Coole Muddis

Nach der Geburt eines Kindes mit Behinderung heißt es ja immer wieder, dass man sich andere Mütter suchen soll, die auch ein behindertes Kind haben. Dass ich jedoch mit vielen Eltern von behinderten Kindern absolut keine Identifikationsmomente habe, merkte ich schnell und darüber habe ich ja auch hier im Blog schon öfter mal geschrieben.

Erst jetzt lerne ich nach und nach im Web (und in real life!) Mütter kennen, die ich absolut mag und die ich vermutlich ohne unser Kind niemals kennen gelernt hätte und mit denen ich durchaus etwas teile, das ich noch nicht in Worte fassen kann. Wie z.B. Kerrin, die gestern genau das aussprach und auch das Gefühl äußerte, dass es jetzt eine andere Generation von Eltern gibt, die die Geburt ihres behinderten Kindes nicht mehr als DAS traumatische Ereignis erlebt haben, an dem sie bis zu ihrem Lebensende zu knabbern haben. Sondern Eltern, die heute damit entspannter und selbstbewusster umgehen können, die die Behinderung viel offener thematisieren können und deshalb eine ganz andere Energie und Kraft entwickeln, sich für die Rechte auf bedingungslose Teilhabe ihrer Kinder einzusetzen als es noch vor einigen Jahren der Fall war. Das wäre eine große Chance für die Inklusion. Diese Worte haben mich total motiviert. Es gibt sie doch. Die Eltern behinderter Kinder, die cool sind und die Spaß machen. Und mit denen man zusammen ins Rathaus marschieren will. Hach. Seufz. Schön.

Was, wenn er kein Pablo Pineda wird?

Gleich nach der Geburt unseres Sohnes haben mich die Fotos von Conny Wenk total aufgebaut. Zu dieser Zeit waren genau diese Fotos genau das, was ich brauchte. Sie haben mir mehr Mut gemacht als jeder Blog-Text. Immer wieder schaute ich sie mir an. Auch überlegte ich, ob ich mir nicht einen ihrer Kalender kaufe. Sascha wollte so einen Kalender aber nicht. Er fand es schon damals komisch, sich Down Syndrom- Kinder an die Wand zu hängen. Nicht, weil sie nicht hübsch oder niedlich waren, sondern, weil er einfach keinen Kinderfoto-Kalender wollte. Und dann auch noch alles Kindern mit Down Syndrom. Das war ihm ein wenig zuviel Kitsch. Mittlerweile habe ich auch einen etwas anderen Blick auf diese Fotos. Heute frage ich mich immer wieder, warum die Schönheit des Kindes so wichtig ist? Was, wenn mein Kind mit Down Syndrom nicht so cool aussieht wie die auf Conny Wenks Bildern? Ist mein Kind dann nicht geeignet für die Image-Kampagnen der Down-Syndrom-Vereine? Klar will man mit hübschen Fotos das veraltete Bild vom Down Syndrom überwinden. Aber wenn mein Kind mit Down Syndrom eine starke Muskelschwäche hat und einen schlechten Mundschluss ist es doch trotzdem ein auf seine Art einzigartiger wunderbarer Mensch, den es sich zu zeigen lohnt. Dieser Drang, fast täglich viele Fotos des Kindes zu machen, um dann am Monatsende fünf Bilder zu haben, auf denen es ‚glänzt‘ wie ein kleines Modell und, auf dem man das Down Syndrom nicht sieht. Schrecklich.

In ähnlicher Weise hat sich mein Blick auf Intelligenz verändert. Ich weiß noch, dass ich mich nach der Geburt viel mit geistiger Behinderung beschäftigt habe. Es interessierte mich wahnsinnig (auch unabhängig von unserem Sohn), was das eigentlich bedeutet? Wie lernen Menschen mit Down Syndrom überhaupt? Ich dachte früher immer, dass sie einfach langsamer lernen und verstehen. Aber so einfach ist das ja nicht. Und wie sie nun am besten lernen können, das weiß noch immer keiner so genau. Insofern finde ich es sehr spannend, so einen Kandidaten und sein Lernverhalten hautnah miterleben und beobachten zu können. Jedenfalls war nach der Geburt ja klar, dass wir so aufmerksame Eltern sein werden, dass der Junge einmal trotz Down Syndrom die Hochschule erfolgreich absolvieren wird. Gibt ja genug Vorbilder dafür. Sechs Monate nach der Geburt sagte ich dann plötzlich mal in einem schwachen Moment weinend zu meiner Schwester: „Ist ja auch vollkommen egal, ob er das Abitur schafft oder nicht.“ Zwei Jahre nach seiner Geburt dachte ich dann, dass es schön wäre, wenn er einen Hauptschulabschluss bekäme, damit es nicht zu schwer wird, eine Arbeit zu finden. Und erst jetzt (er wird im März 3) sind mir all diese „Ziele“ nicht mehr wichtig. Erst jetzt wird mir auch klar, wie absurd diese schon bei der Geburt eines Kindes vollkommen unbewusst geplanten Bildungswege sind und wie tief sie bei uns drin sitzen. Furchtbar.

Und wenn ich überall immer erzähle, dass es für mich zwei Tabus für unseren Sohn gibt: Förderschule und Werkstatt, dann liegt das nicht daran, dass ich für ihn einen Plan habe, den ich durchziehen will. Nein. Im Gegenteil. Er soll sein Ding machen. Er soll sich wohl fühlen. Irgendwann werde ich da sowieso keinen Einfluss mehr drauf haben.
Eine Förderschule kommt nicht in Frage, weil hier eine Gruppe von Menschen aus dem allgemeinen Schulsystem ausgesondert wird. Diese Ungerechtigkeit und in meinem Verständnis auch dieser Verstoß gegen die Menschenrechte wiegt für mich schwerer als jede paradiesisch ausgestattete Schutz- und Fördermöglichkeit. Bei diesem System möchte ich nicht mitmachen.
Bei der Werkstatt ist es ähnlich. Die Mitarbeiter bekommen dort ein lächerliches Trinkgeld und arbeiten oft 40 Stunden die Woche. Es gibt auch Menschen in Deutschland, für die der Mindestlohn nicht gilt. Auch diese Strukturen will ich nicht unterstützen. Aber wenn er eines Tages kommen und mir signalisieren sollte, dass er dort und nirgendwo anders sein möchte, dann wäre ich ein bisschen traurig. Aber gut, dann ist es eben so. Arbeit ist ja nur das halbe Leben. Dann muss ich vielleicht in die Politik und für seinen gerechten Lohn kämpfen. Vielleicht macht das ja auch schon mal einer vor mir?

Sonderschule oder Regelschule? – Gedanken zum Elternwahlrecht

Wir Eltern haben das Recht zu wählen, ob unser Kind mit Behinderung an eine Sonderschule oder an eine Regelschule gehen darf. Momentan hat man zwar deutschlandweit das theoretische Wahlrecht aber leider keine wirkliche Wahlfreiheit, denn die meisten Regelschulen nehmen nicht alle Kinder auf, schon gar keine Kinder mit speziellen Behinderungen wie Gehörlosigkeit, Blindheit, Autismus oder eben auch Schüler mit Down Syndrom. Die wenigen Regelschulen, die bereits solche Schüler aufnehmen, können noch lange nicht bieten, was die meisten Sonderschulen bieten können: kleine Klassen, super Personalschlüssel, fantastische Ausstattung, Ruhe- und Therapieräume, und und und.

Viele Hamburger Eltern von Kindern mit Down Syndrom sind deshalb ganz klar für die Erhaltung der Sonderschulen bis zu dem Zeitpunkt, an dem „das Bildungssystem in Hamburg tatsächlich und nicht nur auf dem Papier inklusiv ist“. Eine ganze Menge Hamburger Schüler mit DS, die einst in Integrationsklassen an Regelschulen lernten, sind in den letzten Jahren auf Sonderschulen gewechselt. Die Eltern sind enttäuscht, viele nach langem Kampf resigniert.

In der aktuellen Zeitschrift „Leben mit Down Syndrom“ finden wir auf Seite 25 einen stark inklusions-kritischen Artikel von Michael Brüstle, der selbst Vater eines 27-jährigen Jungen mit DS ist. Er schreibt z.B., dass man bei der ganzen „Inklusionseuphorie“ die Würde des Menschen mit Behinderung nicht vergessen sollte. Positive Beispiele nennt er Einzelfälle, die bei Eltern und der Gesellschaft falsche Erwartungen schüren würden. Und schließlich solle man laut Brüstle doch jedem Kind ersparen, immer das Schlusslicht in der Klasse zu sein.

Ich möchte die Argumente vieler Eltern gegen inklusive Beschulung nicht wiederholen. Gibt ja auch genug Zeitungsartikel, die die Inklusion bereits für gescheitert erklären. Stattdessen verweise ich an dieser Stelle nur auf Inklusionsfakten, die gute Gegendarstellungen und Erklärungen dazu bieten.

Da wären wir also beim heißen Thema Elternwahlrecht. Das Deutsche Institut für Menschenrechte, formulierte 2011: „Das Recht auf Inklusion ist ein Recht der Person mit Behinderung. Die Eltern haben bei der Ausübung der elterlichen Sorge den Leitgedanken der Inklusion zu beachten und ggf. zu erklären, warum sie keine inklusiven Bildungsangebote wahrnehmen. Die Elternberatung, von welcher Seite auch immer, muss einbeziehen, Eltern das Recht auf inklusive Bildung vorzustellen und die Eltern hinsichtlich ihrer Gewährsfunktion aufzuklären“.

Das Elternwahlrecht ist demnach gebunden an das menschenrechtlich verbriefte Inklusionsrecht des Kindes! Die derzeit weit verbreitete Ansicht, dass es Sonderschulen wegen des Elternwahlrechts geben muss, ist unlogisch. Die richtige Reihenfolge wäre: Weil es Sonderschulen gibt, kann oder sollte es auch ein Elternwahlrecht geben. In der weit über einhundertjährigen Geschichte der Sonderschulen gab es kein Elternwahlrecht, sondern eine gesetzliche Sonderschulpflicht. „Sonderschulbedürftige“ Kinder mussten verpflichtend ohne Wenn und Aber eine Sonderschule besuchen. Schüler mit Behinderungen und ihre Eltern wurden per amtlichen Bescheid in die Sonderschulen gezwungen. Es ist schon komisch, dass ausgerechnet diejenigen, die über einhundert Jahre gegen eine Sonderschulpflicht eingetreten sind, sich nun, in Zeiten der Inklusion, für ein Elternwahlrecht auf die Beschulung in einer Sonderschule einsetzen. Erinnern möchte ich auch daran, dass es vor gar nicht allzu langer Zeit noch „besorgte Eltern“ (diese Bezeichnung ist zwar schon besetzt, aber passt einfach auch zu gut) gab, die für ihr Recht kämpften, ihre behinderten Töchter sterilisieren zu lassen. Zum Glück wurde Eltern mittlerweile dieses Recht genommen.

Elternentscheidungen lassen sich ganz gut steuern. Die Kultusministerkonferenz hat die Vorzüge des Elternwahlrechts ja schon lang entdeckt. Zum Zwecke des Elterwahlrechts muss nun zwingend das Förderschulsystem aufrecht erhalten werden, heißt es. Steuern lässt sich der Elternwille auch über die ungleichwertige Ausstattung in den Förderschulen und allgemeinen Schulen. Deshalb gibt es genügend Eltern, die zwar die gemeinsame Unterrichtung in der allgemeinen Schule wollen, aber dann doch die Förderschule wählen müssen, weil die Bedingungen einer umfassenden Versorgung für Kinder mit schwerwiegenderen Beeinträchtigungen dort besser sind. Statt den Konflikt von Eltern wahrzunehmen und Qualitätsverbesserungen in der Ausstattung der allgemeinen Schulen vorzunehmen, wird die geringere Nachfrage nach gemeinsamer Unterrichtung bei Eltern von Kindern mit schwerwiegenderen Beeinträchtigungen als Ausdruck des originären Elternwillens interpretiert. Und schließlich wird der Elternwille stark beeinflusst von beratenden Sonderpädagogen und Therapeuten, die oft ihre guten Arbeitsbedingungen an den Sonderschulen bedroht sehen und häufig einen defizit-orientierten Blick auf ein Kind haben, das in ihren Augen nur durch viele Therapien und Schutzräume weniger behindert wird und weniger selbst behindert.

Da haben wir also den Hund, der sich in den Schwanz beißt: Eltern wählen Sonderschulen, weil Regelschulen nicht ausreichend vorbereitet sind und so existieren Sonderschulen ganz einfach so weiter wie bisher. Weniger Schüler haben die Sonderschulen bisher jedenfalls nicht.

Ganz sicher muss man Regelschulen fit für Inklusion machen. Da besteht kein Zweifel. Die schulische Seite soll hier jetzt aber nicht besprochen werden. Es geht mir um die Eltern. Ich behaupte, es braucht unbedingt viel mehr mutige Eltern, die die inklusive Beschulung wagen! Kein Lehrer und keine Schule kann von heut auf morgen inklusive Lern- und Schulstrukturen bieten. Diese müssen wachsen, und zwar mit Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen. Ich kann verstehen, wenn niemand aus seinem Kind ein Versuchskaninchen machen möchte. Aber wenn eine Schule und ein Klassenteam bereit sind, sich auf diese neuen Bedingungen einzulassen, das Kind willkommen heißen und wohlwollend sind, dann kann man ihnen auch eine Chance geben und Zeit lassen. Was hat man zu verlieren? Meines Erachtens sehr viel weniger als man zu gewinnen hat. Es wird immer Dinge geben, die nicht funktionieren. Es wird immer Zeiten geben, die nicht gut laufen. Neuerdings treffe ich jedoch immer wieder auf Lehrer und Schulen, die Lust auf Inklusion haben.

LUST AUF INKLUSION – das finde ich toll.

Wir Eltern brauchen nicht nur mehr Mut, wir brauchen auch ganz viel Vertrauen. In unsere Kinder und in die Pädagogen. Immer wieder höre ich Mütter klagen, dass die „Rucksack-Ressource“ ihres Kindes mit Down Syndrom nicht bei diesem Kind ankommt, sondern damit andere Schüler unterstützt werden. Gleichzeitig erzählen mir Förderkoordinatoren, dass die Kinder, die die meiste Unterstützung bräuchten (Kinder mit psychischen Schwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten) fast keine „Ressourcen“ bekommen. Diese Kinder haben auch keine Lobby, weil ihre Eltern häufig nicht in der Lage sind, sich für ihren Nachwuchs auf verschiedenen Ebenen einzusetzen. Selbstverständlich werden vorhandene Ressourcen so genutzt, dass der Lernprozess in der Gruppe gelingt und möglichst wenig gestört wird. Solange, bis jedes einzelne Kind (unabhängig von individuellen Merkmalen wie Herkunft, Geschlecht, Sprache, Religion, Fähigkeiten und Behinderungen) die Förderung und Ressource erhält, die es tatsächlich benötigt, sollten wir bereit sein, zu teilen.

Ich möchte in einer Gesellschaft leben, in der kein einziges Kind auf der Strecke bleibt, in der kein einziges Kind auf einer Sonderschule beschult werden muss und, in der weder Bildungsinstitutionen noch Eltern oder Verbände aus Eigennutz inklusive Strukturen bremsen. Wir haben nicht nur die Verantwortung für uns selbst und unsere eigenen Kinder. Wir haben eine Verantwortung für die gesamte Gesellschaft, in der wir leben möchten.

Vom Umgang mit Krankheit

Unser Verein möchte im März in der Zentralbibliothek eine Foto-Ausstellung organisieren, die Kinder mit Trisomie 21 zeigt. Grundsätzlich habe ich ein komisches Gefühl dabei, denn ’normale‘ Kinder würde man ja dort auch nicht ausstellen. Da ich aber davon überzeugt bin, dass Menschen mit Down Syndrom aufgrund ihres Aussehens häufig stigmatisiert oder verurteilt werden, kann man eben ganz gut mit Bildern gegen diese Vorurteile vorgehen. Nun wurde der Titel „Hauptsache gesund“ für die Ausstellung vorgeschlagen. Ich war gleich dagegen, denn zum einen gibt es viele Behinderungen, die durch Krankheiten verursacht werden (wie z.B. die Glasknochenkrankheit) und man trotzdem mit ihnen gut leben kann. Zum anderen können auch Menschen mit dem Down Syndrom oft Krankheiten lebenslang ganz gut in den Griff bekommen. Auch wenn es überall nach der Geburt immer heißt „Hauptsache gesund“, muss das für mich keine Bedingung für ein lebenswertes und gutes Leben sein. Viele ‚gesunde‘ Menschen haben wenig Lebensfreude.
Leider konnte ich mich bei der Diskussion um den Ausstellungs-Titel nicht durchsetzen.

Vor drei Wochen ist Lili krank geworden. Sie hatte eine Streptokokken-Infektion, die mit Antibiotika behandelt werden musste. Zwei Tage nach der Antibiotika-Kur ging es ihr wieder schlecht. Ich wartete noch ein paar Tage in der Hoffnung, es würde sich mit der Zeit von allein bessern. Am 4. Tag ging ich doch wieder zum Kinderarzt, der mir mitteilte, die Streptokokken seien immer noch im Körper. Zudem kam jetzt noch eine rechtsseitige Lungenentzündung hinzu. Uns blieb nichts anderes übrig als noch ein, dieses Mal ein breiter wirkendes, Antibiotikum einzunehmen. Sehr ärgerlich. Sie tat mir sehr leid.
Als ich das einer befreundeten Mutter im Kindergarten erzählte, war sie über meine Entspanntheit geschockt. Sie konnte nicht fassen, dass das Kind nicht im Krankenhaus ist. Ähnliche Begegnungen hatte ich schon häufiger, wenn unsere Kinder krank waren. Vermutlich habe ich durch den Umgang meiner Mutter mit uns als kranke Kinder ein sehr undramatisches Verhältnis zu Krankheiten entwickelt. Wenn wir mit blutenden Knien nach Hause kamen, hat unsere Mutter einfach ganz ruhig die Wunde etwas gesäubert, ein Pflaster rauf geklebt und gemeint, dass das nicht schlimm sei. Wenn ein Kind den ganzen Tag nur schlapp da liegt, tagelang nichts isst, lange hoch fiebert oder sowas, dann werde auch ich panisch. Aber das ist bei Kindern ja extrem selten. Zumindest bei unseren habe ich das kaum (noch nie?) erlebt. Zum Glück. Meist rennen sie ja noch bis zum Umfallen durch die Gegend.

Ich muss dazu sagen, dass viele Muttis im Kindergarten russisch-stämmig sind. Als wir noch in Russland wohnten, wurden uns bei jedem Husten der Kinder mindestens fünf Medikamente verschrieben (zwei verschiedene Nasentropen, Ohrentropfen, Halsspray, Antibiotika, Fieberzäpfchen, Vitaminpräparate, usw.). Der Umgang mit Krankheiten ist also definitiv auch kulturell sehr unterschiedlich. In Russland haben wir fast nie die verschriebenen Medikamente genommen, definitiv nicht die Antibiotika) und wurden deshalb von der Kinderärztin regelmäßig als verantwortungslos beschimpft. Einmal ging sie sogar so weit, das Wohl unserer Kinder in Gefahr zu sehen. Hätte das Folgen gehabt, wenn wir nicht den Ausländer-Bonus gehabt hätten? Daran möchte ich gar nicht denken. Viele russisch-stämmige Muttis im Kindergarten beschweren sich über die deutschen Kinderärzte. Sie wären sehr inkompetent, man bräuchte gar nicht erst hingehen, denn sie sagen sowieso nur, dass man abwarten und viel trinken solle. Ich vermute, dass mich auch noch dieses enorme Dramatisieren eines jeden Hustens in Russland in meinem heutigen Umgang mit Krankheit geprägt hat. Ich möchte diesen Umgang auf keinen Fall verurteilen, er ist durch Lebensbedingungen, medizinische Versorgung und viele andere Faktoren geprägt. Er ist einfach anders.

Das Down Syndrom an sich wird ja auch häufig als Krankheit bezeichnet. Nach der Geburt hatte ich damit Probleme, wenn Freunde von unserem ‚kranken‘ Kind sprachen. Meist habe ich sie dann darauf aufmerksam gemacht. Dies führte natürlich immer zu Verunsicherung, die für denjenigen und für mich unangenehm war. Jetzt sage ich bei dieser Bemerkung nichts mehr, um ein ungezwungenes Gespräch über unseren Sohn zu ermöglichen.

Er hatte zum Glück noch nie etwas wirklich Ernstes gehabt, nie mussten wir für längere Zeit ins Krankenhaus. Deshalb fühle ich mich bisher auch ärztlich gut betreut. Der Umgang mit Behinderung oder Krankheit auf institutioneller Ebene ist nochmal etwas anderes. Die Unzufriedenheit von Eltern, die bei ernsteren Geschichten ihres Nachwuchses nicht gut beraten werden, kann ich mir sehr gut vorstellen. Viele Ärzte kennen die gesundheitlichen Herausforderungen, mit denen Menschen mit DS häufig zu tun haben, nicht. Auf die psychische Belastung von jungen Eltern, weil sie nach der Geburt ihres behinderten Kindes manchmal monatelang im Krankenhaus bleiben müssen, reagieren einige Ärzte sehr unsensibel. Mareice hat auf ihrem Blog letzte Woche Inklusionsfamilien dazu eingeladen, zu beschreiben, wie sie im Krankenhaus behandelt werden wollen? Was wünschen sie sich? Welche Erfahrungen haben sie? Sehr lesenswert.