Unser Verein möchte im März in der Zentralbibliothek eine Foto-Ausstellung organisieren, die Kinder mit Trisomie 21 zeigt. Grundsätzlich habe ich ein komisches Gefühl dabei, denn ’normale‘ Kinder würde man ja dort auch nicht ausstellen. Da ich aber davon überzeugt bin, dass Menschen mit Down Syndrom aufgrund ihres Aussehens häufig stigmatisiert oder verurteilt werden, kann man eben ganz gut mit Bildern gegen diese Vorurteile vorgehen. Nun wurde der Titel „Hauptsache gesund“ für die Ausstellung vorgeschlagen. Ich war gleich dagegen, denn zum einen gibt es viele Behinderungen, die durch Krankheiten verursacht werden (wie z.B. die Glasknochenkrankheit) und man trotzdem mit ihnen gut leben kann. Zum anderen können auch Menschen mit dem Down Syndrom oft Krankheiten lebenslang ganz gut in den Griff bekommen. Auch wenn es überall nach der Geburt immer heißt „Hauptsache gesund“, muss das für mich keine Bedingung für ein lebenswertes und gutes Leben sein. Viele ‚gesunde‘ Menschen haben wenig Lebensfreude.
Leider konnte ich mich bei der Diskussion um den Ausstellungs-Titel nicht durchsetzen.
Vor drei Wochen ist Lili krank geworden. Sie hatte eine Streptokokken-Infektion, die mit Antibiotika behandelt werden musste. Zwei Tage nach der Antibiotika-Kur ging es ihr wieder schlecht. Ich wartete noch ein paar Tage in der Hoffnung, es würde sich mit der Zeit von allein bessern. Am 4. Tag ging ich doch wieder zum Kinderarzt, der mir mitteilte, die Streptokokken seien immer noch im Körper. Zudem kam jetzt noch eine rechtsseitige Lungenentzündung hinzu. Uns blieb nichts anderes übrig als noch ein, dieses Mal ein breiter wirkendes, Antibiotikum einzunehmen. Sehr ärgerlich. Sie tat mir sehr leid.
Als ich das einer befreundeten Mutter im Kindergarten erzählte, war sie über meine Entspanntheit geschockt. Sie konnte nicht fassen, dass das Kind nicht im Krankenhaus ist. Ähnliche Begegnungen hatte ich schon häufiger, wenn unsere Kinder krank waren. Vermutlich habe ich durch den Umgang meiner Mutter mit uns als kranke Kinder ein sehr undramatisches Verhältnis zu Krankheiten entwickelt. Wenn wir mit blutenden Knien nach Hause kamen, hat unsere Mutter einfach ganz ruhig die Wunde etwas gesäubert, ein Pflaster rauf geklebt und gemeint, dass das nicht schlimm sei. Wenn ein Kind den ganzen Tag nur schlapp da liegt, tagelang nichts isst, lange hoch fiebert oder sowas, dann werde auch ich panisch. Aber das ist bei Kindern ja extrem selten. Zumindest bei unseren habe ich das kaum (noch nie?) erlebt. Zum Glück. Meist rennen sie ja noch bis zum Umfallen durch die Gegend.
Ich muss dazu sagen, dass viele Muttis im Kindergarten russisch-stämmig sind. Als wir noch in Russland wohnten, wurden uns bei jedem Husten der Kinder mindestens fünf Medikamente verschrieben (zwei verschiedene Nasentropen, Ohrentropfen, Halsspray, Antibiotika, Fieberzäpfchen, Vitaminpräparate, usw.). Der Umgang mit Krankheiten ist also definitiv auch kulturell sehr unterschiedlich. In Russland haben wir fast nie die verschriebenen Medikamente genommen, definitiv nicht die Antibiotika) und wurden deshalb von der Kinderärztin regelmäßig als verantwortungslos beschimpft. Einmal ging sie sogar so weit, das Wohl unserer Kinder in Gefahr zu sehen. Hätte das Folgen gehabt, wenn wir nicht den Ausländer-Bonus gehabt hätten? Daran möchte ich gar nicht denken. Viele russisch-stämmige Muttis im Kindergarten beschweren sich über die deutschen Kinderärzte. Sie wären sehr inkompetent, man bräuchte gar nicht erst hingehen, denn sie sagen sowieso nur, dass man abwarten und viel trinken solle. Ich vermute, dass mich auch noch dieses enorme Dramatisieren eines jeden Hustens in Russland in meinem heutigen Umgang mit Krankheit geprägt hat. Ich möchte diesen Umgang auf keinen Fall verurteilen, er ist durch Lebensbedingungen, medizinische Versorgung und viele andere Faktoren geprägt. Er ist einfach anders.
Das Down Syndrom an sich wird ja auch häufig als Krankheit bezeichnet. Nach der Geburt hatte ich damit Probleme, wenn Freunde von unserem ‚kranken‘ Kind sprachen. Meist habe ich sie dann darauf aufmerksam gemacht. Dies führte natürlich immer zu Verunsicherung, die für denjenigen und für mich unangenehm war. Jetzt sage ich bei dieser Bemerkung nichts mehr, um ein ungezwungenes Gespräch über unseren Sohn zu ermöglichen.
Er hatte zum Glück noch nie etwas wirklich Ernstes gehabt, nie mussten wir für längere Zeit ins Krankenhaus. Deshalb fühle ich mich bisher auch ärztlich gut betreut. Der Umgang mit Behinderung oder Krankheit auf institutioneller Ebene ist nochmal etwas anderes. Die Unzufriedenheit von Eltern, die bei ernsteren Geschichten ihres Nachwuchses nicht gut beraten werden, kann ich mir sehr gut vorstellen. Viele Ärzte kennen die gesundheitlichen Herausforderungen, mit denen Menschen mit DS häufig zu tun haben, nicht. Auf die psychische Belastung von jungen Eltern, weil sie nach der Geburt ihres behinderten Kindes manchmal monatelang im Krankenhaus bleiben müssen, reagieren einige Ärzte sehr unsensibel. Mareice hat auf ihrem Blog letzte Woche Inklusionsfamilien dazu eingeladen, zu beschreiben, wie sie im Krankenhaus behandelt werden wollen? Was wünschen sie sich? Welche Erfahrungen haben sie? Sehr lesenswert.