin das ebenso einschätzen.

Michael Wunder und Udo Sierck schrieben schon 1981 in ihrem Buch „Sie nennen es Fürsorge“: Hinter der Therapeutisierung, hinter dem krankhaft gesteigerten Bedürfnis, den gesamten Alltag eines behindertes Menschen zu therapieren, steht Hilflosigkeit, Distanzsuche und vor allem auch, die so vorgefundenen Strukturen nicht grundsätzlich anzutasten. […] Behinderung wird hier gleich gesetzt mit Krankheit. […] Therapeutisches Denken ist verwandt mit der Nicht-Anerkennung des Anders-Seins. Dieses Denken kommt aus der Medizin. Sie zerlegt den Menschen in seine Funktionen und be- und verurteilt ihn nach statistischen Standardnormen.

Was ist gegen dieses sich mit Allmacht durchsetzende Therapiedenken zu setzen, ohne in das fatale Fahrwasser zu geraten, notwendige Therapien, Hilfe und Förderung zu verweigern?
Wunder und Sierck forderten ein radikales Umdenken der Gesundheitsarbeiter. Das vorschnelle Überstülpen von angelerntem Therapiewissen auf die Realität (nach dem Motto: „Typisch für DS-Kinder ist X, deshalb machen wir Y schonmal vorbeugend.“) sei vollkommen unnötig. Therapie ist lediglich eine Dienstleistung, die individuell und knapp verordnet sinnvoll sein kann, aber nicht das Leben beherrschen oder gar ersetzen sollte.

Immer wieder hört man „Schaden kann Therapie jedenfalls nicht!“ Das sehe ich anders. Viele Therapeuten beteiligen sich selbst an Aussonderung und Ausgrenzung, indem sie Eltern mit Heilsversprechen durch noch mehr Förderung verunsichern. Frühförderung und Sonderkindergärten können aber der Anfang einer lebenslangen Sonderbehandlung sein.

In erster Linie brauchen Kinder Liebe und Normalität. Egal, ob sie das Down Syndrom haben oder nicht. Vielleicht wäre unser Sohn mit früherer Physiotherapie ein oder zwei Monate früher gelaufen. Vielleicht auch nicht. Macht das einen Unterschied? Vielleicht könnte unser Sohn durch gezielteres Gebärdenlernen im Schwimmbad zeigen, wenn er einen Joghurt essen oder auf Elefanten reiten will. Vielleicht auch nicht. Eine Therapierung hin zu den ungeahnten Möglichkeiten des Konjunktivs ist für uns jedoch kein vielversprechendes Lebensziel.

Wir finden ihn toll, so wie er ist.

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Schule gesucht!

Wir suchen eine Grundschule für unsere Tochter. Daraus wollten wir keine große Sache machen und möglichst die nächstgelegene Schule nehmen. Diese für uns im Wohngebiet zuständige Schule ist die Schule Hinter der Lieth in Eimsbüttel, zu der auch die meisten Kinder aus ihrem Kindergarten gehen.
Bei der „Schuleignungsprüfung“ (mit Viereinhalb) im Januar 2014 hatten wir in dieser Schule gleich gefragt, ob sie dann in drei Jahren auch ihren Bruder, unseren Sohn mit Down Syndrom aufnehmen würden? Das, so dachten wir, sei nach der deutschen Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention 2009 selbstverständlich. (Wir wussten natürlich, dass es nur theoretisch selbstverständlich ist. Die Praxis sieht anders aus. Trotzdem gingen wir davon aus, dass keine Grundschule sich mehr grundsätzlich gegen Inklusion stellt. Schon gar nicht, wenn noch drei Jahre Zeit wären.) Die Schulleiterin meinte aber, sie hätten schon einmal eine Anmeldung von einem Jungen „mit dieser Krankheit“ gehabt und haben schon damals den Eltern empfohlen, das Kind auf eine andere Schule zu schicken. Das würde sie auch uns empfehlen. Unsere Tochter würden sie aber sehr gerne aufnehmen, fügte sie noch hinzu.

Die anderen Eltern in der Kita können nicht verstehen, warum diese Grundschule für unsere Tochter und uns nun nicht mehr in Frage kommt. Genauso wenig wie viele unseren Wunsch nicht nachvollziehen können, den Jungen einmal nicht auf eine Sonderschule zu schicken.

Aktuell ist jedoch nun die Schulsuche für unsere Tochter. Es ist ja auch noch ein bisschen Zeit für unseren Sohn. Bis dahin hat sich eventuell in Sachen Inklusion noch einiges in Hamburg getan. Im Oktober 2014 hat sich in Hamburg ein Bündnis aus 23 Organisationen gebildet, das die schulische Inklusion ins Zentrum der Bildungspolitik rücken möchte. Und gerade erst haben Hamburger Eltern von Schulkindern mit Förderbedarf einen Blog ins Leben gerufen, auf dem sie die Schulbehörde und den Senator anhand konkreter persönlicher Erfahrungen darauf aufmerksam machen, in welchen Bereichen die Umsetzung der Inklusion in Hamburgs Schulen noch hinkt.

Es wäre schön, wenn auch unsere Tochter mit Kindern mit und ohne Behinderung zusammen lernen könnte. Und selbstverständlich auch mit Kindern mit verschiedenen Muttersprachen, Religionen, Geldbeuteln, Bildungserfahrungen oder Lebensumständen. Genau diese Vielfalt sehen wir als enorme Bereicherung. Wir haben absolut kein Problem damit, wenn unsere Tochter irgendwelchen Stoff nicht schafft. Es geht uns nicht darum, dass sie so viel wie möglich lernt, sondern darum, dass sie die Dinge versteht, die sie lernt. Genauso wie für unsere Tochter ist uns wichtig, dass alle ihre Mitschüler das Gelernte auch verstehen. Niemand soll zurück bleiben, weder sie noch jemand anderes.

Diese Kriterien scheinen für viele andere Eltern, aber auch für Lehrer und Schulleiter weniger eine Rolle zu spielen, denn die Suche nach einer solchen Schule stellte sich doch als extrem schwierig heraus. Ich schaute mir acht Schulen im Umkreis an Info-Abenden oder an Tagen der Offenen Tür an. Von diesen acht Schulen sind zwei sogenannte Schwerpunktschulen. Das heißt, dass sie Kinder mit Behinderung aufnehmen. Eine dieser beiden Schwerpunktschulen, die ich mir anschaute, war die Eppendorfer Grund- und Stadtteilschule. Leider hat die Grundschule aber gar keine Kinder mit Behinderung. Die andere Schwerpunktschule hat zwar tatsächlich Kinder mit Behinderung, und zwar gibt es in jedem Jahrgang eine Klasse mit vier behinderten Kindern, aber in meinem Gespräch mit einer Sonderpädagogin dieser Schule hörte ich heraus, dass es nicht wirklich ein Konzept für gemeinsamen Unterricht gibt. Wenn es zu schwierig wird, sagte sie, dann nimmt sie ihre behinderten Schüler aus der Klasse raus und dann backen sie gemeinsam oder machen etwas anderes. Hat mich nicht überzeugt. Zumal diese Schule auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln sehr schlecht zu erreichen ist von uns. Dann gibt es noch die Privatschulen, die oft kleine Klassen und einen kindzentrierteren Ansatz haben. Wir schauten uns die Jüdische Schule am Grindelhof an, weil sie ab der 1. Klasse auch Russisch anbietet, die Montessori-Schule am Schlump, weil Montessori-Methoden angeblich ideal für Kinder mit Down Syndrom sind und ich telefonierte mit allen Waldorfschulen in Hamburg, denn wir haben Freunde in Ostdeutschland, deren Kinder mit und ohne Behinderung an Waldorfschulen gut lernen und deren Eltern ganz begeistert sind. Abgesehen davon, dass in keine der genannten Privatschulen in Hamburg Kinder mit Behinderung gehen, schien mir die Elternschaft und ihre Sprösslinge auch sonst nicht gerade vielfältig.

Welche Kriterien sind uns wichtig? Uns ist wichtig, dass die Neugierde der Kinder nicht gebremst wird, dass sie in ihrem Entdeckerdrang unterstützt werden, dass in der Klasse kein ungezügelter Leistungswettbewerb stattfindet, dass die Kinder positiv beim Lernen motiviert werden. Dass die Persönlichkeit der Kinder gestärkt wird. Dass Lernen selbstverständlich gemeinsam oder in wechselnden Kleingruppen stattfindet. Dass soziales Lernen, Wertschätzung von Vielfalt, gemeinsames Gestalten des Schullebens und der Regeln eine wichtige Rolle spielen.
Warum ist es so schwer, eine solche Schule zu finden?

Wir versuchen es nun mit der der Grundschule Vizelinstraße. Dort gibt es (noch) keine Kinder mit einer diagnostizierten Behinderung. Aber die Schulleiterin Nina Löb versteht ihre Schule als eine Schule für Alle, die offen ist für jeden Schüler. Sie und auch die stellvertretende Schulleiterin Stephanie Gondolatsch machen auf mich einen sehr aufgeschlossenen Eindruck. Sie sind überzeugt von Inklusion als eine Bereicherung für alle Schüler. Und die Grundschule Vizelinstraße ist eine von vier Hamburger Grundschulen, die sechsjährig statt vierjährig sind.

Wir sind gespannt.

Schnee

In Sibirien hatten wir viel Schnee. Wir hatten mehr Monate im Jahr mit als ohne Schnee. Es war so kalt, dass der Schnee nicht schmolz und, dass Schnee- und Eisfiguren mindestens von Dezember bis März standen. Es war wunderschön. Die Spielplätze waren in diesen Monaten uninteressant, denn hinter jedem Haus wurde eine Eisrutsche gebaut, die die Kinder dann täglich für mehrere Monate runterrutschten wie die Wilden. Lili rutschte jeden Tag.

Unser erster Winter in Deutschland (2013/14) war warm. Es lag in Hamburg ganze zwei Tage lang Schnee. Lili weinte und wollte zurück nach Russland. Unser zweiter Winter in Deutschland ist nun noch wärmer. Lili sagt, dass die faule Pechmarie gerade bei Frau Holle ist: „Sie soll endlich nach Hause gehen!“

Vor Sylvester waren wir vier Tage bei Großeltern in Brandenburg. Und in dieser Zeit hat es tatsächlich ein klein wenig geschneit. Nicht wirklich sibirische Schneeverhältnisse, aber besser als nix. Ein wenig Schlittenfahren, ein wenig Glück.

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