Darf man hier mal gepflegt einen Heulen, oder was?

So. Zurück in Deutschland. Eigentlich schon seit Ende Juni. Aber der Juli war Akklimatisierung. Der August war Funktionieren in der Mutterrolle. Und nun läuft der September so langsam an mit einem noch nicht angekommenen Ehemann, dem ein „Sprich mich nicht an!“ auf der Stirn steht.

Ich fühle mich super wohl in der Wohnung, in HH, mit den Wänstern, mit dem neuen Anfang und überhaupt. Verderben tut mir die Laune momentan nur der mürrische Mensch im Haus, der eigentlich lieber allein sein will.

Aber ich wollte über anderes schreiben. Nämlich über das lustige Wochenende. Öffentliches Heulen ist mir nicht unangenehm. Was raus muss, muss raus.
Gestern Abend erzählte mir eine entfernte Verwandte von Sascha auf einem Familientreffen, dass sie einen schwerst behinderten Sohn hatte, der vor einem Jahr mit 25 Jahren gestorben ist. Die Geschichte der Geburt, das Leben mit ihm, seine nächtlichen Schrei-Attacken, ein weiterer Unfall, jahrelanges Koma und schließlich sein Tod waren für mich so traurig, dass ich lange weinen musste. Diese Frau muss Unglaubliches durchgemacht haben! Und nun schafft sie es, relativ distanziert über ihn zu sprechen. Krass. 25 Jahre. Und ich durfte diese Geschichte hören. Vielleicht hatte sie genug Vertrauen, sie mir zu erzählen, weil wir ja auch ein geistig behindertes Kind haben? Hm. Sie ist absolut gegen „diese Inklusion“. Das hätte mit ihrem Jungen nicht funktioniert. Hm. Ich könne sie anrufen, sagt sie. Hm.

In sämtlichen Foren erzählen Eltern von Kindern mit Behinderungen, dass ihnen andere „Betroffene“ geholfen hätten. Aber ich fühle mich ja nicht betroffen oder hilflos. Ich habe genauso wenig gemeinsam mit dieser Mutter wie mit Angela Merkel. Ich will solche Geschichten hören, weil sie mich bewegen. Es macht mich auch stolz, wenn jemand mir so etwas persönliches erzählt. Nach Anatols Geburt hat mir sogar irgendeine Arbeitskollegin meiner Mutter, die einen behinderten Sohn hat, einen Brief geschrieben, „wie alles bei ihr war“. Das war mir mehr als unangenehm. Als ob wir nun etwas gemeinsam hätten. Ich habe gar nicht drauf reagiert.

Die Nacht war sehr unruhig in der fremden Umgebung. Auch, weil mich diese Mutter und ihre Art zu erzählen, irgendwie verwirrt hatten. Wir haben nicht gut geschlafen. Ziemlich übermüdet schleppe ich heute früh nun die Kinder zum Frühstück und bekomme plötzlich unerwartet den gesamten Vormittag gut gemeinte Ratschläge von verschiedenen Verwandten: ich solle mich doch „unbedingt um eine gute Förderung des Jungen kümmern“. Und dann noch der Ratschlag, „ich solle mir rechtzeitig helfen lassen, wenn ich mit mir nicht mehr klar komme“. Außerdem „solle ich doch mal ein bisschen lockerer sein“. Und „ich soll die verschrobenen Ansichten einiger Verwandter zum Thema Behinderung nicht zu nah an mich heran lassen.“ „Frauen, die weinen, sehen übrigens sehr unschön aus.“ Und last but not least, begrüßt uns ein Verwandter mit den Worten: „Ach, da sind die Sibirier. Und da ist ja der kleine Mongo.“Das war dann alles zusammen ein bisschen viel der frechen Sprüche für meine sensiblen Nerven. Zwischendurch stellte übrigens noch einer so nebenbei beim Beobachten von Anatol fest, was er denn alles nicht so gut beherrscht wie ein „normales“ Kind.

Vielen Dank für die vielen gut gemeinten Ratschläge und Kommentare! Habe sie alle verdaut, ausgeschissen und bereits das Klo runter gespült. Leben und Leben lassen.

 

 

 

 

 

 

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