Die Angst überwinden

Letzte Woche war in Anatols Kita eine Gruppenübernachtung geplant. Da er mittlerweile seit zweieinhalb Jahren in dieser Kita ist, hatte er schon zwei oder drei Übernachtungen problemlos mitgemacht. Ich bin auch keine besonders ängstliche Mutter und freue mich immer eher, wenn die Kinder mal nicht da sind.
Diesmal war es etwas anders.

Denn die Gruppe hatte sich entschieden vor der Übernachtung in die XXL-Spielestadt zu gehen. Das ist ein Spiele-Kletter-Gelände, in dem die Kinder nach zwei Stunden so k.o. getobt sind, dass sie nur noch ins Bett fallen und sofort schlafen. Ich persönlich habe solche riesigen Indoor-Spielplätze mit den Kindern bisher erfolgreich gemieden, weil sie mir einfach zu anstrengend sind.

Jedenfalls versuchte ich Anatol morgens im Auto zu erklären, dass er heute in der Kita übernachtet. Er lächelte und nickte, ich glaube nicht, dass er mich verstanden hat. Dann übergab ich ihn mit etwas bebenden Lippen der Erzieherin und sagte, sie solle mich anrufen, wenn er sich zurück zieht, sich anziehen geht und nach Hause will. Sie erwiderte, dass sie ihn in diesem Fall aus der Gruppe nehmen und sich jemand mit ihm hinlegt und ausruht. Dann weinte ich auf dem Weg nach Hause.

Ich schrieb Sascha eine SMS: „Ich habe ein ungutes Gefühl. Die Erzieherinnen können die Signale von Anatol noch nicht so gut deuten, wissen nicht, wann es zu viel für ihn ist.“ Er antwortete: „Lass den Erzieherinnen die Möglichkeit diese Signale kennenzulernen, um selbst darauf reagieren zu können.“ Ich weinte noch mehr. Warum hat der Mann nicht diese furchtbare Angst, die ich habe?

Den gesamten Tag ging mir durch den Kopf wie dieser Vierjährige, der die Statur eines Zweijährigen hat und seine Bedürfnisse sprachlich nicht äußern kann, auf einem großen Trambolin sitzt während 5 Kinder wie wild um ihn herum springen, ihn so richtig durchschütteln und er nicht versteht was abgeht. Ich stellte mir vor wie er die Rutschen herunter heizt ohne darauf zu achten, ob jemand vor ihm auf der Rutsche ist, dem er ordentlich in den Nacken stürzt. Ich stellte mir vor, wie er die coolen Kletternetze hoch wurschtelt und dann von ganz oben durch ein Loch nach ganz unten fällt…..

Es war ein schlimmer Tag. Ich verfluchte die Kinder in seiner Gruppe. Konnten sie sich nicht einfach für einen Zoobesuch entscheiden? Ich verfluchte die Erzieher. Sie müssen doch bei einem solchen Ausflugsplan die Schwächsten mit einbeziehen? Ich verfluchte meinen Mann. Warum habe nur ich Sorgen und kann sie mit ihm nicht „teilen“?

Am nächsten Tag holten wir das strahlende Kind aus der Kita ab. Es sei alles bestens verlaufen, Anatol habe riesigen Spaß gehabt.

Geschwister, Eifersucht und mein unterschiedliches Schimpfverhalten

Am Dienstag hatte ich ein interessantes Gespräch. Alle 14 Tage fahre ich zur Diakonie in Hamburg und mache dort eine sogenannte Lebensberatung. ‚Lebensberatung‘ klang für mich im Januar ausreichend allgemein, um da alles unterzubringen, was gerade bei mir brennt. Na und als eine Freundin dann Sylvester zu mir sagte, dass wir für jeden Scheiß Beratung in Anspruch nehmen, aber für das Komplizierteste, nämlich das Leben und die Begleitung von Kindern beim Wachsen, nicht, bestärkte mich das in meiner Entscheidung. so eine Beratung mal auszuprobieren. Mittlerweile habe ich schon das Gefühl, dass es mir hilft. Am Dienstag sprachen wir über meine Konflikte mit unserer Tochter. Ich habe ein wunderbares, inniges und liebevolles Verhältnis zu ihr. Trotzdem glaubt sie manchmal, ich würde Anatol mehr mögen. Oft hört sie nicht darauf, wenn ich „Nein“ sage bzw. achtet meine Grenzen nicht und bekommt Wutanfälle. Ich muss dazu sagen, dass ich meine persönlichen Grenzen lange ihr gegenüber nicht deutlich gemacht habe. Erst vor einem Jahr ungefähr habe ich angefangen, meine Grenzen innerhalb der Familie selbst wahrzunehmen und zu zeigen und mir auch mehr Zeit für mich selbst zu nehmen. Das war für mich schwer. Vorher tat ich es aus Überzeugung nicht, ich dachte immer, dass die ersten Jahre eines Kindes nunmal 100%ige Aufmerksamkeit bedürfen und, dass ich die Neugierde der Kinder nicht bremsen darf, war sehr stolz auf ihre Willenstärke. Ich wollte ja immer selbstbestimmte und selbstbewußte Kinder und keine Mäuschen. Das führte nun aber dazu, dass ich in eskalierenden Situationen wie z.B. Wutanfälle mit unserer Tochter immer sprach wie mit einem erwachsenen Menschen, der seine Taten ganz genau reflektieren kann: Zuerst ließ ich sie toben. Wenn sie sich beruhigt hatte, dann redete ich mit ihr in Ruhe. Ich sagte immer: „Lili, ich bin verunsichert, wenn du solche starken Wutanfälle bekommst und weiß dann selbst nicht, wie ich darauf reagieren soll. Wie möchtest du in dieser Situation behandelt werden? Was soll ich tun?“ Meine Beraterin sagte nun vorgestern, dass ich ein sechsjähriges Kind (oder sogar jüngeres) total überfordere mit solchen Fragen. Sie braucht ein ganz klares „Nein. So geht das nicht! Punkt.“ Und zwar ohne Diskussion und ohne, dass sie selbst überlegen muss, was Mama machen soll oder selbst in dieser Situation eine Entscheidung treffen muss.
Ich begann zu verstehen, warum unsere Tochter sich immer die Ohren zuhält, wenn ich schimpfe. Ich war schon immer eine Rede-Mutter und überschätzte schon immer die natürliche Wahrnehmung von Grenzen von Kleinkindern bei sich selbst und anderen. Mit einem Jahr erklärte ich unserer Tochter z.B. schon lang und breit, was warum lieber nicht getan werden sollte und welche Konsequenzen das hätte. Meine Schwiegermutter wunderte sich schon immer, was ich immer rede. Vorgestern begann ich auch zu verstehen, warum unsere Tochter das Gefühl hat, dass ich mit Anatol nicht so viel schimpfe wie mit ihr. (Was ich selbst komischerweise niemals so wahrnahm, was aber auch mit ein Grund dafür sein kann, warum sie manchmal das Gefühl hat, dass ich Anatol lieber mag.) Aber sie hat recht. Ihm habe ich noch nie „Predigten“ gehalten, weil ich ja weiß, dass er diese sowieso nicht versteht. Bei ihm habe ich immer ganz klar, kurz und laut Stopp oder Nein gesagt. Das Äußerste ist dann, wenn ich ihn bestimmt greife und ihn in sein Zimmer setze, wenn er Mist gebaut hat. Dann weint er. Und nach einer Weile ist alles wieder gut. Unsere Tochter musste stattdessen ihr gesamtes Kinderleben lang bei Mist einen moralgeladenen Redeschwall ertragen. Ohje. Das arme Kind. Jetzt tut sie mir so leid. Dieses unterschiedliche Schimpfverhalten war mir vorher absolut nicht bewußt und es ist einfach furchtbar.
Schlimm fand ich, als meine Beraterin sagte, dass Kinder, die die Eltern nicht als Über-Allem-Stehend erleben, sich oft nicht sicher fühlen. Kinder hätten das Bedürfnis, dass Erwachsene ihnen sagen, was richtig und was falsch ist, ohne, dass sie darüber nachdenken müssen. Erst dann fühlen sie sich behütet, sicher und beschützt. Erst wenn sie vollkommen sicher sind, dann fangen sie irgendwann an zu rebellieren. Was auch wichtig ist.
Dann fragte ich die Beraterin, ob da noch etwas zu retten sei? Ich bin natürlich total geschockt gewesen, dass gerade mein Kind sich von mir wahrscheinlich nicht ausreichend beschützt fühlt. All das schien mir nämlich absolut plausibel in der Beziehung zu ihr. Die Beraterin meinte, dass es natürlich nicht zu spät ist.
Man man man. Warum ist das alles nur immer so kompliziert? Ich bin doch auch nur ein Mensch.

Bloody Sunday

Heute habe ich gefühlt den ganzen Tag die Kinder angebrüllt. Ich bin ganz erschöpft. Lili hat schon häufiger gesagt, dass meine Lieblingsbeschäftigung wohl Schimpfen sei. Lag es am Stress der Woche? Ich weiß nicht. Auf jeden Fall hat unsere sechsjährige Tochter heute einige klare Grenzen überschritten und mich so dermaßen auf die Palme gebracht: den Kinderwagen des einwöchigen Babies der Nachbarin (mit Baby) mit dem Fußball angeschossen, zudem in die Beete und das Fenster des anderen Nachbarn geschossen, Blumen abgerupft, die Scheibe der Haustür mit einem Stein zerkratzt (!!! Das wird jetzt richtig teuer.), meine ganze Tasse Kaffee ausgetrunken, Barfuß raus gegangen, den ganzen Sand aus dem Sandkasten geholt, Anatol beim Baden ständig an den Schwanz gefasst (obwohl er eindeutig signalisierte, dass er das nicht möchte), unter dem Tisch Abendbrot gegessen, …. ich bin fast WAHNSINNIG geworden. Was ist bitteschön das Problem dieses Kindes? Ich war sooo sauer, dass ich ihr eine Woche Computerverbot gab. Außerdem musste sie das Wohnzimmer und das Kinderzimmer aufräumen. Boah war ich sauer! So sauer bin ich selten. Wenn ich sauer bin, dann brülle ich immer irgendwas von Rücksichtslosigkeit, Egoismus, anderer Gefühle nicht respektieren, absichtlich böse sein oder anderen weh tun. Heute brüllte ich noch zusätzlich was von mutwillig Eigentum zerstören ginge gar nicht, Verantwortung für sein Handeln übernehmen müssen, dass alles sehr viel Geld kostet, naja, sowas in diese Richtung. Und sie brüllt dann zurück: „Du hasst mich ja sowieso. Du magst den Tolja viel mehr als mich. Wenn du mich nicht willst, dann gib mich doch ins Kinderheim!“.
Meine Güte. Es eskaliert zwischen uns immer wieder. Sie scheint durch provozierendes Verhalten immer wieder meine Aufmerksamkeit bekommen zu wollen. Sie ist aber auch eindeutig eine hervorragende Drama-Queen.

Heute Abend habe ich dann mit ihr in Ruhe geredet. Ich fragte sie, ob sie tatsächlich glaubt, dass ich Anatol lieber mag? Sie sagte ja. Ich fragte sie, warum sie das glaubt? Sie sagte, dass ich mehr mit Anatol mache.

Sie hat recht. Ich fahre immer gerne mit ihm ins Niendorfer Gehege zu den Rehen, den Pferden, auf den Spielplatz oder spiele mit ihm Fußball. Das macht mir Spaß. Er liebt es draußen zu sein genauso wie ich. Sie ist lieber in der Wohnung, hört Hörspiele und Musik, schaut Filme und malt. Sie mag nie rausgehen. Sie muss ich immer ewig überzeugen etwas zu unternehmen. Mit ihm unternehme ich auch gerne Dinge, weil er keine Kauf-mir-das-und-das-Attacken hat, die mich ziemlich nerven. Gehe ich mit Anatol z.B. in den Zoo, dann schauen wir Tiere an, wir lieben das. Gehe ich mit Lili in den Zoo, dann will sie alle 2 Minuten ein Eis oder Pommes oder sie will in den Zooladen, um sich dort von ihrem Taschengeld irgendein Kuscheltier zu kaufen. Es geht ihr nicht um die Tiere und das macht mir dann eben keinen Spaß. Wahrscheinlich spürt sie genau das.

Wir müssen herausfinden, was wir gerne miteinander tun. Wir waren eine zeitlang regelmäßig schwimmen, das liebt sie auch. Aber das Bondenwald-Schwimmbad bei uns um die Ecke wird nun schon seit einem Jahr gebaut. Wir müssen uns etwas anderes überlegen. Oder ein anderes Schwimmbad? Mal gucken. Auf jeden Fall haben wir heute Abend ausgemacht, dass wir jetzt wieder jede Woche einmal was gemeinsam machen werden.

Diesen Salat hat Lili heute ganz allein gemacht.
Diesen Salat hat Lili heute ganz allein gemacht.

„Was wir von Menschen mit Down Syndrom lernen können?“

Lili: Letzte Woche hat Niklas in der Schule gesagt, dass Menschen mit Down Syndrom nichts verstehen. Dass sie sogar zu Eltern „Schwester“ sagen.
Ich: Es stimmt, dass Menschen mit Down Syndrom oft länger brauchen, um Sachen zu verstehen und, dass sie sich viel langsamer entwickeln als andere Menschen. Aber das ist nicht so schlimm. Dafür können sie bestimmte Dinge besser als andere. Anatol tröstet z.B. jeden Menschen der traurig ist. Das ist gut und wichtig. Außerdem lacht er sehr viel und ist viel fröhlicher als andere Kinder.
[Mist. Ich ahnte, was jetzt kommt.]
Lili (traurig): Ich kann nichts besser als andere Kinder.
Ich: Doch. Du bist neugierig und stellst viele Fragen. Du bist besonders klug.
[Plötzlich bekam ich Angst, dass ich ihr immer die Rolle der „Klugen“ zuweise und sie damit eventuell total unter Druck setzen könnte.]

Ich ärgere mich über mich selbst. Weder Anatols Dasein muss durch seine Fähigkeit zum Trost oder seine Fröhlichkeit beschrieben oder gerechtfertigt werden, noch das Dasein unserer Tochter durch ihre Klugheit. Spontan argumentiere ich trotzdem oft so. Ich muss das ändern.

Selbst Prof. Zimpel, den ich sehr schätze, betitelt sein aktuelles Buch so „Was können wir von Menschen mit Trisomie 21 lernen?“ Hat er diesen Titel bewusst gewählt, weil er davon ausgeht, dass die Mehrheitsgesellschaft von der selbstverständlichen Teilhabe als Menschenrecht nicht sonderlich zu beeindrucken ist und man in der Leistungsgesellschaft eben besonders betonen müsse, wozu selbst geistig Behinderte nützlich sind? Gibt man sich mit Menschen nur ab, wenn sie in irgend einer Form nützlich für uns sein können? Das Buch von Zimpel ist großartig und ich glaube, dass er eine solche Assoziation mit dem Titel nicht bezweckt hat.

Hm. Trotzdem suche ich eine coole, kindgerechte Reaktion auf das Argument von Grundschülern, dass Menschen mit DS vieles nicht verstehen können? Aber ohne: „Dafür können sie das besser“-Rhetorik.
Any suggestions?

Das Ideal

Ja, das möchste:
Eine Altbauwohnung im Grünen mit Terrasse,
vorn die Elbe, hinten die Osterstrasse;
mit schöner Aussicht, ländlich-mondän,
vom Badezimmer ist der Kirchturm zu sehn –
aber abends zum Kino hast dus nicht weit.

 
Das Ganze schlicht, voller Bescheidenheit:
Fünf Zimmer – nein, doch lieber Sechs!
Ein Dachgarten, wo das Gemüse wächst,
Internet, Fußbodenheizung, Garage,
wenig Arbeit und viel Gage,
einen klugen Mann voller Rasse und Verve –
(und einen fürs Wochenende, zur Reserve),
eine Bibliothek und drumherum
Einsamkeit und Hummelgesumm.

 
Ja, und das hab ich ganz vergessen:
frisches Obst und leckeres Essen,
alte Weine aus schönem Pokal–
und trotzdem bleibst du dünn wie ein Aal.
Und Geld. Und an Schmuck eine richtige Portion.
Und noch ne Million und noch ne Million.
Und Reisen. Und fröhliche Lebensbuntheit.
Und famose Kinder. Und ewige Gesundheit.

 
Ja, das möchste!
Aber, wie das so ist hienieden:
manchmal scheints so, als sei es beschieden
nur pöapö, das irdische Glück.
Immer fehlt dir irgendein Stück.
Hast du Arbeit, dann hast du keine Görn;
hast du Kinder, dann stört dich der Lörm –
hast du einen Mann, dann fehlt die Leidenschaft
bald fehlt uns der Wein, bald fehlt uns die Kraft.
Etwas ist immer.
Tröste dich.
Jedes Glück hat einen kleinen Stich.
Wir möchten so viel: Haben. Sein. Und gelten.
Daß einer alles hat:
das ist selten.

 
(Angelehnt an Kurt Tucholsky: Das Ideal, 1927)

Sprachentwicklung und meine große Verunsicherung

Und wieder habe ich mit der Logopädin diskutiert und dabei diesmal viel geweint. Ich war ganz aufgelöst. Später glaubte ich zu verstehen, warum eigentlich. Sie ist davon überzeugt, dass der Junge eine Eins-zu-Eins-Sprachtherapie braucht. Sie meint, dass er viel mehr redet seitdem sie mit ihm 2x pro Woche 45 Minuten arbeitet. Sie sei mit ihm auf dem richtigen Weg. Von der Arbeit in der Kita-Gruppe mit anderen Kindern zusammen hält sie nicht viel. Ich wollte nochmal mit ihr darüber sprechen.

Ich hatte sie auch um einen Gesprächstermin gebeten, weil Anatol in den letzten Monaten oft Türme der anderen kaputt macht, das Sandkastenspielzeug weg nimmt, auf die Bilder der Anderen krakelt oder eben haut. Er ist nicht extrem aggressiv oder auffällig, aber eben schon oft gemein zu den anderen Kindern. Ich bin unsicher, wie ich mit diesem Verhalten umgehen soll. Außer ein deutliches verbales und gestisches Stopp schlug sie mir im Gespräch vor, noch ein rotes Stopp-Schild zu malen, das man ihm in solchen Situationen vor die Nase hält, um ihm seine Grenzübertretung nochmal visuell sehr deutlich zu machen. Auch schlug sie vor, Kinderbücher zu lesen, die Wut thematisieren oder mit Kuscheltieren kleine Geschichten zu spielen, in denen jemand rempelt oder haut, um damit visuell besonders deutlich zu machen, dass man das nicht tut.

Ich sagte ihr, dass Anatol sehr gut weiß, was gut und böse ist, dass er dies erkennen kann und dann auch selbst mit Ablehnung bzw. Schimpfen reagiert, wenn Andere Grenzen überschreiten. Ich meine, es geht eigentlich um etwas ganz anderes. Und zwar darum, dass er häufiger als andere Kinder nicht ins gemeinsame Spiel einbezogen wird, weil er motorisch (z.B. beim Fußball), kognitiv (z.B. bei Rollenspielen) und sprachlich (z.B. im Morgenkreis) nicht mit gleichaltrigen Kindern mithalten kann. Sein Verhalten ist somit der ständige Versuch einer Kontaktaufnahme mit den anderen Kindern. Ich vermute sogar, dass bessere sprachliche Ausdrucksfähigkeit diese Situation für ihn als Jungen mit Trisomie 21 kaum ändern würde. Deshalb, so schätze ich es ein, muss er zum einen lernen zu akzeptieren wenn andere nicht mit ihm spielen wollen. (Diese Erfahrung wird er ja noch sehr häufig im Leben machen.) Hier suche ich Strategien, wie er in solchen Situationen sein momentanes Begehren runter fahren kann, um sich allein mit etwas anderem zu beschäftigen. Das ist sehr schwer, weil er ja gerade die soziale Interaktion sucht. Und ich habe hier auch noch keinen Weg gefunden. Zum anderen muss man m.E. stärker mit der Gruppe arbeiten, nicht mit ihm allein. Wie gehen die Kinder in der Gruppe miteinander um? Welche gemeinsamen Spiele werden gespielt? Wie werden schwächere, langsamere Kinder in die gemeinsame Aktivität mit einbezogen? Welche Rolle spielt Sprache in der Kommunikation der Kinder bzw. der Erzieherinnen zu den Kindern? Ich sagte ihr, dass ich davon überzeugt bin, dass Anatol sprechen lernt wenn er sich in der Gruppe angenommen und wohl fühlt, die anderen Kinder ihn ins Spiel mit einbeziehen und direkt mit ihm kommunizieren. Ich sagte ihr, ich vermute, dass er so toll bei ihr die ganzen Sprachübungen mit macht, weil sie so nett zu ihm ist und mit ihm wochenlang zu Beginn die „Beziehungsebene“ aufgebaut hat. Deshalb macht er bei ihr alles gut, deshalb wiederholt er die Worte, die sie spricht und wendet sie auch immer häufiger an. Ich führe das weniger auf die Sprachübungen bzw. die -therapie zurück als vielmehr auf die häufige positive soziale Interaktion zwischen ihr und ihm. Sicherlich ist eine Sprachtherapie in dieser Eins-zu-Eins-Situation auch wichtig und absolut sinnvoll. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass die Interaktion in der Gemeinschaft für Anatol einen wichtigeren Lernimpuls bietet. Und, dass seine Form sich auszudrücken und anderen verständlich zu machen in alltäglichen Spielsituationen bzw. die Reaktionen der Kinder in seiner Gruppe eigentlich entscheidend für die Entwicklung seiner zukünftigen Kommunikationsstrategien ist.

Sie sieht das anders. Sie meint, dass die Sprachtherapie ihn dorthin geführt hat, wo er jetzt ist. Natürlich kann ich ihr da nicht widersprechen, denn man kann das ja nicht überprüfen. Sie meint auch, dass erst sein Wortschatz ausreichend sein müsse bevor sie mit ihm in die Gruppe gehen könnte. Sie sagte, was ich will sei nicht Sprachtherapie, sondern eher Pädagogik. Darin sei sie aber kein Expertin. Sprachtherapie in Gruppen lehne sie grundsätzlich ab. Das wäre in der Vergangenheit bei ihr nie gut gelaufen. Es sei zu laut und man hätte zu wenig Möglichkeiten, sich auf die sprachlichen Besonderheiten von Anatol zu konzentrieren.

Ich sagte ihr, dass ich mir auch keine „Gruppentherapie“ in dem Sinne vorstelle. Vielmehr wünsche ich mir, dass sie als Sprachtherapeutin Anatol im Kita-Alltag in seiner Gruppe öfter genau beobachtet, dass sie versucht, seine bisherigen Kommunikationsstrategien und die Reaktionen der anderen Kinder zu verstehen. Aus diesen Beobachtungen lassen sich dann eventuell „Kommunikationshilfen“ sowohl für ihn als auch für andere Kinder in der Gruppe bzw. für die Erzieherinnen ableiten. Ich meine, dass es weder nur Pädagogik oder nur Sprachtherapie ist, sondern eine Mischung aus beidem. Und schließlich wurde ich immer verunsicherter, denn ich habe ja auch nur abstrakte Vorstellungen davon und nahm an, sie als Sprachtherapeutin würde eine solche Herangehensweise selbstverständlich kennen. Vielleicht sehe ich das ja auch alles völlig falsch, bin übereifrig oder zu aufgeregt. Ich weiß es nicht. Ich fühlte mich einfach sehr hilflos.

Nach diesem Gespräch ging ich total erschöpft und verheult nach Hause. Ich ahnte irgendwie, dass diese Art der Diskussion unser Leben von nun an begleiten wird.

Vollkommene Anpassung ist die Ideologie der Gegenwart

Ich bin unruhig. Nachdem ich mich ein paar Tage mit Hartmut Rosa beschäftigt hatte und verstand, dass eine dauerhafte Entschleunigung meines Lebens unmöglich ist und ich stattdessen lieber ab und an meine persönlichen „Resonanzräume“ schaffen und erhalten sollte, warf mich der Wahlerfolg der AFD in Sachsen-Anhalt gestern Abend ziemlich aus der Bahn. Es gibt etwas viel grundsätzlicheres als meine persönliche Lebenszeit.

Ich spüre Angst.
Die gleiche Angst, die ich spüre, wenn ich Menschen über das Gelände der ehemaligen Alsterdorfer Anstalten führe und ihnen aus der Geschichte dieses Ortes erzähle. Vorauseilender Gehorsam hatte das damalige medizinische Personal der christlichen Anstalt für Menschen mit Behinderung veranlasst, die dort lebenden jüdischen Bewohner schon lange vor der offiziellen Aktion T4 an die Nazis auszuliefern und für Probe-Vergasungen nach Brandenburg an der Havel zu schicken. Insgesamt wurden später mehr als 600 Personen aus Alsterdorf Opfer der nationalsozialistischen Euthanasie-Verbrechen. Es waren Mediziner, es waren Christen, die sie in den Tod schickten. Es verbanden sie christlich-humanistische Werte, die noch bis vor einem Jahr Voraussetzung für eine Mitarbeit bei der heutigen Evangelischen Stiftung Alsterdorf waren. Die Geschichte dieser christlichen Wertegemeinschaft in Alsterdorf, eine Wertegemeinschaft, die uns ja angeblich in ganz Deutschland eint und ausmacht, ist wie ich finde symbolisch für das auseinanderdriften von theoretischen Moralvorstellungen und praktischem Handeln. Erst kürzlich wurde übrigens in einer Studie festgestellt, dass Kinder aus religiösen Familien weniger teilen als andere Kinder und härtere Strafen für Fehlverhalten forderten. Die Ergebnisse dieser Studie fand ich sehr spannend.
Die gleiche Angst spüre ich, wenn ich mit Lehrerinnen und Lehrern über die Selbstverständlichkeit von gemeinsamem Lernen diskutiere. „Es gibt nun mal Kinder, die nicht so klug sind. Das muss man akzeptieren. Da sollen doch dann nicht alle anderen in der Klasse drunter leiden.“, höre ich dann immer mal wieder. Nicht umsonst trägt das Jahrbuch für Pädagogik 2015 den unfassbaren Titel „Inklusion als Ideologie“. Ein Menschenrecht als Ideologie? Nein, es geht den meisten Pädagogen noch lange nicht ums Wie. Stattdessen geht es vielen auch noch 2016 ums Ob überhaupt. „Erst wenn die Bedingungen stimmen, können wir darüber reden.“, heisst es oft und insgeheim hoffen viele, dass sich die Diskussion mit zunehmender Pränataldiagnostik und immer weniger werdenden Schülern mit Behinderung von alleine löst. Für die paar Hanseln brauchen wir dann ja keine Extra-Wurst mehr, ne?
Angst bekomme ich, wenn Marc Jongen, der das Parteiprogramm der AFD verfasst hat, sagt „Es gibt nichts Gefährlicheres als eine Utopie, die man entgegen der Realität umzusetzen versucht.“ und damit die in seinen Augen „hysterischen, hypermoralischen Eliten“ ins Lächerliche zieht.

Mit dieser modernen „Anti-Ideologie“ werden alle gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungen als wahr und ehrlich legitimiert. Der Philosoph Herbert Schnädelbach sagt: Die vollkommene Anpassung des Bewusstseins und seine objektive Unfähigkeit, sich Alternativen zum Bestehenden auch nur vorzustellen, ist die Ideologie der Gegenwart. Slavoj Žižek sieht darin gar eine weitaus gefährlichere Ideologie als in Diktaturen. Ich stimme ihm zu.

Ich habe Angst, dass immer mehr Menschen sich vor Pluralismus fürchten und lieber einfache Lösungen suchen anstatt einen Konsens der gesamten Gesellschaft anzustreben, auch wenn dieser länger dauert, auch wenn dieser anstrengend ist. Ich habe Angst davor, dass auch unser Sohn mit Trisomie 21 irgendwann direkt mit einer rationalen Kosten-Nutzen-Rechnung konfrontiert wird,‭ ‬bei der sein Leben auf den Aspekt des Wertes für die Gesellschaft reduziert und eventuell von einer kalten Mehrheit als unwert kategorisiert wird.

Die Geschichte neigt sich zu wiederholen. Mich zurück lehnen und entschleunigen ist unmöglich. Die Angst treibt mich an.

Just in case. This one is for You, my son: Never mind the Darkness Baby you will be save by Rock ´n´ Roll!

Ganzkörperostereiermalen
Dipl. Ostereierdesigner

Zwangsbeglückung

Am 21. März wird Anatol 4 Jahre alt. Bei seiner älteren Schwester fing es so ca. mit dem dritten Geburtstag an, dass sie sich etwas zum Geburtstag gewünscht hatte, etwas, was wir ihr nicht so einfach zwischendurch kaufen wie Klamotten, etwas Besonderes. Mittlerweile teilt sie das Jahr in Weihnachten und Geburtstag auf. Sechs Monate lang höre ich von ihr „Das wünsche ich mir zum Geburtstag.“ (sie hat im Sommer Geburtstag), danach weitere 6 Monate „Das wünsche ich mir zu Weihnachten.“ Als sie vier Jahre alt war, hatten wir mal eine Diskussion über Neid. Ich sagte ihr damals, dass Neid nichts Schönes ist, dass es bedeutet, jemand will alles haben, was die Anderen haben. Sie beendete dieses Gespräch mit den Worten: „Ich finde Neid gut.“

Anatol wünscht sich nichts. Ich wage zu behaupten, dass er selbst wenn er schon sprechen könnte, keinen speziellen Wunsch zum Geburtstag oder zu Weihnachten haben würde. Er ist sehr zufrieden und glücklich. Und er lebt nur im Moment und damit noch völlig ohne Sehnsüchte. Wenn mich die Muttis der eingeladenen Kinder fragen, was er sich zum Geburtstag wünscht, dann sage ich immer: Etwas, womit euer eigenes Kind am liebsten spielt. Es fiel mir immer sehr schwer zu sagen, womit Anatol gerne spielt? Denn, er spielt mit allem, was man ihm anbietet. Er begeistert sich ein wenig mehr für Bälle und Autos als seine Schwester, die lieber malt, liest und Musik hört. Aber im Großen und Ganzen ist er total offen.

Anatol wäre überhaupt nicht traurig, wenn er nichts zum Geburtstag geschenkt bekommen würde. Er würde es nicht bemerken, nichts vermissen. Stattdessen würde ein Kuchen, ein Luftballon und ein gemeinsames Spiel ihn ausreichend entzücken. Vielleicht sollten wir an seinem Ehrentag auch tanzen? Er liebt Musik und tanzt unwahrscheinlich gern. „Er kann doch aber nicht Nichts zum Geburtstag bekommen!“, sind Sascha und ich uns einig. „Seine Schwester würde es ungerecht finden, wenn er nichts zum Geburtstag bekommen würde.“ Und wahrscheinlich hätten wir ein schlechtes Gewissen, wenn er an seinem 4. Geburtstag ohne Geschenk da stehen würde. Sicherlich gibt es genügend pädagogisch wertvolles Spielzeug, mit dem er besser sprechen lernen könnte, seine Motorik verfeinern könnte, das seine Sinne anregt. „Aber das wäre dann ein Spielzeug, das Spiel- und Förderung kombiniert und damit einseitig pädagogisch. Damit fühle ich mich nicht gut. Das wäre kein Wunsch von ihm. Er soll nichts bekommen, womit ihm indirekt signalisiert wird, sich schneller oder besser zu entwickeln, das sagt „Du bist nicht o.k. so wie du bist.“, sage ich.

Was wünscht ER sich? Kuchen, Eis, Schokolade. Vermutlich. Deshalb durfte er bisher an Feiertagen immer grenzenlos zuschlagen. Deshalb hatte er sich an seinem dritten Geburtstag, letztes Ostern und an Weihnachten auch übergeben. Also keine gute Idee.

Warum ist es eigentlich so schwer zu akzeptieren, dass ein Mensch wunschlos glücklich ist? Das kann nicht sein. Auf irgendeinen RICHTIGEN Wunsch von ihm werden wir uns bis nächste Woche schon einigen.

24.1_2

Müde, inkonsequent und verunsichert

das bin ich oft. Selbstsicher, ganz wach und strahlend bin ich nur selten.

Oft gelingt es mir nicht, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren und ich vergesse Dinge oder bin unachtsam. Sehr oft kann ich mich auf andere Menschen nicht einlassen, weil ich so stark mit mir selbst beschäftigt bin. Häufig reagiere ich heftig auf Texte, Nachrichten, Kommentare, ich werde wütend, angeekelt und arrogant wenn sie nicht meinen eigenen Wert-, Gesellschafts- und Weltvorstellungen entsprechen. Selbst eine freundliche Begrüßung fällt mir öfter schwer. Häufig bin ich angespannt, alles geht mir zu langsam. Alles geht mir zu schnell. Dann werde ich unsicher. Immer wieder muss ich dann heulen.

Was macht das mit den Kindern? Was macht unsere Trennung mit den Kindern? Erkläre ich unserer Tochter die Situation genug und verständlich? Wird sie mich und ihren Vater einmal verstehen? Sie hatte schon eine längere Phase der Traurigkeit und Anspannung von mir erlebt: nach der Geburt ihres Bruders mit Down Syndrom. Habe ich sie in diesen Situationen immer genug aufgefangen? Kann ein kleines Kind so viel überhaupt verkraften? Bin ich aufmerksam genug für ihre Bedürfnisse und Signale? Kuschel ich genug mit ihr? Zeige ich ihr zu selten meine unendliche Liebe? Anatol bezeichnet seit einem Monat alles mit Papa: ein Auto ist Papa, die Nase ist Papa, ich bin Papa. Das ist wohl seine Art auf die Trennung zu reagieren. Was macht das? Und wie soll ich ihn auffangen? Reden geht ja nicht. Was geht? Ich weiß es nicht.
Und ich? Werde ich jemals wieder so fröhlich, entspannt und voller Leichtigkeit sein wie vor den Geburten der Kinder und vor der Trennung? Neulich sprachen wir mit den Kindern darüber, was wir alle gut können. Und Lili sagte, dass Papa gut Gitarre spielen und Quatschgeschichten erzählen kann. Und Mama kann gut schimpfen, ergänzte sie.

Mutter sein ist so leicht, man braucht die Kinder nur unendlich zu lieben. Das denke ich manchmal. Ich habe keinen Erfolgsdruck, keine Erwartungen an mich und die Kinder. Davon bin ich auch manchmal überzeugt. Und dann stelle ich plötzlich doch wieder fest, wie mich irgendeine tief sitzende Erwartung an mich selbst oder eine Bemerkung meiner Mutter oder einer Freundin unglaublich unter Druck setzt.

Es ist eine riesige und schwere Verantwortung, für die seelische Stabilität von drei Personen, davon zwei Kinder, zu sorgen. Diese Verantwortung erschöpft und überfordert mich so oft.

Es ist so schwer, loszulassen. Sich treiben zu lassen. Seinen eigenen Weg zu gehen und die anderen ihren gehen zu lassen.
Es ist schwer, Schwäche zuzulassen, zu akzeptieren und zu zeigen.

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Das leichteste der Welt

Für die nächste KIDS aktuell werden persönliche Berichte von Eltern gesucht: man soll über die „Hindernisse auf dem Weg zur Annahme des behinderten Kindes“ berichten. Etwas wollte ich dazu schreiben.

Nie hatte ich besonders große Schwierigkeiten gehabt, unseren Sohn mit Down Syndrom anzunehmen. Eher hatte ich Schwierigkeiten meinen Egoismus und meine Selbstbezogenheit zu überwinden. Die habe ich heute noch. Mutterschaft an sich stellte ich mir schon immer aufwendig vor, das Leben mit einem behinderten Kind, so dachte ich, ist mir einfach viel zu anstrengend. Ich wollte Arbeiten gehen, Ausgehen, Reisen und Sport machen, mich gesellschafts-politisch engagieren, meine Kinder sollten nebenbei groß werden. Bloß keine Übermutter sein, die ständig um die Kinder schlawenzelt und nur noch von ihnen redet. Musikalische Frühförderung, stundenlange gemeinsame Gesellschaftsspiele oder selbst genähte Kleider kamen für mich nicht in Frage. Eigentlich wollte ich immer mein Ding machen und die Kinder einfach überall mit hinschleppen.

Dann kam zuerst unsere Tochter zu früh zur Welt. So ein Mist. „So nebenbei“ war nicht mehr drin nachdem mir meine Cousine einen wissenschaftlichen Artikel über mögliche psychische Beeinträchtigungen bei Frühgeburten schickte. „Nur so zur Info, falls es dich interessiert“, schrieb sie. Vor diesem Artikel hatte ich an sowas überhaupt niemals gedacht. Nun veränderte er mein ungezwungenes Muttersein. Ich versuchte also fortan das schlechte Gewissen über die Frühgeburt mit gaaanz viiieeel Nähe, Aufmerksamkeit und Verwöhnen auszugleichen. Dann war das Mädchen zwei Jahre alt, aus dem Gröbsten raus, entwickelte sich prächtig, erwies erst einmal keinerlei Anzeichen von Störungen und ich war wieder schwanger, so dass der ursprüngliche Plan „Die Kinder nebenbei.“ erneut von mir aufgenommen wurde.

Aber dann kam der Junge. Mit Überraschung. Mit Down Syndrom. Wieder Mist. Wieder alles anders als geplant. Diesmal zwar kein schlechtes Gewissen, aber das Kind müsse umfangreich gefördert werden, sagten sie alle. Ich glaubte es nicht. Was war mit meinem Ding? Eine gute Mutter ist doch eine zufriedene Mutter, oder?. Ich bin keine zufriedene Mutter wenn ich jeden Tag mich und das Kind mit einer Therapiestunde quäle. Erst traute ich mich nicht das durchzuziehen. Es ist hart entgegen aller Empfehlungen ohne Förderung leben zu wollen. Aber es musste sein und Sascha ermutigte mich dabei. Ich hatte schlicht keine Lust darauf, unsere schöne Mutter-Kind-Beziehung mit „Übungen“ zu verunsichern. Und mit der Behinderung bzw. Entwicklungsverzögerung an sich hatte ich ja kein Problem. Nur manchmal im Vergleich mit Gleichaltrigen bin ich ein bisschen neidisch. Aber ich selbst bin nie unter Leistungsdruck aufgewachsen, wurde immer bedingungslos geliebt. Das ist für mich auch selbstverständlich für unsere Kinder. Natürlich machte mir das Down Syndrom anfangs etwas Angst wie alles vollkommen Fremde. Aber wie mit dem Scheinriesen Herrn Tur Tur bei Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer war es auch damit so, dass die Angst immer kleiner wurde je näher das Down Syndrom kam und je mehr ich mich damit beschäftigt hatte. Viel viel mehr und länger ängstigten mich Gedanken an meine Freiheit bzw. mögliche Unfreiheit durch dieses Kind, so dass ich lange zwischen Über- und Rabenmutter hin- und hergerissen war bis auch der Junge endlich für mich aus dem Gröbsten raus war.

Geschafft!

Und als ich dann die Freiheit kommen spürte, zog der Mann aus. Und wieder alles anders. Er sagte plötzlich, dass ich IHN nicht so akzeptieren würde wie er ist. Er könne in meiner Nähe nicht mehr atmen, sagt er. Wie? Was? Wieso? Warum? Weshalb? Kapierte ich nicht. Bedingungslose Liebe galt doch erst recht immer für ihn. Meinem Traummann, dem Vater dieser wundervollen Kinder.

Mit den Kindern habe ich schließlich dann auch verstanden, wie schön es sein kann, von anderen Menschen abhängig zu sein, was eine neue Form des Vertrauens und Liebens ermöglicht, eine Freiheit in Bezogenheit wie Antje Schrupp so schön formuliert.

Unser Sohn hat auf mich eine therapeutische Wirkung: bei all den täglichen Zweifeln und dem Ringen ums gute und ums ÜberLeben ist der kleine Mensch mit dem zusätzlichen 21. Chromosom ein richtiges Zauberwesen, das mich extrem erdet und mir unglaublich gut tut…

…während unsere Tochter die Kluge ist, die mit dem starken Willen, die mir andauernd mit der Heugabel in die Seite piekt oder mit der Schippe voller Wucht auf den Kopf haut, wenn ich sie verbiegen will. Wie der Mann. Ihr seid alle drei wundervoll.

Ich muss…

euch einfach lieben <3 <3 <3

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